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Lesungen zum 12. Sonntag im Jahreskreis am 22. Juni 2014

Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Die Angst des Menschen und die Furcht vor Gott

Vor einiger Zeit las ich einmal einen interessanten Artikel mit der Überschrift: „Die Angst vor der Angst“. Darin ging es um verdrängte Ängste, ihre Ursachen und Erscheinungsformen sowie um die Art und Weise, wie der Mensch ihnen begegnen kann. Anscheinend haben Menschen noch nie so viel Angst gehabt wie in unserer modernen und aufgeklärten Zeit. Übergreifende und große Gefahren von außen, aber auch ganz tief im Inneren desMenschen sitzende Ängste sind schuld daran.

Gerade die seelischen Krankheiten nehmen immer mehr zu. Dies scheint mit einem Mangel an innerer und äußerer Geborgenheit zusammenzuhängen. Unsere schnelllebige Zeit verändert sich so rasch. Jeden Tag strömt eine Flut unterschiedlichster Informationen auf uns ein. Alles scheint im Fluss zu sein. Noch nie haben Begriffe wie Religion, Moral und Ethik so viele Wandlungen erfahren. Das menschliche Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Stabilität bleibt da völlig auf der Strecke. Angst zu haben in einer knallharten Umwelt, in der nur der Stärkere gewinnt, ist jedoch nicht akzeptabel. Wer voll im Leben stehen will, hat keine Angst zu haben. Die Folge davon sind Verdrängung und Betäubung, rastlose Tätigkeit und Zerstreuungen. Doch all diese Fluchtversuche sind zwecklos, denn verdrängte Ängste kommen immer wieder und werden stärker.

Der Herr sagt uns heute im Evangelium: „Fürchtet euch nicht vor den Menschen! (...) Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.“ Nur die Gottesfurcht überwindet die Menschenfurcht. Je mehr man sich im Glauben selbst loslassen und auf Gott einlassen kann, umso freier wird man von der Angst um sich selbst. Je mehr man sich nach dem göttlichen Leben ausstreckt, umso mehr verliert man die Angst um sein irdisches Leben.

In den Überlieferungen der altägyptischen Wüstenväter habe ich dazu folgende Geschichte gelesen: „Ein Mönch war erst 18 Jahre alt und wohnte allein in seiner kleinen Hütte. Des Nachts zogen Räuber gegen ihn aus. Obwohl sie vom Abend bis gegen Sonnenaufgang zwischen Meer und Sumpf hin und her schweiften, konnten sie doch seine Ruhestätte nicht ausfindig machen. Erst am hellen Tag stießen sie auf den Knaben und fragten ihn scherzhaft: Was würdest du tun, wenn Räuber zu dir kämen? Er gab zur Antwort: Wer nichts hat, braucht sich vor Räubern nicht zu fürchten. Gewiss, erwiderten sie, aber du kannst getötet werden. Freilich kann ich das, antwortete er, aber ich fürchte keinen Räuber, weil ich zu sterben bereit bin.“

Gott ist unser wahrer und eigentlicher Schatz, den uns niemand nehmen kann. Der Glaube an ihn lässt die Angst vor den Umtrieben und Machenschaften der Menschen schwinden. Das erkennen wir auch am Beispiel des Propheten Jeremia, der furchtlos eintrat für die gerechte Sache. Grund für solche Furchtlosigkeit war seine Überzeugung, die aus diesen Worten spricht: Der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held (...) dir habe ich meine Sache anvertraut (...) er rettet das Leben der Armen aus der Hand der Übeltäter.“ Wer sich so in Gott geborgen weiß, in dem wächst eine große innere Freiheit und Stärke.

Der geistliche Schriftsteller Henri Nouwen schrieb einmal: „Furcht und Angst weichen nie ganz von uns. Aber langsam verlieren sie die Macht über uns; eine tiefere und zentralere Erfahrung beginnt sich abzuzeichnen: die Erfahrung der Dankbarkeit.“

P. Gregor Lenzen CP,Kirchenzeitung vom 22. Juni 2014