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Grundworte zur Exerzitienspiritualität

"Aus der Mitte leben"

Teil 4: Unterscheiden – aber was?

aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 17, 25. April 2004.

„Soll ich, soll ich nicht, soll ich, soll ich nicht, ...“ Herr M. wird den Gedanken einfach nicht los. Als Ingenieur in einem mittelständischen Betrieb hat er einen guten Arbeitsplatz. Er übernimmt Verantwortung, kann selbständig entscheiden und verdient gut. Alles wäre in Ordnung, wenn nicht immer wieder dieser eine Gedanke käme. Als die Zeitungen kürzlich über den zehnten Jahrestag des Völkermords in Ruanda schrieben, da war er wieder da: Sollte er sich wirklich im Betrieb beurlauben lassen und für fünf Jahre als Entwicklungshelfer nach Afrika gehen? Alles aufgeben, nur weil ihn diese Idee schon seit Jahren immer wieder beschäftigt?

Was würde passieren, wenn Herr M. mit einer solchen Frage in die Exerzitien käme? Ich stelle mir vor: Herr M. erzählt seinem Exerzitienbegleiter oder seiner Begleiterin ziemlich schnell davon. Die Frage lässt ihn nicht mehr los. Er ahnt, dass er dazu Stellung nehmen muss. Das vertrauliche Gespräch mit dem Begleiter tut ihm gut. Darum kann manches zur Sprache kommen. Herr M. erzählt, wie er als Jugendlicher suchte. Er weiß noch gut, wie lange er selbst noch während des Studiums überlegte, ob er sich richtig entschieden hatte. Er verschweigt auch die bittere Enttäuschung nicht, als seine damalige Freundin plötzlich Schluss machte. Und immer wieder kam dieser Gedanke, für ein paar Jahre nach Afrika zu gehen. Darüber wollte er jetzt endlich Klarheit bekommen. Deshalb hatte er sich zu den Exerzitien angemeldet. Der Exerzitienbegleiter sagt Herrn M. zu, mit ihm in den Exerzitien auf diese Frage zu schauen. Er schlägt ihm vor, zunächst einmal einfach zur Ruhe zu kommen. Sich auf Gott einzulassen. Nachzuspüren, wer Gott für ihn ist und welchen Platz Gott in seinem Leben haben darf. Mit Psalmen und Texten aus der Bibel beginnt Herr M. zu ahnen: Gott war eigentlich immer da in meinem Leben. Selbst als die Freundin damals Schluss machte. Herrn M. tut es gut, das zu erfahren. Er wird ruhig. Er kann ganz gelassen sagen: „Eigentlich zählt nur, was Gott möchte. Ich weiß, er wäre in Afrika genauso bei mir wie hier in Deutschland.“

Der Exerzitienbegleiter macht Herrn M. darauf aufmerksam, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, mit Gott über die Frage zu sprechen, ob er nach Afrika gehen soll. Er schlägt ihm zur Betrachtung Texte aus der Bibel vor. Sie sprechen davon, dass Gott einen Menschen sendet und in Dienst nimmt. „Spüren Sie nach, was diese Texte im Gebet in Ihnen auslösen“, sagt der Begleiter zu ihm. „Achten Sie darauf, wann Sie ruhig werden und wann sich eine Unruhe einstellt, wann sie zufrieden sind und wann Sie innerlich am liebsten weg laufen würden.“ Im täglichen Gespräch mit dem Begleiter lernt Herr M. zu unterscheiden, worauf es ankommt: Was löst mehr Ruhe und Gelassenheit aus? Was bringt mich näher zu Gott, was führt mich weiter von Ihm weg? Wann spüre ich eine Freude und einen Frieden in mir, den ich selbst nicht machen kann? Im Gespräch erzählt Herr M. von seinen Erfahrungen. Er spricht aus, was er erlebt hat. Er sagt, wie es ihm beim Beten und in der Stille zwischen den Gebetszeiten ging. Herr M. merkt, wie wichtig es ist, darüber reden zu können. Im Sprechen kann er noch einmal nachspüren. Er kann darauf achten, welcher „Nachgeschmack“ sich im Abstand einstellt. Der Begleiter ermutigt ihn zu solcher Unterscheidung. Es ist wichtig darauf zu achten, ob sich auch im Nachhinein das Gefühl einstellt, das vor der Gebetszeit und während des Betens da war.

Am Ende der Exerzitien macht der Begleiter Herrn M. den Vorschlag, sich für seine Entscheidung noch etwas Zeit zu lassen. Vier Wochen lang soll er sich ganz konkret vorstellen: Wie wäre es, wenn ich nicht nach Afrika gehe? Und vier Wochen soll er bei allem, was er tut, mit der Frage leben: Wie wäre es, wenn ich nach Afrika ginge? Darüber wollen Herr M. und der Begleiter dann noch einmal sprechen.

Pfr. Dr. Michael Kleinert

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