Zum Inhalt springen

Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Der Raum der Wende

Wir begegnen heute zwei Menschen in bitterster Not: Da ist ein Vater, dessen Tochter im Sterben liegt. Nichts erschüttert mehr, als wenn es um Leben und Tod des eigenen Kindes geht. Man kann sich vorstellen, dass ihm bei seiner Bitte die Stimme versagt. Es sei an den Mord an dem Mädchen in der Nähe von Neuburg erinnert, dessen Täter vor kurzem verurteilt wurde. Wenn das eigene Kind nicht mehr zurückkommt! Wenn die Hoffnung zerbrochen ist! Die andere Person, die uns entgegentritt: eine Frau mit einem Leiden, das sie unerträglich

isoliert. Ihr Zustand ist voller Peinlichkeiten. Es darf niemand davon wissen, sie kann nicht dabei sein, wo man gerne mitmacht, bei Festlichkeiten, beim ganz gewöhnlichen Zusammensein. Sie muss sich wie ausgestoßen vorkommen. Ihre Not kann sie nicht offen zeigen, sie muss sie ganz allein tragen. So kommt sie auf die Idee, Jesus heimlich zu berühren. Tatsächlich geschieht, was sie erhofft hatte: sie wird geheilt. Damit hätte die Geschichte eigentlich zu Ende sein können.

In Wirklichkeit ist dies nur die Hälfte des Wunders. Jesus spürt: da ist jemand mit einem schweren Leid, aber mit einer hohen Bereitschaft für das Wirken Gottes. Deshalb will er diesen Menschen auch sehen. Er möchte wissen, wer der oder die ist, welche ihn nicht nur am Kleid sondern mehr noch in der Tiefe seiner Seele berührt hat. Diese Person soll nicht anonym bleiben. Er möchte ihr von Angesicht zu Angesicht begegnen.

Man darf annehmen, dass von der Frau alle Angst abfällt, als sie in das verstehende und annehmende Gesicht Jesu blickt. Mit dem Wort „Geh in Frieden!“ (Mk 5,34) gibt ihr Jesus ihr wahres Wesen und ihre Würde als Frau zurück. Für sie hat sich der Himmel geöffnet. Sie kann  sich wieder in der Öffentlichkeit zeigen ohne Angst, ohne Hemmung, ohne Behinderung da sein, sich frei fühlen. Heimlichtun und Alleinsein haben ein Ende.

Inzwischen taucht das schreckliche Schicksal des Synagogenvorstehers wieder auf. Das Kind ist gestorben, es ist schon alles entschieden. So hat es den Anschein, als die Leute die traurige Botschaft bringen. „Nichts ist entschieden“, sagt Jesus zum Unglücklichen. „Hab keine Angst! Glaube nur!“ (Mk 5,36)

Einer Todesnachricht müssen wir uns alle beugen. Hier aber öffnet Jesus eine Dimension, die stärker ist als der Tod.

Als Jesus nur die drei Jünger und die Eltern des toten Mädchens mit in das Zimmer nimmt, ist es zugleich der Innenraum der Seele, in den alle eintreten. Es ist der Raum des Glaubens, in dem das Schicksal eine Wende erfährt. Tatsächlich geschieht das Unglaubliche: Auf das Wort „talitha kum“, „Mädchen steh auf!“ erhebt sich die Verstorbene und geht umher.

Die Erzählung nimmt ein gutes Ende und trotzdem sind wir ratlos, wenn es bittere Realität wird, wenn z. B. Eltern erfahren, dass der Tumor an ihrem Kind bösartig und schon fortgeschritten ist.

Hier das richtige Wort zu finden braucht behutsame Einfühlung. Es ist viel gewonnen, wenn man wie damals die Jünger mit den Betroffenen mit in den Raum der Trauer geht und sein Mitgefühl und seine Verbundenheit zum Ausdruck bringt. Gerade in diesem Dabeisein kann sich die Seele wieder beruhigen und Trost aufsteigen.

P. Guido Kreppold OFMCap, Kirchenzeitung vom 28. Juni 2015

Lesungen zum 13. Sonntag im Jahreskreis am 28. Juni 2015