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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am 31. Dezember 2008 im Eichstätter Dom

Die Religion des Habens erlöst nicht, sondern verschuldet die Menschen

Beim Fall der Mauer und beim Zusammenbruch des kommunistischen Systems im Ostblock glaubten viele Menschen darin einen Beweis der Überlegenheit des westlichen Systems zu erkennen, vor allem des westlichen Wirtschaftssystems, eines sozial gezähmten Kapitalismus. Kaum 20 Jahre danach erleben wir im Kontext des jüngsten Bankencrash das Wanken der Fundamente dieses Systems. Fachleute sprechen von der größten Krise des Kapitalismus. Verursacht wurde sie durch ungezügelte Gier. Hunger und Durst nach Leben können allzu leicht in Gier umkippen. Mag sie sich in den Anspruch auf Weltherrschaft und in strotzende Waffenarsenale kleiden oder in risikoreiche Geldtransaktionen. Der Mensch versucht immer wieder, die Geschichte des Turmbaus zu Babel zu wiederholen: die Geschichte der Maßlosigkeit.

Das Phänomen des sogenannten Turbo-Kapitalismus lässt uns Christen an die neutestamentliche Geschichte der Brotvermehrung denken, korrekter an die Einstellung der Menschen zu diesem Wunder Jesu. Die Menge war gebannt von Jesu Brotwunder. Ohne nach dem tieferen Sinn seines Handelns zu fragen, wollte sie das Wunder institutionalisieren, säkularisieren. Endlich ist da jemand, der es ihnen einfach machen könnte, Tag für Tag über Brot in Hülle und Fülle zu verfügen: Brot ohne die Risiken des Wachstums und der Ernte, Brot ohne Arbeit und Mühe. Aus dem Hunger nach Leben war die Gier hervorgegangen.

Der Wundertäter Jesus sollte zum König ausgerufen werden. Der aber verwahrte sich dagegen, denn der Religion des Habens zu dienen, wäre Verrat an seiner Sendung gewesen.

Und jüngst bei uns: Geldvermehrung auf wunderbare Weise durch den homo oeconomicus als neuen Wundertäter? Sollte nicht in den Investmentbanken die wunderbare Vermehrung des Geldes institutionalisiert stattfinden?

Mit neuen Zauberformeln glaubte man, das große Geld ständig vermehren zu können ohne Bindung an die Niederungen der Realwirtschaft mit ihren Fabriken, mit ihren Maschinen, ohne Bindung an den arbeitenden, schwitzenden und gestressten Menschen, ohne die reale Welt der Arbeit und des Wirtschaftens berühren zu müssen. Digitale Geldströme sollten durch unzählige Transaktionen über Pump, durch Spekulation und symbolischen Tausch zur Geldvermehrung führen, ohne dass man das Geld noch an Ware binden müsste.

Man setzte bei diesem neuen virtuellen Finanzkapitalismus auf die Selbstregulierung des Marktes. Aus dieser optimistischen Haltung heraus wünschten sich Ökonomen immer weniger ‚Staat’. Das Credo der Deregulierung sollte nicht den Staat und das Gemeinwesen entlasten und schonen. Man verkündete es aus Verachtung gegenüber einem Sozialstaat, der das immer wilder wuchernde Gewächs des blanken Finanzkapitalismus noch zu beschneiden verstand. Den ins Auge gefassten Weg der grenzenlosen Kapitalvermehrung wollte man von den Begehrlichkeiten dieses armen Verwandten namens Sozialstaat befreien. Der todgeweihte Sozialstaat hindere lebendiges Kapital an seiner Selbstentfaltung, so die Meinung von Wirtschaftswissenschaftlern (etwa M. Döpfner), wo hingegen deregulierend gehandelt werde, wachse der Wohlstand. Derartige Verheißungen waren immer wieder zu vernehmen.

