"Aus der Mitte leben"
Teil 9: Solidarisch sein
aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 44, 31. Oktober 2004.
Wer sich zu Exerzitien anmeldet, der möchte etwas für sich selbst tun. Er sucht die Stille. Er braucht Ruhe. Er möchte mit Gott in Kontakt kommen. Er hat Sehnsucht, sich endlich wieder einmal mehr Zeit zum Beten nehmen zu können. „Ich wollte mir selbst etwas Gutes tun“, höre ich immer wieder zu Beginn eines Kurses. Und das finde ich ganz richtig.
Im Verlauf eines Exerzitienkurses erlebe ich dann manchmal, dass ein Teilnehmer nachdenklich wird: „Ich wollte mir selbst etwas Gutes tun – und jetzt hat Gott mir Gutes getan. Ich habe gespürt: Er sorgt für mich. Er liebt mich. Ich bin ihm nicht gleichgültig.“ Wer so etwas sagen kann, der hat erfahren: Gott lässt den Menschen nicht allein. Er hält sich nicht zurück. Die Welt und die Menschen sind Gottes Schöpfung. Sie sind Gott wichtig. So wichtig, dass Gott sich engagiert. Er lässt sich seine Liebe etwas kosten. Sein Sohn Jesus kommt auf diese Erde. Der Apostel Paulus sagt das zum Beispiel so: „Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch in seiner Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9).
Euretwegen. Um der Menschen willen. Immer wieder taucht dieser Gedanke in den Exerzitien auf. Um der Menschen willen wird Jesus Christus Mensch. Weil Gott Mitleid hat. Weil Er sieht, dass die Welt alleine ins Verderben laufen würde. Um der Menschen willen heilt Jesus Kranke, ist er für Ausgegrenzte und Sünder da. Um der Menschen willen geht Jesus seinen Weg bis an das Kreuz. Er ist bereit zu leiden. Er weicht auch dann nicht aus, als er verachtet und verschmäht wird. So groß ist seine Liebe. So sehr fühlt sich Jesus mit den Menschen solidarisch. Wer in Exerzitien diesen Weg Jesu betrachtet, der kann davon berührt werden. Es kann sein, dass ihn das Schicksal Jesu nicht kalt lässt. Und mancher spürt dabei die Einladung: Ich möchte Jesus auf seinem Weg nicht alleine lassen. Auch in den schweren Stunden will ich bei Ihm sein.
Wenn ich Jesus zum Freund habe, dann hat das Konsequenzen. Sein Weg wird auch zu meinem Weg werden. Das hat mancher erfahren, der sich auf Exerzitien eingelassen hat. Deshalb wächst in Exerzitienteilnehmern immer wieder der Wunsch, solidarisch zu sein. Sie fühlen sich als ein Teil des Ganzen. Sie erkennen: Ich bin aufgerufen, mich zu engagieren. Das kann ganz verschiedene Formen haben. „Ich möchte eine Kindergruppe leiten“, sagte mir eine Studentin. Ein pensionierter Lehrer gibt kostenlos Nachhilfe für ausländische Schüler in einem Übergangswohnheim. Eine Frau arbeitet einen Vormittag in der Woche bei der Bahnhofsmission. Sie teilt Tee und Brote an Obdachlose aus. Auch die bewusste Entscheidung für einen einfachen Lebensstil kann eine Form der Solidarität sein. Der Einkauf im Eine-Welt-Laden oder die Spende für ein kirchliches Hilfswerk sind konkrete Möglichkeiten. Ganz gleich, wie sich jemand entscheidet, immer geht es darum, im alltäglichen Leben den Weg Jesu mit zu gehen; sich wie Er den Menschen zuzuwenden. Im Blick auf Jesus ruft dazu auf, in schwierigen Situationen initiativ zu werden oder auszuhalten.
Solidarisch sein kann auch heißen, sich noch mehr mit der Kirche verbunden zu fühlen. Sie ist der Leib Christi. In ihr ist der auferstandene Christus da. So wird die Kirche zur Heimat. Sie ist ein Ort, an dem ich Jesus begegnen kann. Deshalb entscheidet sich mancher ganz bewusst dafür, dieser Kirche treu zu bleiben. Selbst wenn er unter ihrem menschlichen Antlitz leidet. Er fühlt mit der Kirche. Und er sieht sich als ein Teil von ihr.
Mit Jesus solidarisch zu sein kann weiterhin bedeuten, für Seinen Ruf offen zu sein. Wohin führt Sein Weg mit mir? In welcher Lebensform kann ich ausdrücken, dass ich an Seiner Seite sein möchte? Wie kann ich Ihm nachfolgen? Die Freundschaft mit Jesus verbindet. Sie öffnet das Herz für die Menschen und für die Welt. Dazu haben die Exerzitien schon manchen Anstoß gegeben.
Pfr. Dr. Michael Kleinert