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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Sich der Wahrheit des eigenen Lebens stellen

Auch ich verurteile dich nicht“ – dieser „Freispruch“ ist wohl der schönste Satz in der Szene Jesu mit der Ehebrecherin. Aber nicht nur für sie birgt die Begegnung mit Jesus die Chance zum Umdenken und einem  Neuanfang.

Von den Pharisäern, die Jesus eine Falle stellen wollen – spricht sich er für die Frau aus, stellt er sich gegen das Gesetz, wendet  er sich gegen sie, stünde er im Widerspruch zu seiner eigenen Vergebungsbotschaft –, lässt er sich nicht in die Enge treiben. Er lässt sie zunächst einfach nur stehen und überlässt sie ihren eigenen Gedanken. „Als sie hartnäckig weiterfragten“ hält er ihnen mit einem einzigen, kurzen und doch so wuchtig-souveränen Satz den Spiegel vor und zwingt sie, sich der Wahrheit des eigenen Lebens zu stellen.

Nach Anselm Grün verunsichert er „die, die so sicher daherkommen. Er konfrontiert die, die die Frau verurteilen wollen, mit sich selbst und ihrer Wahrheit.“ Wir Menschen sind es gewohnt, zu urteilen – am liebsten über die anderen. Und wir sind es gewohnt, eigene Schuld auf andere abzuwälzen und  so von unseren eigenen Fehlern und unserer eigenen Hartherzigkeit abzulenken. Doch Jesu Wort konfrontiert mit der Wahrheit. In der Betrachtung dieser Bibelstelle durch Augustinus heißt es, es bleiben zwei zurück: „die Erbarmungswürdige und das Erbarmen, die Arme, und der, der ein Herz hat für die Arme.“

Gottes Wort ruft in die Wahrheit

Und dann fällt dieser wunderschöne Satz: „Auch ich verurteile Dich nicht.“ Immer wieder betont Jesus in den Evangelien, dass er nicht gekommen sei, zu richten, sondern zu retten. Das heißt aber nicht, dass er das Verhalten der Frau entschuldigen oder gar gutheißen würde. Im Zusammenhang der gesamten Botschaft Jesu ist die Nicht-Verurteilung kein Freibrief, zu tun und zu lassen, was man will. Sie ist vielmehr ein Ruf in die Umkehr. Auf das „Auch ich verurteile Dich nicht“ folgt das „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“

Der Sünderin, die bisher nur die Kälte des Urteils erfahren musste, schenkt er die Wärme seiner barmherzigen Liebe. Und er traut ihr zu, dass sie nicht mehr sündigt, dass sie es schaffen kann, nicht mehr in alte Gewohnheiten zurückzufallen, ein anderes Leben führen zu können, das ihr mehr entspricht. So schenkt er nicht nur Verzeihung, sondern auch Vertrauen und Zuversicht in den künftigen Weg.

Dass wir nicht mehr sündigen, wird nach Klaus Berger nicht durch Moralpredigten erreicht, sondern nur durch einen Einbruch Gottes in das je eigene Leben. Gerade die von Christus gestifteten und der Kirche anvertrauten Sakramente sind solche heilsamen Unterbrechungen unseres Lebensweges.

Und in jeder Beichte „wiederholt sich“ die Begegnung Jesu mit der Sünderin: sie ist ein Gericht. Aber ein Gericht, bei dem am Ende jedes Verfahrens der Freispruch steht. Mit den Worten Klaus Bergers: „Dort, wo staatliche Gerichte und Moral à la Kant nur verurteilen kann, nämlich in allen Fällen offenkundiger Schuld, dort bietet die Kirche seit zweitausend Jahren im Namen Jesu immer wieder den Freispruch durch den heiligen Gott an, die glückliche Möglichkeit zum Neuanfang (...).

Welch wunderbares Geschehen, dass in unserer Kirche Menschen, die sich durch ihre Tat ins Abseits gestellt haben, nach der Beichte wieder voll und ganz und ohne Rest dazu gehören können. Eben weil es nicht um Moral geht, sondern um den heiligen Gott.“
Und deshalb: Hab Mut! Auch Dich verurteilt er nicht!

Michael Wohner, Kirchenzeitung vom 13. März 2016

Lesungen zum fünften Fastensonntag am 13. März 2016