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02.03.2023

Das Buch Ester: Ester erzählt …

Esther und Mordecai schreiben den ersten Brief von Purim - Aert de Gelder, 1675, Repro: Wikimedia Communs/Public domain

Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Hadassa, das bedeutet Myrthe. Sie kennen mich wahrscheinlich besser unter den Namen Ester. So werde ich genannt, da ich am persischen Hof lebe. Mein Vormund – wir Frauen brauchen ja immer einen Mann, der für uns spricht – riet mir, mein Jüdin-Sein geheim zu halten. Denn fremde Religionen werden damals wie heute mit Misstrauen bedacht. Was man nicht kennt, macht Angst. Und das ist der Nährboden für Verdächtigungen, das Fremde bringe Gefahr für die religiöse und politische Ordnung und wirtschaftlichem Abschwung. Aber das kennt Ihr ja in Eurer Zeit in Bezug auf Flüchtlinge mit fremden Glauben selbst.

Um was geht es nun in meinem Buch? Weniger um mich als darum, dass unser jüdisches Volk wie so oft unter Antisemitismus zu leiden hatte, auch wenn es damals dieses Wort noch nicht gab. Haman, ein großes Tier am persischen Königshof, fühlte sich durch die seiner Meinung nach mangelnde Verehrung meines Vormunds Mordechai so gekränkt, dass er nicht nur ihn sondern gleich alle Juden im persischen Reich vernichten wollte. Durch meine Schönheit gehörte ich zum Harem des Königs und sollte bei diesem mein Volk vor dem Untergang retten. Was mir auch gelang und Mordechai zum Aufstieg in ein hohes Amt verhalf. Schließlich hatte er erneut seine Loyalität zum persischen Königshaus bewiesen. Das ist die Kurzfassung. Denn auf alles kann ich leider nicht eingehen, dazu müsstet Ihr schon in Eurer Bibel nachschlagen. Was aber auch so seine Tücken hat. Uns Frauen wird ja oft unterstellt, wir wären kompliziert. Ich finde das ja nicht, aber auf das nach mir benannte Buch trifft es zu. Denn die hebräische Fassung wurde schon früh ins Griechische übersetzt und dabei ergänzt, weil es den Übersetzern zu wenig fromm erschien. Dann gab es auch noch eine lateinische Fassung. Mit der ganzen Hin- und Herübersetzerei kam es dazu, dass meine Schrift in der jüdischen, der katholischen und evangelischen Bibel je unterschiedlich abgefasst ist. Das liegt nun aber wirklich nicht an mir, denn übersetzt und entschieden haben das ja schließlich Männer.

Aber zurück zu meiner Geschichte:
Geschrieben steht, dass meine Schönheit so groß war, dass mich der König aus seinem Harem als Königin erwählte. Ich würde sagen, dass noch mehr für mich und damit für die Entscheidung sprach, aber Frauen werden ja oft nur nach ihrem Äußeren beurteilt. Dass mehr in mir steckte wurde deutlich, als mein Vormund Mordechai mich wegen Hamans Vernichtungsplänen beschwor, das durch meine Stellung als Königin zu verhindern. Er erinnerte mich sehr vehement daran, dass ich meiner religiösen und politischen Verantwortung gerecht werden müsse. Als ob ich mir dessen nicht bewusst gewesen wäre. In meinem Fall hätte das auch den Tod bedeuten können, wenn ich ungerufen vor dem König erschiene. Engagement für Glaube und Zusammenleben kostet halt immer eine gehörige Portion Mut.
 
Zuerst bat ich über Mordechai alle Juden in der Stadt, mit mir drei Fasttage zu halten. Auch wenn in der hebräischen Fassung meiner Schrift keine Gebete von mir oder Mordechai überliefert sind, so ist das doch unser religiöser Weg, zu innerer Klarheit und Stärke zu finden. Auch wenn ich als Glaubende Gott nicht ständig im Munde führe, vertrauen ich auf sein Wirken.

Meine Strategie war es, mir den König gewogen zu stimmen, indem ich ihn und Haman zu einem Festmahl einlud. In der griechischen Übersetzung wurden beim riskanten Gang zum König noch zwei Ohnmachtsanfälle eingebaut. So als ob mich meine Ängste überwältigt oder ich mit der Waffe „vom schwachen Frauchen“ gekämpft hätte. Frauen können klug und überlegt handeln, aber wenn es darauf ankommt, ist doch gegen einen Kampf selbst mit den Waffen einer Frau nichts einzuwenden. Und es kam ja wirklich darauf an, dass mein Plan gelang. Nach dem zweiten Festmahl wagte ich das Angebot des Königs, mir jeden Wunsch zu erfüllen, anzunehmen, und um das Leben für mich und mein Volk zu bitten. Der König gewährte meine Bitte, was Haman den Kopf kostete, den er vorher doch ziemlich hoch getragen hatte.

Vielleicht denken Sie, dass ich ein wenig zu flapsig über die ganze Geschichte erzähle. Schließlich trifft der Vorwurf, dass es im sogenannten Alten Testament immer sehr blutrünstig zugeht, auf mein Buch zu. Am Ende erbitte ich als Königin, dass die Juden alle vernichten dürfen, die sich gegen uns hatten stellen wollen, und zwar genau an dem Tag, der für unseren Untergang gedacht war. Sogar einen zweiten Waffengang und die bereits toten Söhne Hamans am Galgen aufzuknüpfen veranlasse ich. Und das, obwohl die Sache bereits mit diplomatischen Mitteln gelöst schien. Aber seien Sie ehrlich: Diplomatie kommt im realen Leben oft an ihre Grenzen. Wenn Sie aktuell auf den Krieg in der Ukraine schauen, verstehen Sie vielleicht, dass wir Juden uns einfach wehren mussten, um zu überleben. Und warum wir unseren Sieg auch heute noch jedes Jahr mit einem fröhlichen Fest feiern. Mein Buch erzählt keine historische Begebenheit, sondern erinnert an das jüdische Schicksal, immer wieder um seinen Fortbestand kämpfen zu müssen und um Überlebensstrategien. Wenn Sie einmal die heitere Lesung meiner Schriftrolle in der Synagoge und das Purimfest mit seinen karnevalistischen Bräuchen miterlebt hätten, könnten Sie erahnen, dass dabei nicht die Feindschaft und das Blutvergießen, sondern der Humor und die Freude am Lebens im Vordergrund stehen. Ich überlasse es Ihnen zu entscheiden, welchen Weg Sie wählen, um den jeweiligen Herausforderungen des Lebens zu begegnen.

Text: Karolina Kammerl, Regensburg