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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Mut zur Demut

22. Sonntag im Jahreskreis, 1. September 2013

Ein Schüler kam zu einem Rabbi und fragte: „Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Warum gibt es die heute nicht mehr?“ Darauf antwortete der Rabbi: „Weil sich niemand mehr so tief bücken will.“

Trifft diese kleine Geschichte nicht auch unsere heutige Situation? Keiner will sich mehr bücken. In unserer Gesellschaft strebt man eher danach, den Kopf über andere hinauszurecken. Selbstverwirklichung ist das Zauberwort unserer Zeit. Demut ist zu einer unpopulären Tugend geworden, wohl auch deshalb, weil in früheren Zeiten zuviel Missbrauch mit diesem Begriff getrieben wurde.

Demut bedeutet ja Mut zum Dienen, doch bringen immer weniger diesen Mut auf. Dienen kann letztlich kein Schwacher, der von der Angst umgetrieben wird, zu kurz zu kommen. Von dieser Angst aber sind viele besetzt, die davon träumen, ihr Stück vom großen Kuchen abzubekommen.

Mehr haben als andere, wichtig sein, Macht besitzen: das ist es doch, was zählt in einer Ellenbogengesellschaft, wo nur das Recht des Stärkeren herrscht. Finden die Menschen auf diesem Weg wirklich ihr Glück? Die vielen seelischen und körperlichen Leiden von Menschen in unseren hochentwickelten Industrienationen scheinen da in eine andere Richtung zu weisen. Diese geplagten Menschen haben Gott aus dem Auge verloren. Das ist ihre eigentliche Krankheit. Für ihr Ansehen, ihr Bankkonto und ihre Karriere sind sie bereit, alles zu opfern. Sie werden jedoch nur Frieden finden, wenn sie die Regel befolgen, die Jesus im heutigen Evangelium den Hochzeitsgästen gibt: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Der moderne Mensch muss es wieder lernen, sich zu bücken. Damit ist nicht katzbuckeln oder kriechen gemeint. Von dieser Haltung gibt es schon genug im öffentlichen Leben. Gott will nicht, dass wir uns um irgendwelcher Vorteile willen verbiegen. Vielmehr geht es um die Erkenntnis der eigenen Geschöpflichkeit und die Anerkennung der damit verbundenen Grenzen. Es geht um die Einübung des Kleinseins vor Gott, um „das Geheimnis unserer leeren Hände“.

Dieser Gott hat sich selbst tief gebückt in seiner Liebe für den Menschen. Er hat sich entäußert und ist Mensch geworden. Mit dieser „Karriere nach unten“ gab Gott ein Beispiel vollendeter Demut. Er besaß die Kraft, uns Menschen zu dienen in der Haltung einer Liebe, die auch das Oper des eigenen Lebens nicht scheute. Diese Lebensbewegung Jesu führte schließlich zu seiner letzten Erhöhung im Reich seines Vaters. In diese Bewegung des Dienens will der Herr uns mithineinnehmen. In der Gemeinschaft der Jünger Christi gibt es keine andere Größe als die des Dienstes.

Mut zur Demut! Das ist eine mehr als zeitgemäße Forderung für die Menschen unserer Zeit. Dies kann im Stillen und Verborgenen geschehen oder vor den Augen der großen Öffentlichkeit. Gerade die Großen in dieser Welt sollten nie die Mahnung aus dem Buch Jesus Sirach vergessen: „Je größer du bist, um so mehr bescheide dich, dann wirst du Gnade finden bei Gott.“ Folgen wir also dem Herrn auf dem Weg der Demut, damit er auch zu uns einmal beim ewigen Hochzeitsmahl sagen wird: „Mein Freund, rücke höher hinauf.“

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 1. September 2013

Lesungen zum 22. Sonntag im Jahreskreis am 1. September 2013