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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Wem das Herz aufgeht

Bei allem, was Jesus sagt und tut, geht es ihm um das Herz. Damit ist jener Punkt in uns gemeint, in dem die Gefühle ihren Sitz haben; wo wir zutiefst betroffen sind im Schmerz und in der Freude; wo wir bei uns selbst zuhause sind; wo wir die größte Kraft spüren und die höchste Erfüllung finden. Es geschieht, wenn sich zwei Menschen in diesem innersten Punkt berühren. Da ereignet sich dann das Kostbare, das mit dem Wort „Liebe“ bezeichnet wird. 

Man kann auch sagen: Herz ist das, was unser wahres Wesen ausmacht. Heute klagt Jesus darüber, dass er diesen Punkt bei denen nicht erreicht, welche das Gesetz, das heißt den geschriebenen Willen Gottes, zu bewahren und den Menschen zu verkünden meinen. Er kommt sich vor, als ob er bei ihnen wie vor einer Wand stünde.

Andererseits spürt man förmlich seine Freude, wenn er Menschen begegnet, die ihm ihr Herz öffnen. So ist es bei jener Frau, die, als Sünderin stadtbekannt, es wagt, beim Gastmahl der Frommen zu erscheinen. Sie will Jesus ihre Dankbarkeit zeigen. Sie mag ihm schon vorher begegnet sein in einem Gespräch oder nur in einem Blickkontakt. Dies hat bei ihr alles umgedreht. Sie spürt ein solches  Glück, dass sie fassungslos vor Freude weint und versucht, ihre Liebe auszudrücken.

Eine andere Szene ist die mit dem Zöllner Zachäus auf dem Baum. Als Jesus ihn anspricht, geht für ihn der Himmel auf: Er, der Verachtete, an dem man vorbei geht, der kein Wort und keinen Gruß wert ist! Bei ihm, der in den Augen der Leute ein Nichts ist, will Jesus einkehren. Als der Mann, der nur sein Geld kennt, erfährt, er ist dem großen Meister einen Besuch wert, kippt alles in ihm um. Es ist ein ganz anderes Gefühl als das beim Blick in die  gefüllten Kassen. Er spürt etwas von Weite und Freiheit, von etwas Wunderbarem und Kostbarem. Das Geld, das ihm bisher alles bedeutete, hat für ihn seinen Wert verloren. Mit Leichtigkeit kann er die Hälfte verschenken. Und Jesus freut sich mit ihm, weil er das Echo gefunden hat, das er sucht. Er erkennt ihn als echten Sohn Abrahams und gibt ihm seine Würde zurück.

Jesus sieht seinen Auftrag nicht darin, darüber zu wachen, ob die Gesetze eingehalten werden. Ihm geht es darum, das Herz eines Menschen zu berühren. Es wandelt sich dann von selbst. Er überspringt die Grenzen der damaligen sozialen und religiösen Regeln. Dies unterscheidet ihn von allen, die zwar laut die hohen Ideale verkünden, aber vom betroffenen Menschen mit seinen Möglichkeiten und Grenzen oftmals weit entfernt sind.

Er bewegt sich auf einer anderen Ebene als die Gesetzeslehrer aller Zeiten. Er will unmittelbar Leben wecken, ein Feuer entzünden, das von selbst weiter brennt. Gerne wird hier das Wort „Liebe“ zitiert.  Man kann vom Gebot der Liebe reden und es immer wieder einschärfen; man kann es mit Anstrengung zu halten versuchen; oder man kann sich davon anstecken lassen wie von einem Feuer.

Im kirchlichen Raum wird Liebe gewöhnlich verstanden als Aufforderung zum Tun. Meist reduziert sich das auf das Spenden. Man sagt, um das Gebot Jesu zu erfüllen, sei das Gefühl nicht wichtig. Dem kann man nicht unbedingt zustimmen. Zur Liebe gehören Freiheit und Freude. Es ist das Herz, das Jesus meint.

P. Guido Kreppold OFMCap, Kirchenzeitung vom 30. August 2015

Lesungen zum 22. Sonntag im Jahreskreis am 30. August 2015