"Aus der Mitte leben!
Teil 11: Exerzitien – für jeden?
aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 51, 19. Dezember 2004.
"Wer kann denn eigentlich an Exerzitien teilnehmen?“, werde ich immer wieder gefragt. Welche Voraussetzungen gibt es? Was muss jemand mitbringen, damit die Exerzitien für ihn ein Gewinn werden können?
Auf solche Fragen zu antworten, ist nicht ganz einfach. Meistens erzähle ich dann, was Exerzitien sind und wie sie ablaufen. Ich spreche davon, dass es in den Exerzitien darum geht, mit Gott in Beziehung zu kommen. Die Exerzitien wollen helfen, die Freundschaft mit Gott zu stärken. Ich berichte, dass das persönliche Gebet einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Durch ein Bibelwort oder ein Bild lassen sich die Teilnehmer von Gott ansprechen. Sie erzählen Ihm, was sie bewegt und was in ihnen vorgeht. Viele erfahren dabei vielleicht zum ersten Mal: Gott ist ein lebendiges Gegenüber! Zu Ihm darf ich Du sagen. Er spricht mich ganz persönlich an. Ruhig zu werden und zu schweigen, gehört zu Exerzitien dazu. Heute geht es fast überall hektisch und laut zu. Radio, Fernsehen und Zeitung strömen auf die Menschen ein. In den Exerzitien darf das alles zurücktreten. So entsteht Raum, um auf Gottes leise Stimme aufmerksam zu werden. Außerdem ist das tägliche Gespräch mit dem Exerzitienbegleiter oder der Begleiterin ein fester Bestandteil. Alles, was an einem Tag wichtig war, darf hier angesprochen werden. Und das Aussprechen hilft. „Jetzt erst wird mir bewusst, wie viel ich geschenkt bekommen habe“, höre ich immer wieder in solchen Gesprächen. Schließlich wird auch der Körper in diesen Tagen bewusst mit einbezogen. Durch einfache Leibübungen wird das Beten vorbereitet und der Exerzitienprozess unterstützt.
Niemand, der zu Exerzitien kommt, muss perfekt sein. Weder in seinem Leben noch in seinem Beten. Keiner braucht schon alles zu können. Fragen und Zweifel sind erlaubt. Wichtig ist die Bereitschaft, sich einzulassen. Wer Gott eine Chance geben möchte, der ist in Exerzitien richtig. Wer bereit ist, auch Neues auszuprobieren, auf den wartet so manche Überraschung. Teilnehmer drücken das aus, wenn sie am Ende eines Kurses zum Beispiel sagen: „Nie hätte ich gedacht, dass sich hier so viel bewegt“. „Ich will auch zu Hause weiter beten“. „Ich komme ganz bestimmt wieder“. Damit das geschehen kann, sind drei Grundhaltungen wichtig. Der Erfinder der Exerzitien, der heilige Ignatius von Loyola, nennt sie gleich zu Beginn in seinem Exerzitienbuch: Exerzitien sind Übungen. Sie erfordern daher die Bereitschaft, es zu versuchen, so gut ich kann. Auch wenn es einmal schwierig ist, will ich mich nicht entmutigen lassen. Denn es wartet Großes. Zweitens geht es in den Exerzitien um das geistliche Leben. Mein Glaube, meine Hoffnung und meine Liebe dürfen hier neue Nahrung bekommen. Und als Drittes ist meine Antwort gefragt. Die Exerzitien wollen mir helfen, mein Leben bewusst zu gestalten. Gott schenkt sich. Und Er möchte in das Leben einbezogen werden.
Wichtig ist, einen Exerzitienkurs zu finden, der zu mir passt. Heute gibt es ganz verschiedene Angebote. Für Menschen, die noch keine Erfahrung mit Exerzitien haben, gibt es „Exerzitien zum Kennenlernen“. Ohne Vorkenntnisse können hier alle Elemente ausprobiert werden. Wer gerne in der Natur ist und sich den Weg im Gehen erschließen möchte, für den sind vielleicht „Wanderexerzitien“ die richtige Form. In „Exerzitien mit Gemeinschaftselementen“ bekommen die Teilnehmer jeden Tag in der Gruppe einen Impuls am Vormittag und am Nachmittag. Damit gestalten sie ihre persönlichen Gebetszeiten. In „Einzelexerzitien“ steht ganz der einzelne Teilnehmer im Vordergrund. Jeder geht seinen persönlichen Weg, so wie Gott ihn führt. Das Begleitgespräch hilft dabei. Daneben gibt es auch noch Exerzitien mit Vorträgen oder kontemplative Formen. Keiner dieser Kurse ist besser oder schlechter. Entscheidend ist: Welche Form entspricht mir? Wie möchte Gott mich führen? Wer dafür aufgeschlossen ist, für den sind Exerzitien gut.
Pfr. Dr. Michael Kleinert