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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Durchbruch der neuen Schöpfung

Wie seltsam, dass der 1. Sonntag im neuen  Kirchenjahr und damit der 1. Advent mit einem Evangelium beginnt, das bedrohlich und angsteinflößend ist. Der Advent führt uns hin auf Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes. Dieses Fest verbinden wir mit Gemütlichkeit, mit friedvoller Stimmung, mit warmen Gedanken, Kerzenschein, schönen Geschenken. Wie anders die Verkündigung im Evangelium. Dort wird ein Szenario geschildert, das an einen Weltuntergang erinnert. Der Menschensohn, der naht, kommt mit einer  solchen Macht, dass der gesamte Kosmos ins Wanken gerät. Seinem Kommen werden die Menschen mit Bestürzung und Angst ent- gegen sehen. Das Evangelium zeichnet das Bild einer Katastrophe, die wir nie mit dem Wort Advent – Ankunft verbinden würden. Warum diese Weltuntergangsstimmung? Gerade in unseren Tagen begegnen wir in Europa einer Terrorwelle, die uns in anderer Weise Angst einflößt. Auch die zunehmenden Umwelt-katastrophen könnten uns vermitteln, dass das Ende nahe ist. Viele Experten meinen ja, dass unsere Erde nicht mehr zu retten ist aufgrund des hohen Energiebedarfs unserer westlichen Kultur. Sind dies tatsächlich die Anzeichen von denen das Evangelium spricht?

Von dem jüdischen Psychoanalytiker Victor Frankl stammt das Wort: Oft geben erst Ruinen den Blick zum Himmel frei! Vielleicht steckt in diesem Wort eine Wahrheit, die wir nur  allzu gerne übersehen. Das Fest Weihnachten, auf das wir uns im Advent vorbereiten, ist ein absoluter Anfang. Es ist gleichsam eine neue Schöpfung. Denn in der Menschwerdung seines Sohnes hat Gott die alte Schöpfung erneuert und die Ursünde des Menschen hinweg genommen. Die Versuchung des Menschen, so sein zu wollen wie Gott, wird von Gott unterlaufen, indem er sich seiner Gottheit entleert und selbst Mensch wird. Ein ungeheurer Gedanke, der in keiner anderen Religion Bestand hätte. Nur das Christentum vertritt den Glauben an einen Gott, der absolut transzendent und zugleich absolut immanent ist. Gott ist nicht nur ein naher Gott, ein DU, zu dem wir sprechen können. Gott ist in jedem Menschen präsent und will in jedem Menschen zur Welt kommen.

Dieser umwälzende Glaube ist tatsächlich eine kosmische Wende. Und sie geht einher mit dem Zusammenbruch bestehender Glaubens- und Weltvorstellungen. Etwas wirklich Neues kann ja nur entstehen, wenn das Alte radikal verschwindet. Das aber ist ein gewaltsames Geschehen. Denken wir an unser eigenes Leben. Falsche Lebensgewohnheiten und Einstellungen sind nur schwer zu verändern. Bei aller Einsicht, die wir haben, bei aller Reue, kommen doch die alten Gewohnheiten immer wieder hervor – wie Unkraut im Garten. Deswegen ist auch die Beichte nicht ein einmaliges Sakrament, das wir empfangen, sondern ein immerwährendes Geschehen. Immer wieder kehren wir um und besinnen uns auf das Eigentliche in unserem Leben. Es gibt aber auch die Erfahrung, dass wir mit uns selbst so am Ende sind, dass wir meinen vor einem Trümmerhaufen zu stehen und nicht mehr weiter gehen zu können. Diese Augenblicke der ganz persönlichen  Katastrophen sind Momente, in denen die neue Schöpfung durchbrechen kann. Denn diese ganz menschlichen Ruinen können den Blick frei geben für den kommenden Menschensohn, der unser Leben teilt. Wir selbst erleben in  solchen Stunden Schmerz und Angst, wir verstehen nicht, was geschieht. Doch das Evangelium ermutigt uns, nicht den Kopf einzuziehen ob unserer Schwäche und in Niedergeschlagenheit zu verfallen. Unsere kleinen und großen Tiefpunkte sind die Höhepunkte von Gottes Ankunft in uns und unter uns. Deswegen:  Richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe!

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 29. November 2015

Lesungen zum 1. Adventssonntag am 29. November 2015