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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB zum „Hochfest der Geburt des Herrn“, 25. Dezember 2010, im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder!

Weißt Du schon das Neueste? Mit diesem Satz leiten wir gerne Mitteilungen ein, die uns wichtig erscheinen, Neuigkeiten, die wir Freunden und Bekannten weitererzählen möchten. Junge Leute übermitteln sich Neuigkeiten ganz anders. Sie generieren das Wort elektronisch und posten ihre News auf Facebook oder in sonst einer Community.

Die neuen elektronischen Medien haben die Vermittlung des Wortes erleichtert und beschleunigt. Dadurch sind wir Menschen nahe zusammengerückt, unser Leben spielt sich in Informationsnetzwerken ab. Die Informationen sind gleichsam die Energie, die durch die Netze fließt. Neuigkeiten, Nachrichten, Informationen gelten in unserer Mediengesellschaft als Kapital. Wer im öffentlichen Leben, in Wirtschaft und Politik Einfluss ausüben will, muss an Informationen gelangen, muss Informationen streuen und sich des Wortes bedienen können. Der Mutterboden der Information ist oft die Neugierde.

War im Mittelalter die curiositas, die Neugierde, noch als Untugend verpönt, wurde sie seit Beginn der Neuzeit geradezu zur Triebfeder des technischen Fortschritts und der wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Gesellschaft. Um das Leben immer besser beherrschen zu können, trachtet der Mensch danach, sein Wissen und die Informationen über die Wirklichkeit zu mehren. Wissen ist Macht über die Wirklichkeit. Und die von diesem Wissen erfüllte Sprache wird zur Ausübung von Macht.

In der Perspektive des Mittelalters noch (Thomas v. Aquin) diente das gute Wort der Zusammenführung von Menschen. Es galt als Mittel der Teilhabe. Es eint die Menschen, indem es Erkenntnis an andere weitergibt und sie an Entferntem, bislang noch nicht Erkanntem teilhaben lässt. Und hatten sie nicht recht, die Alten? Wenn ich in einer schwierigen Lebenssituation durch einen anderen Menschen einen treffenden Zuspruch erhalte, können diese Worte mein Leben erhellen. Mir öffnen sich dadurch die Augen. Eine neue Erkenntnis breitet sich in mir aus und bestimmt mein Handeln.[1]

Begierde nach Sensationen und Neuigkeiten hingegen senkt den Wert und somit das Verfallsdatum des Wortes. „Nichts ist älter als die Zeitung von gestern,“ hieß es schon in der Hoch-Zeit der Print-Medien. Inhaltsleeres Geschwätz, verbale Verschleierung, Lüge und mit Gift gefüllte Worte sind die negativen Früchte der Abwertung des Wortes. Wir kennen aus eigener Lebenserfahrung, was vergiftete Worte anrichten, was ein gebrochenes Wort, also Wortbruch auslöst, oder auch wie verweigerte Worte und ausweichende Worte weh tun können. Die Sprache als Waffenarsenal!

Weihnachten führt uns an einen neuen Gebrauch des Wortes heran. Zu Weihnachten ergeht Gottes Anrede an den Menschen und die Einladung an den Menschen zum Dialog mit Gott.

Inmitten der Wortinflation dieser Welt kommt Gottes liebendes Wort in Betlehem an.

In der soeben vernommenen Evangeliumslesung mit dem Anfang des Johannesevangeliums, einem urchristlichen Hymnus, war die Rede vom logos, vom Wort:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott. Vor allem Anfang der Schöpfung war es bei Gott und es ist selbst Gott. In diesem Wort wurde alles geschaffen. Schließlich kam dieses Wort zu uns Menschen. Logos sarx egeneto: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Das wahre Licht ist in ihm aufgeleuchtet.

Wenn dieses Wort von Gott her vernehmbar wird, geht ein Licht auf. Es ist erhellendes Wort, das unsere Wirklichkeit ins rechte Licht rückt. Denn es teilt uns mit, dass Gott und die Schöpfung, dass Gott und Mensch zusammenhängen. Gott hat sich in allem, was ist, liebend ausgesprochen. In Jesus Christus ist das Wort Gottes bleibend in der Welt.

