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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Er ist mit uns in unseren Leiden

10. Sonntag im Jahreskreis, 9. Juni 2013

Wir leben in einer Welt voller Todeserfahrungen. Kriege, Naturkatastrophen, Gewaltverbrechen ... Die modernen Medien liefern uns täglich Bilder des Todes ins Haus und machen die Leiden der Menschheit zu einem Spektakel, bei dem man seiner Entrüstung freien Lauf lassen kann.

Doch selbst die schockierendsten Nachrichten treten bald in den Hintergrund und verlieren ihre Wirkung. Wir gehen schnell wieder zur Tagesordnung über und beschäftigen uns mit unseren aktuellen Interessen. Solange das alles weit weg ist, ist es zwar schlimm, aber man kann ja doch nichts daran ändern. Unser Leben läuft weiter. Der ferne Tod berührt uns nicht wirklich.

Anders wenn der Tod uns nahe kommt, wenn er direkt in unser Leben tritt. Eine tödliche Krankheit oder der Tod eines geliebten Menschen verändern das Leben total. Alles, was bis dahin so selbstverständlich und sicher erschien, wird in seinen Grundfesten erschüttert und in Frage gestellt. Derart einschneidende Erfahrungen bedeuten für den Menschen oft eine Krise, die ihn sogar am Leben verzweifeln lassen kann.

Im heutigen Evangelium wird uns eine solche tragische Szene vor Augen gestellt. Da kommt uns ein langer Leichenzug entgegen. Der einzige Sohn einer Witwe wird zu Grabe getragen. Dieser junge Mann aus Nain war sicher der einzige Lebensinhalt seiner Mutter und die Stütze ihres Alters und nun ist er tot. Alle Hoffnungen, alle Pläne – aus und vorbei.

Wenn uns das Einzige genommen wird, was wir lieben und was unserem Leben Sicherheit gegeben hat, unterliegen wir der Gefahr innerer Erstarrung. Alles erscheint sinnlos. Wozu überhaupt noch weiterleben? Die Frau, die da hinter der Totenbahre ihres Sohnes hergeht, fühlt sich wahrscheinlich selbst bereits wie tot. Da fällt der Blick Jesu auf sie und er hatte Mitleid mit ihr. Wir werden hier Zeugen einer beispielhaften Begegnung. Das Leben selbst begegnet dem Tod. Es war das Mitleid Gottes mit der todgeweihten Menschheit, das zu seiner Menschwerdung führte. Diese Compassio (= Mitleiden) bildete die charakteristische Haltung, mit der Jesus Christus während seiner irdischen Existenz auf die Menschen zuging. Voll Liebe und Mitgefühl beugte sich der Herr immer wieder über die körperlichen und geistigen Wunden der Menschen und heilte sie. Die frohe Botschaft ist: Wir haben einen leidensfähigen Gott, dem unser Leiden und unser Tod nicht gleichgültig sind. In Jesus Christus hat er unser Leiden zu seiner Sache gemacht. Er ist mit uns in unseren Leiden und in unserem Tod, aber nicht, um uns dort zu lassen, sondern um uns hinüber zu führen ins Leben. In ihm haben wir das Leben.

„Weine nicht!“ sagte Jesus zur Witwe. Seitdem Gott in diese Welt eingetreten ist, haben wir eigentlich keinen Grund mehr zur Trauer. Die Todeserfahrungen unseres Lebens sind nicht mehr das Letzte. In der Berührung mit Jesus siegt immer das Leben über den Tod. Wir gehören nicht dem Tod, sondern dem Leben.

Noch immer werden viele Tränen geweint auf unserer Erde. Noch immer verlieren Menschen das scheinbar Einzige, das sie besitzen. Das Gefühl der Verzweiflung droht eine Welt voller Tod zu ersticken. Umso wichtiger ist es, jene Stimme nicht zu überhören, die zum Menschen spricht: Weine nicht! und Steh auf!

P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 9. Juni 2013   

Lesungen zum 10. Sonntag im Jahreskreis am 9. Juni