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Auge für Auge –
und am Ende wird die ganze Welt blind sein 

Lange waren sie unterwegs, entkräftet und geschunden. Die Todesmärsche führten die Menschen aus den KZs im Osten auch nach Bayern. Viele kamen um durch die Strapazen oder die SS. Einer von denen, die überlebten, war Oskar Edel. Sein Verbrechen: Er war Jude.

Sein Bruder war einer der Vielen, die starben. Am Ende eines kleinen Ortes in der nördlichen Oberpfalz mussten ihn die Mitgefangenen verscharren. Als dann die Naziherrschaft endlich vorüber war, machten die Amerikaner den jungen Oskar Edel zum Direktor des Basaltwerkes, genau in dem Ort, wo sein Bruder starb.

Jetzt war er am Zug. Jetzt hatte er die Macht. Kurz zuvor noch hatten Bewohner des Ortes die Gefangenen als Judenpack verhöhnt. Die Zeit der Vergeltung schien gekommen. Auge für Auge?

Oskar Edel reagierte anders. Es scheint so, als wollte er das Glück seines Überlebens mit anderen teilen. Bei den Behörden setzte er sich für „seine“ Arbeiter ein, baute Wohnungen für sie und zeigte sich großzügig, wo immer er konnte. In der sprichwörtlich „schlechten Zeit“ standen immer wieder Säcke mit Kartoffeln vor den Wohnungstüren. Stand ein Familienfest an, steckte er den Arbeitern einen Geldschein zu. Nie ein Wort über die Vergangenheit.

Möglicherweise hat Oskar Edel das Neue Testament nie gelesen. Aber das, was Jesus mit Feindesliebe meinte, nämlich die Spirale des „Wie du mir, so ich dir“ zu durchbrechen, lebte er vor.

Text: Marina und Hans Seidl, Pastoralreferenten, Thalmässing

Überschrift: angelehnt an ein Zitat von Mahatma Gandhi, vgl: dfg-vk-bonn-rhein-sieg.de/index.php/gedanken-zum-frieden

Erscheinungsdatum: 19. Februar 2014