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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

„Wenn ich nicht sehe ...“

Zweiter Sonntag der Osterzeit, 7. April 2013

Es fiel den Menschen von Anfang an schwer, die neue Auferstehungswirklichkeit zu erkennen und an sie zu glauben. Denken wir nur an Maria von Magdala, die den Auferstandenen zunächst für den Gärtner hielt, oder an die Emmaus-Jünger, die so mit Blindheit geschlagen waren, dass sie Jesus als einen Fremden betrachteten.

Der auferstandene Christus gehörte bereits nicht mehr zu dieser Welt. Er war aber auch noch nicht zum Vater hinaufgegangen. In diesem Zwischenzustand offenbarte er sich mehrere Male und auf verschiedene Weise seinen Jüngern, um diese im Glauben zu stärken und sie für ihre Mission zu rüsten. Die irdischen Augen der Jünger brauchten jedoch eine Weile, um die neue Gestalt ihres Meisters zu erfassen, um unter der neuen Erscheinungsform den wiederzuerkennen, der ihnen so vertraut gewesen war.

Es war von entscheidender Bedeutung, dass allen klar wurde: Der Auferstandene ist auch derjenige, den man gekreuzigt und ins Grab gelegt hatte. Deshalb zeigte Jesus seinen Jüngern nach dem Friedensgruß seine Hände und seine Seite. Die Wundmale des Gekreuzigten bestätigen die Wirklichkeit der Auferstehung. „Er ist auferstanden, aber mit Wunden. Mit Wunden, aber mit verklärten“, so hat es Joseph Bernhart einmal ausgedrückt. Der Auferstandene hat seine Wunden nicht abgelegt. Er hat sie behalten, um den entscheidenden Übergang deutlich zu machen: den Übergang vom Tod zum Leben. Seine verklärten Wunden bluten nicht mehr. Sie leuchten in Ewigkeit und verkünden den Ostersieg.

Nachdem Thomas diese glorreichen Wunden berühren durfte, legte er sein Glaubensbekenntnis ab: „Mein Herr und mein Gott!“ Nicht irgendeine logische Schlussfolgerung oder zwingende Beweisführung, sondern die konkrete Erfahrung mit der Wirklichkeit der Auferstehung führten zu diesem Bekenntnis. Steckt nicht in uns allen dieser Thomas, der sagt: „Wenn ich nicht sehe ..., glaube ich nicht“? Doch wenn wir nur das glauben, was wir sehen, dann bleibt uns herzlich wenig, dann werden wir immer auf uns selbst zurückgeworfen sein, auf unsere eigene Armseligkeit.

Schauen wir hin, wie liebevoll und behutsam der Herr die Verhärtung und Verstocktheit des Thomas löst: „Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Der Herr lässt Thomas nicht fallen, ja er wirbt geradezu um seinen Glauben. Vergessen wir nicht: Schritte des Glaubens sind Schritte in die Freiheit, in die Freiheit von uns selbst und von allen Mächten, die uns belasten und einengen. Gerade in Zeiten innerer Not, in Zweifel, Angst und Glaubensanfechtung sollen wir zu Gott rufen und ihn um seinen Geist und seinen Frieden bitten.

Es sind gerade unsere Wunden, die zu Einfallstoren der Gnade Gottes werden können. Es ist unsere Schwachheit, in der Gottes Kraft sich als mächtig erweisen kann. Durch seine Wunden heilt er unsere Wunden. Weil der Gekreuzigte auch der Auferstandene ist, weil aus seinem Tod das unvergängliche Leben erstanden ist, deshalb dürfen wir in der Verwundbarkeit unserer menschlichen Existenz gläubig beten: Mein Herr und mein Gott!   

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 7. April 2013

Lesungen zum zweiten Sonntag der Osterzeit am 7. April 2013