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Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium

Allen Versuchungen widerstehen

Herr, ich danke dir, dass ich kein Engel  bin! – diesen Satz eines französischen Pfarrers zitiert der viel zu früh verstorbene Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle (1929-1994), in einer seiner Predigten. Es ist dieses Wort, das mir einfällt, wenn ich das Evangelium zum 1. Fastensonntag lese.

Auch bei Jesus zeigt sich: er ist kein Engel. Und ich bekenne: Gott sei Dank ist er kein Engel. Auch Jesus ist Versuchungen ausgesetzt, so wie wir alle.

Wer kennt das nicht: ich nehme mir etwas  vor, doch dieser Vorsatz erledigt sich über  kurz oder lang, weil ich ihn einfach nicht durchhalte. Von dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain ist das Wort überliefert: „Es ist kinderleicht, sich das Rauchen abzugewöhnen. Ich habe es schon 100 mal geschafft.“

Doch es geht nicht nur um solche schlechten Gewohnheiten, die wir in der nun beginnenden Fastenzeit bekämpfen.

Das Lukasevangelium spricht von einem  viel grundsätzlicheren Kampf, von einem wirklichen Drama. Jesus ringt mit dem Teufel, berichtet die Bibel. Man könnte aber auch sagen: Jesus ringt mit seinem Gott- und Menschsein. Die Versuchung, die ihn befällt, besteht ja nicht darin, dass er eine schlechte Angewohnheit oder eine Untugend besiegen soll. Die Versuchung betrifft seine ganze  Person, seinen Personkern. Es geht darum, wie Jesus der Christus sein, wie er als Mensch zugleich Gottes Sohn sein kann.

Nach Jesu Tod und Auferstehung entsteht eine Fülle von Irrlehren in der jungen Kirche, die allesamt ringen um die tatsächliche irdische, leibliche Gestalt Jesu in ihrer göttlichen Größe. Jesus ist kein Engel, also keine Zwischenexistenz zwischen Himmel und Erde – so hält die Kirche von Nicäa und Ephesus fest – sondern Jesus Christus ist ganz Mensch und ganz Gott, Gottes Sohn und Marien Sohn. Die Zwei-Naturen-Lehre der Kirche ist bis  heute eine Glaubenswahrheit, die eine dogmatische Provokation darstellt. Denn sie fordert die Kirche heraus, ganz geistlich zu leben  und zugleich ganz materiell, ganz himmlisch und zugleich ganz irdisch. Das ist ihr Zeugnis für das Leben der Welt: das Ewige zu aktualisieren im Diesseitigen und das Diesseitige im Ewigen zu verorten.

Wie kann das gehen? Das Evangelium berichtet uns davon, dass Jesus den Versuchungen des Teufels widersteht. Allerdings weist Lukas  am Ende der Perikope auch daraufhin, dass der Teufel nur für eine gewisse Zeit  von Jesus abließ.

Die Versuchungen, die uns im Kleinen wie im Großen heimsuchen, gehören zu unserem Leben. Und nicht immer gelingt es uns, ihnen zu widerstehen. Doch selbst wenn wir unseren Versuchungen erliegen, gibt es einen Weg: wir können lernen, dass wir nie ganz „Herr“ sind über unser Handeln und Denken. Eine solche Erfahrung bringt uns ganz nahe an unseren Ursprung heran. Wir haben unser Leben empfangen und wir empfangen uns weiterhin in all dem, was wir sind und tun.

So können wir auch in dieser Fastenzeit uns neu empfangen lernen von Gott, der uns Leben schenkt. Er will uns nicht als Engel, sondern als Menschen von Angesicht zu Angesicht.

Dr. Bettina-Sophia Karwath, Kirchenzeitung vom 14. Februar 2016

Lesungen zum ersten Fastensonntag am 14. Februar 2016