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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Der Ort der Gottesverehrung

Seit dem Jahr 2000 nimmt in Deutschland eine Entwicklung ihren Lauf, die von  vielen fast unbemerkt bleibt: die Profanierung der Kirchen. Allein für die katholische Kirche lautete die Prognose damals, dass man innerhalb von zehn Jahren mit 700 Kirchen rechne, die einem anderen Zweck zugeführt würden. Manche Kirchen werden umgebaut und zu Kindertagesstätten, Fitnesscentern oder Sparkassen umfunktioniert. In manchen, besonders sehr großen Kirchen, wird ein Teil des Raumes abgetrennt für Kolumbarien (= Beisetzungsstätten für Urnen), der andere Teil bleibt für die  Gottesdienstfeier erhalten. Manche Kirchen aber werden ganz abgerissen.

Diese Entwicklung macht auch vor unserer Diözese nicht Halt. Viele Kirchen erscheinen als zu groß angesichts der geringen Gottesdienstbesucherzahlen, die Kosten für Unterhalt und Renovierung als zu aufwendig. Doch ist das die richtige Sichtweise? Die riesigen  Kathedralen des Mittelalters waren sicherlich nicht bis zum Rand gefüllt mit Gläubigen. Vielmehr war es den Bauherren und Klöstern  damals ein wichtiges Anliegen, Gott die Ehre zu geben durch eine weithin sichtbare und  kostbare Architektur. Diese Form der Kirchenbauten war neben der Gottesverehrung  auch eine unglaubliche Kulturleistung. Wenn nun Kirchenbauten mehr und mehr verschwinden aus unseren Städten und Dörfern,  so ist dies nicht nur ein Zeichen der zu- nehmenden Säkularisierung unserer Gesellschaft, sondern auch der unabsehbaren Veränderung unserer Kulturlandschaft. Kirchtürme gehören einfach ins Landschaftsbild und  geben ein stilles Zeugnis für die Grundlagen  und Wurzeln unseres christlichen Abendlandes.

Nebenbei entstehen andere Orte der christlichen Gottesverehrung. Besonders die Freikirchen haben neben der katholischen und  evangelischen Kirche einen sehr regen Zulauf. Hier versammeln sich oft Tausende von Gläubigen zum Gebet und Glaubensaustausch,  allerdings nicht in den Kirchenbauten, sondern in Fabrik- und Messehallen.

Neben all diesen beunruhigenden Erscheinungen, macht uns das Kirchweihfest auf eine andere Erfahrung aufmerksam, von der das Evangelium spricht. Es geht nicht nur um die Bauten, die ein äußeres Zeugnis geben von  unserem Glauben. Es geht in allem und vor  allem darum, wie wir unsere Beziehung zu  Gott leben. Wir müssen und dürfen Gott  immer wieder und vielleicht gerade jetzt einen  Ort sichern in uns selber und unserem Leben.
Jesus macht uns aufmerksam darauf, dass  er ganz aus der Beziehung zum Vater lebt.  Diese Beziehung, die von einem unzerstörbaren Vertrauen spricht, ist der innerste Ort unseres Glaubens.

Das Evangelium spricht von diesem Ort als der Hand Gottes. Aus dieser Hand fällt niemand heraus, Gott selbst ist der Garant seiner Anwesenheit unter uns Menschen. Das darf uns trösten und muss uns gleichzeitig heraus- fordern. Wenn schon die äußeren Bauten zunehmend einem Verfall anheim gegeben sind, so ist doch der innere Aufbau der Kirche umso wichtiger. Im Letzten ist es unser Leben, sind es unsere Beziehungen zueinander, unsere Freuden und Ängste, unsere Unzulänglichkeiten und Fähigkeiten, in denen Gott einen  Ort finden will. Das ist zwar nicht weithin sichtbar, aber es ist der Kern der christlichen Botschaft: Gott findet seinen Ort in jedem Menschen, weil er in seinem Sohn selbst Mensch geworden ist.

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 18. Oktober 2015

Lesungen zum 29. Sonntag im Jahreskreis am 18. Oktober 2015