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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Wachsen, Reifen, Frucht bringen

Auf den Anfang kommt es an! Wir alle kennen das. Mit Feuereifer haben wir angefangen, eine Idee zu verwirklichen, ein Projekt zu beginnen, eine Sehnsucht zu erfüllen. Der Anfang ist nicht so schwer. Schwer ist es eher, nach dem Anfang durchzuhalten. Denn nach dem Eifer unseres Anfangs entwickelt sich die „Sache“ ganz anders als wir gedacht haben.

Und: auf das Ende kommt es an! Auch das ist uns bekannt. Viele gute Projekte in unserem Leben haben zwar gut begonnen, verlaufen dann aber im Sand. Es kommt kein richtiges Ergebnis heraus oder wir gelangen nicht an das gewünschte Ziel.

Ein gutes Ende ist genauso wichtig wie ein guter Anfang. Von beiden Eckpunkten spricht das Gleichnis des Evangeliums von der Aussaat. Gott wird hier verglichen mit einem Menschen, der sät. Er setzt den Anfang und wirft den Samen auf die Erde. Dann zieht er sich gleichsam zurück und wartet. Er wartet bis der Samen gewachsen ist und Frucht bringt. Sobald dies der Fall ist, setzt er ein Ende. Er erntet.

Gott selbst setzt den Anfang und das Ende. Er hat die Schöpfung ins Dasein gerufen und wird ihr am Ende der Zeiten eine Grenze setzen. Gott hat sein Wort gesprochen und damit angefangen, Mensch zu werden. Er ist als Mensch gestorben und hat in seiner Auferstehung dem Tod ein Ende gesetzt. Anfang und Ende – es sind diese beiden Zeiten, die uns entzogen sind, über die wir keine Macht haben. Und doch sind es gerade diese beiden Zeiten, die in unserer Gesellschaft immer wieder zur Debatte stehen. Gerade an sie wollen wir selbst zunehmend Hand anlegen und sie in unsere Gewalt bringen. Künstliche Befruchtung, Pränataldiagnostik, Bestimmung des Geburtstermins setzen wir an den Anfang unseres Lebens. Assistierten Suizid, Selbstbestimmung des Todeszeitpunktes setzen wir an das Ende unseres Lebens. Diese Themen sind vielschichtig und lassen sich nicht in Bausch und Bogen verurteilen – das ist gewiss. Und dennoch gerät unsere Gesellschaft in die Gefahr, die Selbstbestimmung als das höchst Prinzip zu verstehen. Wie anders lauten da die Worte des Evangeliums. Hier werden wir ja mit den Samen gleichgesetzt, die in die Erde gelegt werden. Uns wird ein Anfang geschenkt und ein Ende gesetzt. In der Zwischenzeit können wir ganz eigen wachsen und uns entfalten und wir reiche Frucht bringen. Diese Sichtweise ist in beiden Gleichnissen sehr optimistisch. Denn es wird nicht infrage gestellt, ob wir reiche Frucht bringen, sondern es wird sogar gesagt, dass selbst das kleine Senfkorn zu einem großen Baum heran wachsen wird, der den Vögeln Schatten spendet. Welch eine Ermutigung!

Unsere Tätigkeit beschränkt sich auf das Zwischen. Vom Anfang bis zum Ende sind wir gefragt, sind wir zum Reifen und Wachsen aufgerufen. Dies ist eine lange Zeitspanne, eine große Chance, ein riesiges Unternehmen. In dieser Zwischenzeit können wir Großes vollbringen, wenn auch der Anfang nur ganz klein und das Ende jäh ist.

Die Selbstbestimmung aber, die in unseren Tagen so oft gefordert wird, hört sich im Evangelium entgegengesetzt an. Die Selbstbestimmung, von der hier die Rede ist, ist eher eine Selbstvergessenheit. Denn der Same und das Senfkorn wachsen ja von ganz alleine. Die Selbstvergessenheit erst bringt reiche Frucht hervor. Gerade weil wir uns geschenkt sind und weil wir uns genommen werden, können wir uns vertrauend und glaubend dem eigenen Reifungs- und Wachstumsprozess hingeben. Denn so wie uns Ursprung und Ziel gegeben sind, ist uns auch die Frucht verheißen, die in uns wächst ohne unser Zutun

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 14. Juni 2015

Lesungen zum 11. Sonntag im Jahreskreis am 14. Juni 2015