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21.06.2021

Antisemitismus – Antijudaismus

Die Publikation ist bei der BDK digital erhältlich.

Antisemitismus – lange scheinbar eher etwas Unbedeutendes, Unterschwelliges – begegnet uns heute in einem erschreckenden Ausmaß, wie ein Blick in die Medien immer wieder zeigt. Die Nachrichten entsetzen und rufen gleichzeitig ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Eine kann z.B. sein, dass ich mir die Frage stelle, was denn mit klarer Abgrenzung gegenüber rechten Tendenzen alle Art gemeint ist. Ich bin doch kein Antisemit, keine Antisemitin und bin es auch noch nie gewesen!

Den Begriff „Antisemitismus“, der für alle Dimensionen der Judenfeindlichkeit genutzt wird, gibt es in diesem Verständnis eigentlich erst ab dem 19. Jahrhundert. Er schließt alle Formen des Judenhasses, jede Form der Abwertung etc. in allen Bereichen des politischen, sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Lebens mit ein.

Bis dahin sprach man in der Regel von „Antijudaismus“; ein Begriff, mit dem die pauschale Ablehnung des Judentums vorwiegend als religiösen Gründen gemeint ist. Man berief sich zur Rechtfertigung einer solchen Haltung auf Aussagen des Neuen Testaments. Besonders gerne verwies man auf die theologischen Auseinandersetzungen Jesu mit den jüdischen Fachautoritäten und die sich dabei abzeichnende Zunahme an Schärfe und Polemik. Bei dieser Bewertung der unterschiedlichen Auslegungsformen des gemeinsamen Alten Testaments vergaß man (und vergisst es manchmal noch heute), dass alle Aussagen stets in ihrem historischen Kontext zu sehen sind und nie auf die kommenden Zeiten oder Generationen bezogen werden dürfen. Auch darf man nicht vergessen, dass die Sprache der Diplomatie in dem Zeitabschnitt, in dem die biblische Überlieferung verschriftlicht wurde, noch nicht im Gebrauch war, wie ein vergleichender Blick auf die Schriften des klassischen Altertums zeigt.

Ein besonders gravierendes Beispiel für die Hitze der Diskussion ist die Aussage: „Die Juden haben den Teufel zum Vater.“ (Joh 8,44). Diese Aussage Jesu, wie sie ausschließlich im Johannesevangelium überliefert ist, wurde im Laufe der Geschichte immer wieder als christliche Rechtfertigung für jede Form der Judenfeindschaft (Pogrome, Kreuzzüge, Verschwörungstheorien) missbraucht.

Dass ein solches Verständnis mit der Grundbotschaft und den Lehren des Neuen Testaments unvereinbar ist, wird die Päpstliche Bibelkommission nicht müde zu betonen. Die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum sind auf der Ebene der Glaubensüberzeugung angesiedelt. Die Unterschiede laden zu einem gemeinsamen Dialog ein, der sich in besonderer Weise an den gemeinsamen Grundthemen ausrichtet. Das Ziel eines solchen Miteinanders hat bereits Papst Johannes Paul II. in folgende Worte gefasst: „ Wir (Juden und Christen) müssen zusammenarbeiten, um eine Zukunft aufzubauen, in der es keinen Antijudaismus unter den Christen und kein antichristliches Empfinden unter den Juden mehr geben wird. Wir haben viel gemeinsam. Wir können zusammen so viel für Frieden, für Gerechtigkeit und für eine menschlichere … Welt tun“ (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 145, 49f).

Lesetipp: Handreichung der Päpstlichen Bibelkommission „Das jüdische Volk und seine Schrift in der christlichen Bibel“. 24. Mai 2001 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 152). Online auf der Website der Deutschen Bischofskonferenz erhältlich.

Text: Barbara Bagorski