Und nun nach dem Crash, nach den lautstarken Hilferufen an den einst nahezu als Wegelagerer verachteten Staat ist die fragwürdige Philosophie der cleveren Hedgefondsmanager gänzlich offenkundig geworden: Privatisierung der Profite und Vergesellschaftung der Verluste, so jedenfalls die Analyse eines amerikanischen Politikers (Bürgermeister Bloomberg, New York).

Der Finanzmarkt mit seinen Bank- und Börsenkathedralen fungierte als eine Art Ersatzreligion, deren Gnadenausschüttung in virtuellem Geld bestand. Der Sozialphilosoph Walter Benjamin kritisierte bereits 1921 den Kapitalismus und seine Ansprüche als Religion. Die kapitalistische Religion hat eine fundamentale Schwäche, so seine Meinung: Sie erlöst nicht, sie dient auch nicht der Reform des Seins, sondern verschuldet die Menschen untereinander.

Eben dies haben wir in den zurückliegenden Monaten als Ausgang der vom homo oeconomicus institutionalisierten Geschichte von der wunderbaren Geldvermehrung erlebt: Pleite der Utopien, so kommentierte ein großes deutsches Blatt den Zusammenbruch des Wall-Street-Bankenwesens und seines virtuellen Kapitalismus: „Er schafft in der Wirklichkeit Armut im Überfluss und Elend im Reichtum. Nach dem jüngsten Zusammenbruch der virtuellen Welt sind die Menschen real arbeitslos oder müssen real ihre Häuser verkaufen.“(1)

Die Welt des Turbo-Kapitalismus bedarf der Gegenreformation der Tugenden und Werte. Tugenden und Werte sind nicht wie Grippepastillen, die man sich im Krankheitsfall schnell aus der Apotheke zum Einnehmen besorgt und in gesunden Tagen im Medizinschrank deponiert. Tugenden und Werte gleichen den Früchten eines Baumes. Den Baum gilt es das ganze Jahr über zu pflegen, damit er trägt. Das jetzt von vielen Politikern herbeigesehnte Wertebewusstsein ist wie die Kondition beim Sport. Sie wird nur spürbar im Tun und lässt sich nur durch das Tun aufbauen.

Zudem gibt es keine Tugend in der Welt des Kapitals oder der Arbeit, wenn nicht der Aspekt der höheren Wirklichkeit zur Sprache kommt. Wir Christen sind hier mit unserem Glauben gefordert. Und der Staat wäre gut beraten, nach unserem Zeugnis zu fragen, anstatt christliche Positionen und Grundwerte im gesellschaftlichen Miteinander durch Gesetze zu relativieren.

Uns müsste angesichts der hereingebrochenen Krise nicht bange sein, wenn sich die Gesellschaft ernsthaft auf Tugenden und Werte rückbesinnen wollte. Schließlich lag in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten als dieser, so beim Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg, gerade darin der Schlüssel, um die gewaltigen Herausforderungen meistern zu können.

Nach der Fixierung der Ökonomen auf das Kapital bedarf es nun wieder einer gesellschaftlichen Neubewertung der menschlichen Arbeit, der wir Christen Teilhabe am Schöpfungswerk Gottes zuschreiben. Wir müssen zudem die Vernetzung der Arbeitswelt mit ihren sozialen Komponenten neu schätzen lernen, so die Dienste, die in einer Familie übernommen werden, die sozialen Dienste in und an einer älter werdenden Gesellschaft usw.. Unsere christliche Soziallehre ist aktueller denn je.

Hier tut sich für eine Katholische Universität ein breites Feld für einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs auf.

Die Idee einer Katholischen Universität in Eichstätt

Großes mediales Interesse erfuhr die Krise um die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt in den Monaten Mai bis Juli des hinter uns liegenden Jahres, nachdem der gewählte Präsidentschaftskandidat von mir nicht zum Präsidenten ernannt wurde. In dieser Konfliktsituation traten Verwerfungen zwischen Universität und Träger zutage, die wohl unter der Oberfläche bereits länger vorhanden gewesen waren. Innerhalb der Universität versuchten einflussreiche Kreise, die Mitsprachemöglichkeit des Trägers der Hochschule, der Kirche, möglichst gering zu halten. Man wehrte sich sogar gegen Trägerinteressen. Diese Abwehrhaltung betraf auch das Anliegen eines klareren katholischen Profils für die Universität.

