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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Die bessere Ernte: Gerechtigkeit

Wir feiern Erntedank. Dazu eine kleine Geschichte als Einstimmung: „Ein ungläubiger Spötter schrieb an den gläubigen Schriftleiter einer Tageszeitung: Geehrter Herr! Dieses Jahr habe ich einen beachtenswerten Versuch unternommen. Im Frühjahr habe ich jeden Sonntag gesät, anstatt in die Kirche zu gehen. Im Sommer habe ich jeden Sonntag auf dem Feld gearbeitet, und im Herbst jeden Sonntag geerntet. Meine Ernte ist wesentlich besser als die meiner Nachbarn, die jeden Sonntag in die Kirche liefen. Was sagen Sie dazu? Der Schriftleiter veröffentlichte den Brief und schrieb darüber: Gott begleicht seine Rechnung nicht immer im Oktober.“

Gleicht dieser spöttische Zeitgenosse nicht jenem reichen Mann aus dem heutigen Evangelium, der so stolz ist auf seinen großen Vorrat an Getreide und selbstgenügsam zu sich spricht: „Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!“ Doch Gott entlarvt seine Kurzsichtigkeit mit den Worten: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?“

Der Mensch im Wohlstand vergisst sehr schnell, von wem er letztlich seine Güter empfangen hat, und glaubt stolz, auf Gott verzichten zu können. Doch irdischen Reichtum sammeln, ohne dabei an Gott, den Geber alles Guten, zu denken, heißt die Rechnung ohne den Wirt zu machen.

Es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben, die glaubten, wenn sie nur genügend Geld und Macht besäßen, dann gehöre ihnen die ganze Welt. Doch auch sie mussten und müssen erkennen, dass es Dinge gibt, die man nicht kaufen kann, und dass es sich dabei um die wesentlichen Dinge im Leben handelt wie die Liebe und das ewige Leben.

Deshalb warnt Jesus im Evangelium die Volksmenge: „Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluß lebt.“ Nicht der Reichtum als solcher ist schlecht, sondern die Haltung der Überheblichkeit. Wenn wir heute Erntedank feiern, dann tun wir das, weil wir wissen: ohne den Segen Gottes und seinen lebenspendenden Atem, der die ganze Schöpfung erfüllt, hätten wir nichts, wofür wir danken können.

Die Erkenntnis, dass aller materieller Segen in letzter Konsequenz ein Geschenk Gottes ist, soll die Beschenkten dazu führen, an ihre Brüder und Schwestern in Not weiterzuschenken. „Wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen.“ Es ist daher sinnlos, sich an seinen Besitz zu klammern.

Folgen wir lieber der Mahnung des Apostels Paulus im ersten Brief an Timotheus: „Sie sollen wohltätig sein, reich werden an guten Werken, freigebig sein und, was sie haben, mit anderen teilen.“ Der Erntedanksonntag erinnert uns immer auch an unsere soziale Verantwortung. Auf diese Weise werden wir reich vor Gott und sammeln uns einen Schatz, um das wahre Leben zu erlangen.

Paulus gibt uns heute ein klares Erfolgsrezept in die Hand, das uns zu solchem Reichtum vor Gott verhelfen soll: „Strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut.“

Dabei brauchen wir keine Angst zu haben, dass wir durch die Übung dieser christlichen Tugenden ärmer oder schwächer werden als andere, denn – so hat es Ricarda Huch einmal ausgedrückt – „Liebe ist das Einzige, das wächst, wenn man es verschwendet.“  
                                      
P. Gregor Lenzen CP, Kirchenzeitung vom 5. Oktober 2014

Lesungen zum 27. Sonntag im Jahreskreis am 5. Oktober 2014