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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Hab? Mut! Steh? auf! Er ruft Dich!

Die Heilung des blinden Bartimäus ist wohl eine der ansprechendsten Stellen der Evangelien. Papst Gregor der Große hat den blinden Bettler einst als Bild für das ganze Menschengeschlecht gedeutet und diese letzte Wunderheilung, die Jesus vor seinem Leiden vollzieht, als eine Art konzentrierte Zusammenfassung der ganzen Heilsgeschichte: Durch die Sünde im Paradies sei der Mensch ein blinder Bettler auf dem Weg geworden. Bettler, weil er seiner besten Güter beraubt, blind, weil er verdunkelt im Geist, auf dem Weg, weil er aus der Heimat vertrieben worden sei. Doch Jesus „ging  vorüber“ und hat Rettung gebracht.

Dieses Evangelium ist aber auch ein Bild für den ganz persönlichen Glaubensweg. „Der Glauben“, so erläuterte Papst Benedikt beim Angelusgebet am 29. Oktober 2006, „ist ein Weg der Erleuchtung: Er beginnt bei der demütigen Erkenntnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit und gelangt zur persönlichen Begegnung mit Christus, der den Menschen ruft, ihm auf dem Weg der Liebe nachzufolgen.“

Bartimäus kann diesen Jesus von Nazareth  zunächst nicht sehen! Er hört von ihm. Er bekennt ihn als den Sohn Davids, den verheißenen, den ersehnten Retter der Menschen. Auch wir können Jesus nicht sehen, können nur von ihm hören durch die Botschaft des  Glaubens. Auch wir brauchen das Licht Gottes,  das Licht des Glaubens, um die Realität wirklich erkennen und auf dem Weg des Lebens gehen zu können. Wir brauchen sichere und feste Lebensorientierung, weil wir vielfach zu Bettlern um den Sinn des Lebens geworden sind.

Bartimäus gewinnt in der gläubigen Begegnung mit Jesus das verlorene (Augen-)Licht zurück und mit ihm seine volle Würde. Er steht auf und nimmt seinen Weg wieder auf. Von jenem Moment an hat er einen, der ihn führt: Jesus! Und er hat einen klaren Kurs: denselben, den Jesus geht. Der entscheidende Augenblick und Wendepunkt war die persönliche, direkte Begegnung zwischen ihm und dem Herrn, nicht der Glaube an einen Menschen, sondern an den sich in diesem Menschen zeigenden und gegenwärtigen Gott. Dieser Glaube weckt in Bartimäus eine Kraft, die ihn wieder „ganz macht“. Durch die Begegnung mit Christus findet Bartimäus auch indirekt sich selbst: Nur der Blick weg von sich selbst, hin auf den lebendigen Gott als stabiles Gegenüber seines oft so instabilen Lebens, kann den Menschen erlösen! Ja: Glaube kann heilen, weil im Blick auf  Gott – und nur in ihm – der Mensch seine Ordnung wiederfindet.

In einem neuen geistlichen Lied von Konrad  Bönig heißt es: „Ich bin oft mit Blindheit geschlagen, bin verstrickt in mein Fragen und Klagen, folge dem, der am lautesten schreit, merke schon bald, damit komm ich nicht weit. Wie Bartimäus will ich zu Jesus gehen und ihm sagen: Ich will wieder sehn. Ich bin blind für Kleine und Schwache, sehe nur meine eigene Sache, kann die Not der Armen nicht verstehn, will blind am Leidenden vorübergehen. Doch kommt der Herr einmal an meine Tür, ruf ich ihm zu: Hab Erbarmen mit mir! Meine Angst verschließt mir die Augen, will den Blick für die Schöpfung mir rauben, lässt mich Gottes Schönheit übersehn und mich am Glück der Erde vorübergehn.“

In diesem Sinn können wir uns nur immer wieder neu gegenseitig bestärken: Hab? Mut! Steh? auf! Er ruft uns! Er ruft uns dieses Evangelium, diese froh machende Botschaft zu leben und weiterzusagen!

Michael Wohner, Kirchenzeitung vom 25. Oktober 2015

Lesungen zum 30. Sonntag im Jahreskreis am 25. Oktober 2015