Sein wollen wie die staatlichen Universitäten, schien die Handlungsmaxime einer gewissen Richtung zu sein.

Kann es aber Intention der Kirche sein, eine bloße Kopie einer staatlichen Universität zu unterhalten, der schließlich nur die Rolle der 10. Landesuniversität zukäme, und zwar auch in dieser Platzierung? Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt wird dann eine Zukunft haben, wenn sie einen hohen wissenschaftlichen Standard vorweisen kann. Und dann - hier lege ich in komprimierter Form die Vision Papst Benedikts XVI. (damals noch Kardinal Ratzinger) von unserer Hochschule vor -, wenn sie als Katholische Universität zugleich die inneren Grundlagen der Wissenschaft in „Verantwortung vor dem Menschen methodisch bedenkt und die Wissenschaft ins Ganze der menschlichen Existenz einfügt. …Denn Wissenschaft ist nie voraussetzungslos, sondern immer ein Eingreifen des Menschen in das Weltgeschehen und ein Handeln am Menschen, sei es für oder gegen den Menschen, wie uns moderne Fragestellungen in den Biowissenschaften eklatant vor Augen führen. Der Wissenschaftler berührt immer Bereiche, die über das rein Fachliche hinausreichen und Verantwortung, ethisches Verhalten dem größeren Ganzen gegenüber erfordern. Das gilt von der Geisteswissenschaft, zum Beispiel von der Geschichtswissenschaft und ihrer Deutung historischer Fakten, ebenso wie von der Naturwissenschaft… Der Glaube als Eröffnung der ethischen Grundlagen der menschlichen Existenz engt den Wissenschaftler nicht ein, sondern erschließt ihm die Verantwortung seines wissenschaftlichen Forschens für die menschliche Existenz. Zudem bildet der Glaube für das Miteinander der Lehrenden untereinander und für den gemeinsamen Weg der Lehrenden mit den Lernenden eine Plattform verantwortlichen Umgehens und menschlichen Reifens.“ (Joseph Kardinal Ratzinger 1988)

Zusammen mit der Förderung des wissenschaftlichen Profils unserer Hochschule diese Dimension zu stärken, war und ist mein Anliegen im Blick auf die Katholische Universität.

Wenngleich eine beachtliche Anzahl von Professoren und Dozenten zu diesem Konzept einer Katholischen Universität positiv standen und stehen, war es in der Zeit der Krise schwer, die Position des Trägers zu vermitteln. Eine Universität, die anders ist als die staatlichen Universitäten, konnten und wollten sich viele nicht vorstellen. Während in zahlreichen Ländern, etwa in den USA, private Hochschulen, darunter auch Katholische Universitäten mit einem ausgeprägten katholischen Profil, zu den wissenschaftlich führenden Einrichtungen des Landes zählen, reagierten an unserer kleinen Hochschule viele mit Ängsten vor dem Träger und mit starken Emotionen, was zur weiteren Eskalation des Konflikts führte.

Ich konnte mich nicht des Eindrucks erwehren, dass Kreise innerhalb der Universität in der schwelenden Krise damals Medienvertreter gezielt mit Informationen fütterten, ja munitionierten, um gegen meine Person und gegen die Kirche als Träger öffentlichkeitswirksam Druck aufzubauen. Mir als Stiftungsratsvorsitzendem und Magnus Cancellarius wurde in Medien vorgeworfen, die Autonomie der Universität verletzt und in die Freiheit der Wissenschaft eingegriffen zu haben.

