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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Der Schlüssel zum Herzen

 

Das Bild des Hirten, der mit seiner Herde lebt, scheint vergangenen Zeiten anzugehören. Umso mehr freuen wir uns, wenn wir auf einem Feld einer Schafherde begegnen. Es überrascht, wie der Schäfer die Tiere mit leichter Mühe lenkt, wie er sich ihrem Rhythmus des Weidens und Wanderns anpasst. Ein Bild des Guten Hirten, das uns nahe geht.

Wenn sich Jesus als den guten Hirten bezeichnet, dann geht es ihm um anderes als um einen Besitzer, der um sein Eigentum besorgt ist. Auch will er keineswegs den Knecht miss-achten, der seinen Lebensunterhalt mit Schafe hüten verdient. Vielmehr gilt es, die innere Nähe wahrzunehmen, die sich einstellt, wenn ein Mensch mit den Tieren lebt. Sie reicht so weit, dass ein Hirt jedes Schaf ,,persönlich“ kennt, ihm einen Namen gibt.

Der Name ist der Schlüssel zum Herzen eines Menschen. Erinnern wir uns an die Szene am Ostermorgen, als Jesus Maria von Magdala mit ihrem Namen anspricht. Sie antwortet spontan: „Mein Meister“ (Joh 20,16), weil sie ihn erkannt hat, zutiefst berührt und ergriffen. Die Begegnung am Ostermorgen dürfen wir als Urszene des Glaubens an Jesus begreifen, als die „Berufung“ im wörtlichen Sinn. Es entspricht dem Bild vom Hirten und von den Schafen. Wir sind aber nicht nur die, die gerufen werden, wir selbst können den Namen Jesu aussprechen und damit sein Wesen in uns wachrufen.

Wir dürfen an die Praxis des Jesus-Gebetes denken, durch das die Gegenwart Christi spürbar wird. Es sei an die „Erzählungen eines russischen Pilgers“ erinnert. Darin schildert der Pilger seine Erfahrungen, die ihm durch das ständige Aussprechen des Namens Jesu zuteilwerden: „Das Herzensgebet erfüllte mich mit solcher Wonne, dass ich nicht glaubte, es könnte jemanden auf der Welt geben, der glücklicher wäre als ich (...) Mit unter empfand ich eine so hohe Freude, als wäre ich König geworden“.

Eines wird darin deutlich: Je mehr wir uns dem großen Geheimnis, dass Christus in uns ist, nähern, umso mehr spüren wir ein bedingungsloses Ja zu uns selbst und zu allen, denen wir begegnen. Dieses bedingungslose Ja nehmen die Menschen, ob kirchlich oder nicht, bei Papst Franziskus wahr. Es sei auch an seinen Vorgänger Johannes XXIII. erinnert, der in seiner ungezwungenen Echtheit und Güte als Guter Hirte Politik machte.

Es war die Zeit des Kalten Krieges vor 50 Jahren. Es herrschte Eiszeit zwischen Ost und West. In dieser Situation bereiste das Ehepaar Adschubej, Personen aus Moskau von höchstem Rang, den Westen. Sie kamen auch nach Rom und wurden vom damaligen Papst empfangen. Politisch war die Lage äußerst gespannt, welt-  anschaulich trafen hier die größten Gegensätze aufeinander. Der gute Hirt verstand es, eine Begegnung von Mensch zu Mensch daraus zu gestalten. Er fragte die Frau des sowjetischen Funktionärs nach den Namen ihrer Kinder. Sie heißen Nikita, Alexej und Iwan. Er erklärte deren christlichen Hintergrund und erzählte zu jedem eine Legende. Als er zum Letzten kam, sagte er: „Iwan ist ja Johannes und so hat mein Vater geheißen und das bin auch ich“. Damit hatte er die Herzen derer gewonnen, die sich als Atheisten bekannten und auf der ganz anderen Seite standen. Das Eis war gebrochen.

P. Guido Kreppold OFMCap, Kirchenzeitung vom 26. April 2015

Lesungen zum 4. Sonntag der Osterzeit am 26. April 2015