Welt ist in der Perspektive Gottes Gespräch, Dialog. D. h. Gott ist nicht in sich abgeschlossen, er ist Beziehung. Der Evangelist verdeutlicht im Hymnus: Die Welt, wir Menschen und die Schöpfung sind nicht Resultat eines Zufalls, sondern Frucht des innergöttlichen Gesprächs. Gottes Sprechen schafft Leben und Sinn. Ich bin also in meiner Existenz ein ausgesprochener Gedanke Gottes! Der Schöpfungsbericht zu Beginn des Buches Genesis verbindet ja die Entstehung der Schöpfung und des Lebens mit dem Sprechen Gottes. Zu jedem Schöpfungswerk schreibt der Verfasser des heiligen Textes: Und Gott sprach, und es ward.

Und nicht genug: Gott spricht vor allem in Jesus Christus dieses ewige Wort in die Welt hinein. In diesem Jesus in der Krippe, und später am Kreuz, kommt Gott selbst bleibend zu Wort. An uns geht das Wort in der Krippe.

Die Sprache Gottes, die eine Sprache der unendlichen Liebe ist, gilt es in unserem Leben und in unserer Begegnung mit der Wirklichkeit zu entdecken.

Weil das ewige Wort Gottes die ganze Schöpfung durchwaltet, weil es in Jesus Christus in der Welt anwesend bleibt, lohnt es sich für den Menschen vor allem Reden die Haltung des Hörens einzunehmen. All unser Sprechen soll sich inspirieren lassen vom Wort aus Gott. Sprache als bloßes Medium der Sensation oder als Machtmittel habe ein Ende!

Weihnachten lädt uns ein, dem Wort des Lebens, das in der Nacht von Betlehem angekommen ist, Raum in uns zu geben und durch dieses Wort Gemeinschaft unter den Menschen zu bauen: das Netzwerk des Wortes aus Gott.

Liebe Schwestern und Brüder, Zeugnis des ewigen Wortes sei die Rede des Christen. Das Wort des Christen, sei es im Privatleben oder in einer verantwortlichen Aufgabe in Kirche, Politik, Wirtschaft oder im öffentlichem Leben möge etwas vermitteln von der Kraft des ewigen Wortes. Das Wort des Christen sei Zuspruch Gottes an diese Welt.

Und das Wort ist Fleisch geworden: Weihnachten lädt uns im alltäglichen Miteinander, im kirchlichen Leben sowie in der Verantwortung in der Gesellschaft ein, von negativen oder pessimistischen Worten zu lassen. Denn Gottes Wort kam zu uns und durchwaltet alles.

Und das Wort ist Fleisch geworden: Weihnachten ermuntert mich, dich, uns, unserer Zeit oder den Menschen um uns nicht einfach nach dem Mund zu reden, um vielleicht selbst gut dazustehen. Die Ankunft des Fleisch gewordenen Wortes befähigt zur Unterscheidung zwischen dem, was unsere Zeit gerne hört und will, und was sie wirklich braucht. Das Wort aus Gott befähigt mich zum Korrektiv, gegebenenfalls zum Nein, in jedem Fall zur Verantwortung.

Und das Wort ist Fleisch geworden: Der Mensch ist nicht nur Reflex seiner Zeit, er ist darauf angelegt, seine Epoche zu übersteigen, er ist auf Wahrheitsfähigkeit angelegt, denn Gott redet zu ihm.

Und das Wort ist Fleisch geworden: Weihnachten macht uns Mut, auch in negativen Ereignissen des eigenen Lebens für die gute Nachricht Gottes offen zu bleiben.

Und das Wort ist Fleisch geworden: Wenn unsere Worte immer wieder leer zu werden drohen, dann zeigt uns Weihnachten den Weg zum erfüllten Wort, zum Wort des Gebetes, in dem sich die Liebe Gottes und die Liebe des Menschen verbinden können.


[1] M. Gerwing, Mehr als Historie. Zur Aktualität der Philosophie Josef Pipers für die Theologie. Sonderdruck aus Theologie und Glaube 100 (2010), 18.