Dieser Vorwurf schien kühn angesichts eines Grundsatzurteils des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (Mai 2008), in dem geklärt worden war, worin Autonomie der Universität und Freiheit der Wissenschaft zu verstehen ist. Doch weigerte man sich auf der Verwaltungsebene der Universität, diese Rechtslage zur Kenntnis zu nehmen. Das Rechtsgutachten eines in der deutschen Bildungslandschaft hoch anerkannten Fachmanns zu Fragen des Hochschulrechts, auf das und auf dessen Beratung ich meine Entscheidungen und mein Handeln stützte, wurde vom Tisch gewischt. Ich sah mich Winkelzügen und öffentlichem Druck ausgesetzt, trotz der Rechtsgutachten. In der heißen Phase fiel sogar das Wort vom ‚Entscheidungskampf gegen den Träger’.

Die Vorwürfe aus unserer Universität, der Träger gefährde die Freiheit der Wissenschaft und die Autonomie der Universität, schienen mir nicht zuletzt deshalb so schwer nachvollziehbar, da nur wenige Jahre zuvor der Staat deutschlandweit eine Universitätsreform durchgesetzt hatte, die als einer der größten Eingriffe in der Geschichte der Autonomie der Universität gelten kann. Da wurde zum Beispiel für die strategischen Belange der Universitäten per Gesetz der sogenannte Hochschulrat als Entscheidungsgremium eingeführt, das sich zur Hälfte aus nicht demokratisch gewählten Mitgliedern von außerhalb zusammensetzt.

Diese Veränderung in der Selbstverwaltung der Universitäten setzte man mehr oder weniger ‚gehorsamst’ um. Mit Ausnahme der von den juristischen Fakultäten der bayerischen Universitäten eingereichten Klage gab es landesweit dagegen keine Professorenproteste größeren Ausmaßes, in Eichstätt auch nicht.

Und dann Vorwürfe aus der Katholischen Universität gegen mich, obwohl unsere Hochschule erst kurze Zeit vor Beginn der Krise die Reformen im Bereich der universitären Selbstverwaltung mit einer neuen Grundordnung ratifiziert hatte. Einer Grundordnung, die ich persönlich im Vergleich mit den Ordnungen staatlicher Universitäten geradezu als Denkmal des vorauseilenden Gehorsams und unterwürfiger Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen verstehe. Eine Grundordnung, die Erstaunen selbst bei Politikern ausgelöst hat, da uns als katholischer Stiftungsuniversität weitaus größere Gestaltungsräume zuerkannt worden wären.

Gerade daran zeigte sich für mich des ‚Pudels Kern’ in der Auseinandersetzung: Um den Einfluss des Trägers, der Kirche, von der Universität weitgehend fernzuhalten oder zu minimieren, holte man sich möglichst viel Staat in die Universität.

Die Zukunft der Katholischen Universität hängt freilich an der Stärkung der wissenschaftlichen Forschung in Verbindung mit dem katholischen Profil. Die Zukunft dieser Universität gibt es daher nur als Weg mit dem Träger.

Inzwischen sind wir auf einem guten Weg. Die Bischöfe Bayerns sind sich bewusst, dass die Universität bessere finanzielle Voraussetzungen benötigt, um sich wissenschaftlich profilieren zu können. Mir ist es zusammen mit der Stiftung gelungen, die bayerischen Bischöfe im November zur Vergabe von außerplanmäßigen Forschungsmitteln für unsere Universität zu gewinnen.

Zugleich sind viele Professoren und Dozenten bereit, für die Entwicklung des katholischen Profils der Universität Sorge zu tragen. Schließlich haben sich die hier tätigen Professoren und Dozenten alle freiwillig an diese Einrichtung beworben und dies im Wissen, dass es sich um eine katholische Stiftungsuniversität handelt, deren Ziel es ist, unter Bewahrung und Befolgung der jeweiligen wissenschaftlichen Methode exzellente Wissenschaft zu betreiben und die gewonnenen Erkenntnisse in einen größeren geistigen Zusammenhang zu stellen, eben in den Dienst der Suche nach Wahrheit.

