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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Ich wünsche uns Osteraugen ...

Warum eigentlich gelten Zweifler realistischer als Gläubige? Das Osterevangelium vom „ungläubigen“ Thomas gilt vielen als Symbol für den modernen und aufgeklärten Menschen. Er ist Realist! Und als Realist ist Thomas zunächst ein Zweifler, einer also, der erst einmal hinterfragt und nicht gleich jedem Glauben schenkt. Ein Zweifler, heute würde man sagen ein Skeptiker. Vom ursprünglichen Wortsinn her bedeutet Skepsis „Betrachtung, Untersuchung, Prüfung“; zugrunde liegt das griechische Verb sképtesthai = „schauen, spähen, betrachten, untersuchen“. Erst in der späteren Philosophiegeschichte entwickelt sich die Skepsis zu einer „Disziplin des Zweifelns“. Es geht darum, die Wahrheit heraus zu finden, indem alle Gewissheiten auf den Prüfstand kommen. Eine bewährte Methode der Wissenschaften. Um die Wahrheit heraus zu finden sucht der Zweifler nach Möglichkeiten der Überprüfung, die möglichst zweifelsfrei sind.

Thomas wählt im Evangelium die Methode der sinnlichen Wahrnehmung. Er will berühren, fühlen, tasten und vor allem sehen. Es ist ein uralter Streit, ob Thomas im Evangelium tatsächlich seine Finger in die Wunden Jesu gelegt hat. Geprägt sind wir von Bildern der großen Maler, allen voran Caravaggio, der auf seinem Gemälde zeigt, wie der Apostel Thomas seinen Finger in die Seitenwunde Jesu legt. Jedoch: Davon steht nichts im Evangelium.

Jesus fordert Thomas zwar auf, seinen Finger herzureichen und ihn in seine Seite zu legen. Dann aber berichtet das Evangelium davon, dass Thomas gläubig antwortet: „Mein Herr und mein Gott.“ Und Jesus erwidert: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du.“ Thomas hat gesehen!

Es reicht also das Auge, um zum Glauben zu kommen. Dies ist übrigens das gleiche Geschehen wie bei Maria Magdalena, der der Auferstandene verbietet, sie zu berühren. Auch für sie ist das Sehen maßgeblich. Es geht allerdings um ein anderes Sehen als das bloße Sehen mit den sinnlichen Augen. Es geht um ein Sehvermögen, das mehr zu sehen vermag als es die normale Realität uns vorgibt. Wer den Auferstandenen sehen will, der braucht ein Auge, das dahinter blickt oder darüber hinaus. Ein Auge des Glaubens.

Der verstorbene Bischof von Aachen Klaus Hemmerle drückte dieses Schauen so aus:

„Ich wünsche uns Osteraugen,
die im Tod bis zum Leben sehen,
in der Schuld bis zur Vergebung,
in der Trennung bis zur Einheit,
in den Wunden bis zur Heilung.
Ich wünsche uns Osteraugen,
die im Menschen bis zu Gott,
in Gott bis zum Menschen,
im ICH bis zum DU
zu sehen vermögen.
Und dazu wünsche ich uns
alle österliche Kraft und Frieden,
Licht, Hoffnung und Glauben,
dass das Leben stärker ist als der Tod.“
   
Dr. Bettina-Sophia Karwath,
Kirchenzeitung vom 12. April 2015

Lesungen zum 2. Sonntag der Osterzeit am 12. April 2015