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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Persönliche Offenheit und Zuwendung nötig

Uns allen ist das Sprichwort bekannt: Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht! „Nicht ganz dicht ...“ – das meint so viel wie: da drückt sich jemand davor, eine eigene  Meinung zu äußern. „Für alles offen sein ...“ – das meint hier so viel wie: da will sich jemand nicht festlegen, da will jemand überall  und nirgends mitmachen. Hier ist also von  einer Offenheit die Rede, die nicht differenziert  zwischen wesentlich und unwesentlich, eine Offenheit ohne Profil.

Von einer ganz anderen Offenheit spricht das Evangelium des 23. Sonntags. Jesus ist offen und zwar in einer ganz entschiedenen Weise. Er ist offen für die Not des Taubstummen, der auf ihn zukommt und ihn um Hilfe bittet.  Jesus ist offen für diese eine Person, die ihm aus der Menge heraus entgegen gebracht wird. Diese eine Person nimmt er zu sich und geht  mit ihr beiseite. Er zeigt sich also offen  gegenüber einem bestimmten Anliegen und grenzt seine Offenheit gleichzeitig ein  gegenüber anderen. Fast könnte man sagen, dass Jesus eine unsichtbare Türe schließt  vor den Augen und Ohren der großen  Menschenschar, um sich in seiner Zuwendung ganz zu konzentrieren und nicht zu verlieren. In seiner Offenheit zeigt Jesus klare Grenzen auf! Jesus will sich jetzt einer Person ganz  zuwenden.

Was sich hier in der Erzählung des  Evangeliums vollzieht, ist ein Geschehen von Person zu Person, wie in einem geheimen  Zirkel, sehr eigen. Die Zuwendung Jesu öffnet dem Taubstummen Mund und Ohren. Dabei ist es der Taubstumme selbst, der zur Aktivität  aufgefordert wird. „Öffne dich“ ist der  Befehl, den Jesus dem Taubstummen  zusagt. Das Evangelium lässt es offen, wer das  Wunder vollbringt. Klar wird nur, dass in der ganz personalen Begegnung zwischen dem Taubstummen und Jesus sowie im Gebet Jesu an den Vater im Himmel eine Öffnung geschieht, die alle Fesseln der Taubheit und Stummheit hinweg nimmt.

Und genau dieses Geschehen kennen auch wir. Wir wissen zutiefst, wie befreiend es ist, wenn sich jemand uns ganz zuwendet, von  Angesicht zu Angesicht, von Person zu Person. Alle Virtualität und Medialität unserer Zeit können diese ganz menschliche Berührung nicht ersetzen. Es genügt eben nicht, wenn wir technisch gut vernetzt und ausgerüstet sind.  Im Gegenteil: Untersuchungen zeigen, dass gerade die Technisierung unserer Kommunikation zu einer inneren Taub- und Stummheit führt, die letztlich niemand mitbekommt. Die konkrete helfende menschliche Person  ist durch nichts zu ersetzen! Das sollte gerade für unsere Seelsorge ein bleibender Maßstab sein. Es braucht in Notsituationen eine leibliche Hand und ein leibliches Gesicht. Nur  diese sinnlichen Erfahrungen können uns eine  persönliche Offenheit voneinander und  Zuwendung zueinander offenbaren. Nur diese  ganz greifbaren und sichtbaren Erfahrungen  können unsere innere Stummheit und  Sprachlosigkeit, unsere innere Taubheit  und Schwerhörigkeit heilen. Gerade des- wegen ist Gott selbst eine menschliche Person  geworden, um uns sein Antlitz und seine  leibliche Gegenwart und Liebe zu zeigen.

Dieses Evangelium ist tatsächlich eine  Frohe Botschaft für die Menge damals und  für uns heute: Dort, wo wir uns ganz und gar  aufeinander einlassen, von Du zu Du, kann  Heilung geschehen.

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 6. September 2015

Lesungen zum 23. Sonntag im Jahreskreis am 6. September 2015