Im Rückblick auf die schwierige Zeit ist in mir freilich die Überzeugung gewachsen, dass der mediale Sturm der Entrüstung über meine Rolle und über den Anspruch der Kirche, an dieser Universität gestalterisch zu wirken, ein Phänomen einer größeren gesellschaftlichen Entwicklung ist. Der Kirche weht seit einiger Zeit in öffentlichen Foren ein kalter Wind entgegen. Gesellschaftliche Verantwortungsträger verschiedener Bereiche zeigen gegen die Kirche und die Lehre der Kirche mitunter eine Feindseligkeit, die sich einen medialen Ausdruck verschafft, wenn Bischöfe gegen den gesellschaftlichen Mainstream, d.h. gegen den Relativismus Position beziehen oder wenn es in kirchlichen Institutionen im Namen des Relativismus vermeintliche Missstände aufzudecken gilt.

Als Speerspitze dieser Bewegung darf ein aggressiver Neoatheismus gelten. Doch findet sich dieser Geist, der die Kirche und ihre Positionen stets verneint, in unterschiedlicher Dosierung bereits in viel breiterer Streuung.

Ohne diesen größeren Zusammenhang könnte ich mir z. B. nicht erklären, weshalb über eine große Technische Universität in Deutschland in der überregionalen Presse kaum ein Bericht zu finden war, obwohl der zuständige Wissenschaftsminister bzw. Wissenschaftssenator dem gewählten Präsidentschaftskandidaten gleichfalls und mehrfach die Ernennung zum Präsidenten versagt hatte.

Die Kirche, ihre Verkündigung und ihr Handeln in ihren Institutionen werden verstärkt Zielscheibe öffentlicher Kritik.

Kirchlichen Positionen zum Schutz des Lebens von seinem Beginn im Mutterleib bis ins Alter, der Lehre der Kirche von der Würde und Einzigartigkeit der Ehe und Familie und der damit verbundenen kirchlichen Ablehnung der rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, kirchlicher Kritik an der Genderdiskussion begegnet der gesellschaftliche Relativismus und Subjektivismus zunehmend aggressiver. Man versucht der Kirche das Recht abzusprechen, sich im öffentlichen Raum zu artikulieren und jene Werte auch künftig aktiv vermitteln zu wollen, die die Säulen unserer Kultur und Geschichte ausmachten und noch ausmachen. Der einmal lautstark, dann wieder still geführte Kampf zielt darauf ab, die Kirche allenfalls noch in der Privatsphäre zu dulden.

Es ist zu vermuten, dass der kalte Wind bald gegen kirchliche Einrichtungen im Bereich Bildung und Caritas bläst. Wer zahlt, schafft an, wird es heißen. Wie schon bei den Querelen um die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, wird man versuchen, den Einfluss der Kirche in Bildungs- und Sozialeinrichtungen mit diesem Argument zurückzudrängen, kommen doch die Gelder für diese Institutionen großenteils vom Staat bzw. von der öffentlichen Hand.

Wie fragwürdig eine solche Argumentation im Lebensalltag wäre, ließe sich am Beispiel des Kindergeldes ausführen. Müssten Eltern, die Kindergeldempfänger sind, weisungsgebunden an den Staat erziehen?

Ganz bewusst hat man in Deutschland nach den Erfahrungen des Dritten Reiches differenziert zwischen Staat und Gesellschaft, um den gesellschaftlichen Pluralismus zu fördern. Ganz bewusst wurde und wird unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen sowie den Kirchen Raum zur Gestaltung des öffentlichen Lebens gegeben, denn der Staat erkennt an, dass er nicht selbst die Voraussetzungen schafft, auf denen er beruht. Daher muss es im Interesse des Staates sein, Bewegungen zu fördern, die durch ihre Dienste und ihr weltanschauliches Wertesystem zur Festigung der Grundlage beitragen, die letztlich das Staatswesen trägt.

Wir Christen sollten Mut fassen, ja Bekennermut, wenn uns der kalte Wind ins Gesicht bläst. Fürchtet euch nicht! Angeblich findet sich dieser Ruf 365-mal in der Hl. Schrift, für jeden Tag des Jahres also.

