Zum Inhalt springen

Die ganze Kunst der Menschwerdung

19. Sonntag im Jahreskreis, 12. August 2012

Die Juden kennen den jungen Rabbi, er ist ja „von hier“. Er ist ein Kind ihrer Stadt: „Ist das nicht der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen?“ Und der soll uns etwas zu sagen haben? Nein, das geht ja wohl wirklich nicht! „Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Warum aber murrten die Juden eigentlich gegen Jesus? Ist es nur die Aussage, dass er das Brot sei, das vom Himmel herabgekommen ist? Warum war ihnen Jesus damals zuwider?

Im Grunde murren sie doch, weil sie sich Gott anders vorstellen: mächtig, allen normalen Vorstellungen von Menschlichkeit enthoben. Der einfache Zimmermannssohn soll sich nicht einbilden, ein Prophet zu sein und Gott im Munde führen zu dürfen – und schon gar nicht, dass er Gottes Sohn sei! Wenn wirklich von Gott die Rede sein soll, dann muss er sich anders zu erkennen geben. Etwa wie wenn um Mitternacht ein Komet am Himmel erscheinen würde oder wie wenn plötzlich ein Tier mit zwei Köpfen zur Welt käme – allenfalls durch derlei Spukhaftes oder Gespenstisches könnte Gott beglaubigt werden. Nicht aber, wenn jemand dreißig Jahre lang mit allen anderen zusammen lebt und sein Handwerk tut. Und will dann plötzlich sagen, dass er weiß, wie man richtig leben könnte.

Und warum murren wir? Was passt uns nicht an denen, die was zu sagen haben? Heute murren viele gegen eine menschliche Kirche, in der es auch Fehler und Schwächen gibt und geben darf, selbst heute geben darf. Auch die Zeichen von Brot und Wein sind vielen Menschen zu einfach, um darin das Geheimnis des Glaubens wahrzunehmen – das Geheimnis, dass uns die Liebe unseres Gottes gegeben sein soll, ein neuer Bund des Friedens mit ihm und untereinander.

Warum ist Gott so einfach? Es ist die Sprache der Liebe, in der wir – nur im Vertrauen auf ihn – auch Wunder erfahren. Gott will uns nicht klein, sondern groß machen. Vielleicht sind es die Kleinen und Unscheinbaren, die für Gott am meisten aufgeschlossen sind. Die Übrigen aber, die sich für so stark, mächtig und wichtig halten, verpassen womöglich das bisschen Glück, das es auf Erden gibt.

Das Ungewöhnliche zu entdecken im ganz Gewöhnlichen, das Großartige im Unscheinbaren, das Göttliche im Allzumenschlichen, das ist die ganze Kunst der Menschwerdung unseres Gottes damals, heute und immer wieder – und in einem jeden von uns.

Pfarrer Matthias Fischer, Kirchenzeitung vom 12. August 2012

Lesungen zum 21. Sonntag im Jahreskreis am 26. August 2012