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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Das neue Tor öffnen

Jesus zieht es von den Menschen weg in die Einsamkeit. Ihn beschäftigt, was auf ihn zukommen wird. Ihm wird immer deutlicher, dass sein Auftrag, das Volk für das Wirken Gottes aufzuschließen und die Herrschaft der Liebe zu verbreiten, nicht davon abhängt, in wie  viele Orte er kommt und wie flächendeckend die Jünger ausgesandt werden. Er wird bei  allem Jubel, den die Leute ihm entgegen bringen, die Erfolgsleiter nicht steil hinaufsteigen. Das, wozu er gekommen ist, läuft in eine ganz andere Richtung.

Der Durchbruch des Reiches Gottes ist aufs Engste mit Jesu Schicksal verknüpft, damit, wie er die Herausforderungen seines Weges annimmt, welche Ängste er bewältigt, wie er daran wächst, wie tief er als Mensch seiner innersten Wahrheit nahekommt. Mit seinen Worten gesagt: Wie er den Willen des Vaters erfüllt.

Aus seiner eigenen Geschichte weiß er: Der Aufenthalt in der Wüste, die Nähe der wilden Tiere und der Engel, die Konfrontation mit dem Satan, waren für ihn nötig, um sagen zu können: Das Reich Gottes ist nahe (Mk 1,15). Dies ist mehr als eine verkündete Nachricht,  er ist es selbst: seine Person, die Atmosphäre, die er verbreitet, die spontane Güte, die er ausstrahlt, das Feuer, das er entzündet, die Aufmerksamkeit und die Betroffenheit, die  er auslöst, und der Widerstand, den er erfährt. In dem, wie er auftritt und was er ist, hat er Mauern durchbrochen vom alten in ein neues Dasein, für ungewohnte und unerhörte Erfahrungen, für das Leben miteinander in neuer Gestalt.

Als ihm mehr und mehr Ablehnung entgegentritt, wird ihm gerade in der Abgeschiedenheit bewusst, dass da noch ein Tor zu öffnen ist. Er selbst nennt es „Taufe“ (Lk 12,50). Er muss noch einmal ganz tief eingetaucht werden in den Bereich, wo die Gegensätze aufeinander prallen. Weil er sich zum ganzen Volk Israel gesandt weiß, muss er sich dessen Führung stellen, ebenso der römischen Besatzungsmacht; er, der ganz aus seiner tiefsten Wahrheit lebt, der die Authentizität in Person ist, muss der Welt der verdrehten und verstellten Religiosität, der primitiven Leidenschaften, der Ängste, des Taktierens, der brutalen Macht sein ganz anderes Gesicht zeigen.

Dies wird ihn das Leben kosten. Er wird ein Machtloser sein, ein Ausgelieferter, mit dem man alles machen kann. Aber gerade in der Ohnmacht wird sich eine neue Welt öffnen.  Jesus sagt: „Der Menschensohn wird auferstehen“. Was mit ihm geschieht, ist das „Etwas“,  das Geheimnis, worüber Jesus die Jünger belehren will und worin sie ihn nicht verstehen.

Gerade weil sie dafür blind sind, streiten sie, wer der Erste sei. Es geht aber vielmehr um einen Lebensentwurf, der nicht vom Mangel, sondern von der Fülle geprägt ist, in dem keiner mehr um Rang und Ansehen kämpfen muss, wo Neid nicht mehr aufkommt. In diese Perspektive  des Daseins will Jesus die Jünger einführen. Dazu stellt er ein Kind in die Mitte und nimmt es auf den Arm. Es fließt ein Strom der Herzlichkeit und der Güte. Dasselbe wird sich bei denen ereignen, die sich vom Geist Gottes ergreifen lassen. Durch das Tor, das im Tod Jesu sich auftut, kann die Energie Gottes frei strömen. In der Sprache der ersten Jünger heißt das:  „Er hat seinen Geist ausgegossen“ (Apg 2,33). Nach diesem Ereignis sind sie „ ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Damit ist die Frage nach dem ersten oder zweiten Platz erledigt.

P. Guido Kreppold OFMCap, Kirchenzeitung vom 20. September 2015

Lesungen zum 25. Sonntag im Jahreskreis am 20. September 2015