Eichstätter Bischöfe der jüngeren Vergangenheit zeichneten sich durch eine mutige Haltung aus. Sie vermählten sich nicht mit dem jeweiligen Zeitgeist, noch tanzten sie auf dessen Parkett. Bischöfe wie Konrad Graf von Preysing und Michael Rackl widerstanden der braunen Herrschaft. Joseph Schröffer förderte in einer Zeit, in der die Völker Europas noch mit gegenseitigen Vorurteilen beladen waren, das Werk der Versöhnung und bahnte zudem in unserem Bistum durch die Patenschaft mit Poona in Indien den Weg weltkirchlicher Solidarität. Das Lebensbeispiel dieser Vorgänger soll mir als Bischof Wegweisung sein, dem Zeitgeist, der die Kirche heute bedrängt, zu widersprechen, dem Relativismus und Subjektivismus. Sie, die Gläubigen, bitte ich, mich hierin zu stützen und gemeinsam mit mir den Weg in der Freude des Glaubens zu gehen. Unsere Gesellschaft soll sehen, dass Glauben schön ist. Freundlichkeit und Freude schließen jedoch Klarheit im Denken und Handeln nicht aus!

Das Paulus-Jahr als Einladung zur missionarischen Pastoral

Zum 2000. Geburtstag des großen Völkerapostels hat uns der Hl. Vater den Apostel Paulus als Vorbild gegeben. Er rief dazu das Paulusjahr aus. Paulus steht für eine missionarische Pastoral, derer wir bedürfen. Brennen für den Glauben an Jesus Christus!

Enthüllen nicht Person und Theologie dieses Apostels unser Alltagsklagen gegen Gott und unsere Unzufriedenheit mit der Kirche als unser Glaubensdefizit? Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Kirche sind Klagelieder in. Allein die Hinweise im 1. und 2. Korintherbrief auf die zahlreichen Entbehrungen, die Paulus im Dienst der Verkündigung erleiden musste, die Ablehnung, die bis zu Schlägen, Steinigung und Gefängnis reichte ( 1 Kor 4, 9ff.; 2 Kor 11, 21bff.), die beschwerlichen Reisen, auf denen er Räubern ausgesetzt war und dreimal Schiffbruch erlitten hatte, sind Grund genug, unsere eigene Frustrationstoleranz zu überdenken. Das Lebensbeispiel des Apostels zeigt uns, dass die Zukunft der Kirche die Glut unseres Glaubens braucht. Glauben mit Leidenschaft! Der Reichtum der Kirche ist die Glut des Glaubens in unseren Herzen. Wo das Feuer der Glaubenskraft brennt, lassen sich Menschen davon anstecken. Könnten wir heute, wir Hauptamtliche, im Mitarbeiterteam des Apostels bestehen? Könnten wir, die Gläubigen, in einer seiner Gemeinden bestehen?

Ich bitte zunächst die Priester, die pastoralen Mitarbeiter und die Religionslehrer, sich neu bewusst zu machen, welche Verantwortung sie für die Weitergabe dieses Feuers tragen. Dann aber auch unsere Pfarrgemeinderäte und die Ehrenamtlichen in den Pfarreien, die Gebetsgruppen und Bruderschaften, die Eltern, die Verbände und vor allem die geistlichen Bewegungen und die Orden. Die Leidenschaft für den Glauben, den die Gemeinschaft der Kirche wie eine Fackel, von Christus her kommend, durch die Jahrhunderte trägt, muss auch heute spürbar, erkennbar sein. Nicht zu Aktenträgern, sondern zu Christusträgern hat uns der Herr berufen!

Als Christusträger bringen wir Licht in die Welt.

Und die missionarische Methode des Paulus lautet: Auf den Areopag gehen, also dorthin, wo das Leben pulsiert, um die Menschen durch das persönliche Zeugnis und mit Kreativität für Christus zu gewinnen.

Das Paulusjahr lädt uns ein zum Aufbruch. Liebe Schwestern und Brüder, wie wäre es, wenn sich jeder von uns im Paulusjahr einen missionarischen Vorsatz nähme?

