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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Alles klar – oder (doch) nicht?

15. Sonntag im Jahreskreis, 14. Juli 2013

Das Evangelium vom barmherzigen Samariter ist bekannt – vielleicht sogar zu bekannt. Da reicht ein kurzer Blick um jeden der Akteure in die passende Schublade einzuordnen – fertig ist die Sache. Aber ist es wirklich so, wie es auf den ersten Blick scheint? Was passiert, wenn man einen zweiten Blick wagt? Ist es nicht genau das, wozu uns Jesus mit dieser Erzählung einlädt?

Den Ort des Geschehens kennen wir nicht. Wir hören nur von einem Schriftgelehrten, der aufsteht um eine Frage zu stellen. Die Frage selbst ist zeitlos, die Antwort liegt auf der Hand. Indem Jesus den Fragenden auffordert, selbst die Antwort zu geben, lässt er ihn erfahren, was er da eigentlich fragt und sagt. Eine etwas peinliche Situation, denn sie macht klar: Hier geht es nicht um das Reden, sondern um das Tun. Damit besteht keine Gelegenheit, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Aber: Wer ist denn nun der oder die Nächste? Jesu Antwort will nicht belehren. Sie bezieht den Fragenden gestern wie heute mit ein, möchte sie von der Ebene der Theorie auf dieser Betroffenheit lenken. So lädt Jesu dazu ein, einmal einen Seitenwechsel vorzunehmen und sich selbst einmal vorurteilsfrei in die Rolle der genannten Personen, die unterschiedliche Lebenshaltungen symbolisieren, zu versetzen.

Da ist zunächst einmal der Priester. Er steht für den Menschen, der sich nicht einmischen will. Er schätzt die Distanz – innerlich und äußerlich. Ein Grund für diese Haltung kann unterschwellig die Angst sein, selbst verletzt zu werden, wenn man sich einem oder einer anderen gegenüber öffnet. Als zweites wird ein Levit benannt. Er kann für alle stehen, die ständig in Eile sind, weil ihnen die persönlichen Verpflichtungen scheinbar für anderes keine Zeit mehr lassen. Grundsätzlich wäre man schon bereit, aber … Und dann ist da noch der Samariter – einer, der nicht dazu gehört, ein Fremder, einer, dem man im Alltag eher ablehnend gegenüber steht. Und ausgerechnet der geht hin und tut, was getan werden muss. Er behandelt den anderen so, wie er selbst gern behandelt werden möchte. Er hat einen Blick dafür, was notwendig ist und ein Herz, das mitempfindet. So verpasst er einen für ihn entscheidenden Augenblick nicht und ist bereit, sich in seinen Plänen unterbrechen zu lassen. Aus einer zufälligen Begegnung wird der Beginn einer echten Beziehung.

Warum fragt Jesus am Ende: Wer ist hier wem zum Nächsten geworden? Sicher, der Letzte – aber nur er? Geht es nicht auch um die Frage, wie ich zum Nächsten werden kann? Ist es nicht der „unter die Räuber Gefallene“, der es dem Fremden ermöglicht zum Nächsten zu werden? Ist er es nicht, der zu einer offenen Einstellung dem Leben gegenüber den Anstoß gibt, für einen wachen Blick für das, was einem begegnen will? Heute hätte Jesus als Symbolfiguren sicher Frauen und Männer aus anderen Berufsgruppen gewählt. An der Grundaussage ändert dies jedoch nichts. Damals wie heute gilt: Die Theorie kann hier nicht weiter helfen. Die Bereitschaft, dem anderen und mir selbst zum Nächsten zu werden, ist eine Herausforderung an die Praxis und will jeden Tag eingeübt werden. Wer jedoch damit anfängt oder diese Grundhaltung vertieft, wird verstehen, was Papst Benedikt XVI. meint, wenn er sagt: „Ich muss zum Nächsten werden, denn dann zählt der andere für mich – wie ich selbst.“                         

Barbara Bagorski, Kirchenzeitung vom 14. Juli 2013 

Lesungen zum 15. Sonntag im Jahreskreis am 14. Juli