  • Warum nicht im Freundeskreis, unter Arbeitskollegen, wo vielleicht schlecht über Kirche geredet wird, wenigstes ab und zu den Widerspruch wagen und Zeugnis ablegen für den Glauben?
  • Ehepartner könnten sich einen Austausch über Schwierigkeiten und Hilfen des Glaubens vornehmen.
  • Missionarischer Geist bedarf der Gebetsunterstützung, hier kann jeder etwas einbringen.
  • Wie wäre es, wenn auch pastorale Gremien, etwa Pfarrgemeinderäte, einen missionarischen Vorsatz im Geiste des Hl. Paulus fassten?

Ich bin froh, dass das vor kurzem eröffnete Dialogjahr mit der Jugend in das Paulusjahr fällt. Allen Verantwortlichen im Jugendamt, in den Dekanaten in den Jugendverbänden danke ich für diese Initiative, die wir gemeinsam tragen. Die Jugend hungert nach Sinn und dies, obgleich sich viele junge Menschen zweifelsohne von der Kirche weit entfernt haben.

Das Dialogjahr bietet mir die Möglichkeit, jungen Menschen zu begegnen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es bietet auch Ihnen in den Familien und Pfarreien die Möglichkeit, auf die Jugend zuzugehen, über Fragen des Lebenssinns und des Glaubens zu sprechen. Es ist noch viel Platz. Schließen Sie sich mir an, unterstützen Sie mich, gehen Sie auf die Jugend zu!

Dank für alles, was im Bistum an Gaben eingebracht wurde

Nun bleibt mir zu danken für all das, was uns als Ortskirche im zurückliegenden Jahr geschenkt wurde. Stellvertretend seien einige Gruppen und Ereignisse genannt. Ich danke Gott für die vielen Ehrenamtlichen, die in unseren Pfarreien und Filialen verschiedene Dienste verrichten. Ich danke für den Dienst der Pfarrgemeinderäte, die in diesem Jahr auf 40 Jahre Weggeschichte blicken konnten. Anlass zum Dank geben auch die vielfältigen Beziehungen unseres Bistums hinein in die Weltkirche. Der Besuch einer Bistumsdelegation aus Eichstätt unter Leitung des Hochwürdigsten Herrn Generalvikar im Patenbistum Poona anlässlich des 75. Geburtstages von Bischof Valerian hat die Menschen in der Diözese Poona mit großer Freude erfüllt und die Bande zwischen den beiden Bistümern gestärkt. Nicht zu vergessen sind unsere Partnerschaften mit dem Erzbistum Gitega in Burundi, mit dem Bistum Leitmeritz in Tschechien und, jüngst erneuert durch den Besuch unseres Priesterrates, die Beziehung mit Dresden-Meißen.

Segen und Kreuz spielen sich das Jahr über im Verborgenen und Kleinen ab. Die Krippe sagt uns, Gott kommt im Kleinen an und kann nur im Kleinen groß werden. Daher muss der Mensch klein werden, will er Gott aufnehmen.

Am Ende des Lebens hat nur das Kleine Bestand, in dem Gott groß werden konnte: der Respekt voreinander, das gute Wort, die verborgene Liebe des Alltags, die wir uns gegenseitig schenkten, das Gebet, die Begegnung mit Ihm, dem Herrn, im Gottesdienst. Am Ende des Lebens wird der Mensch selbst klein und wird allein von Gott her Größe empfangen. Möge Gott unsere Verstorbenen groß machen, d. h. zu sich erheben, bei sich bergen: unseren verstorbenen Domkapitular Manfred Winter, die verstorbenen Priester, die heimgegangenen Mitarbeiter des Bistums und all jene Verstorbenen, um die Sie ganz persönlich trauern, deren Heimgang Sie mit Schmerz erfüllt. Uns aber schenke er, der Herr, zum Jahresschluss ein Herz voll Dankbarkeit.

Amen.

 

[1] Assheuer Th., „Der Kapitalismus ist virtuell geworden,“ in: Die Zeit Nr. 40 (25. September 2008), S. 63.