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Im Wortlaut

Predigt des Hochwürdigsten Herrn Bischof Gregor Maria Hanke OSB zur Priesterweihe am 2. Mai 2020 in der Schutzengelkirche in Eichstätt

Liebe Schwestern und Brüder,

Parteien und Vereinigungen werben um Mitglieder. Mitgliederzahlen bedeuten Einfluss und Macht in Gesellschaft wie Politik. Kein Wunder, dass Programminhalte so formuliert werden, dass sie ankommen und neue Mitglieder generieren.

Auch Jesus sucht Menschen zu gewinnen, er will den Menschen nahe sein in ihren Sorgen und Nöten. Doch Ankommen um jeden Preis, Suche nach Popularität ist nicht sein Weg, wie uns das heutige Evangelium aufzeigt.

Viele Sympathisanten scharen sich um ihn nach der Brotvermehrung, auf die sich das Evangelium bezog, doch nicht alle gelten ihm als Jünger. Viele verlassen ihn sogar.

Bei der Sammlung des Jüngerkreises zeichnen ihn die Evangelien als einen, der souverän entscheidet und handelt. Es gibt Menschen um ihn, die ihm folgen möchten: Meister, lass mich dir folgen, sagt ihm ein Schriftgelehrter. Doch schickt er ihn weg mit den Worten: Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel ihre Nester, der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt legen könnte (vgl. Mt 8,19f).

Andere wählt er souverän aus, ohne mit ihnen zu diskutieren. Er ist es, der ruft und erwählt.

Über die Erwählung der Zwölf schreibt der Evangelist Markus: Er stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er wollte. (Mk 3,13) Der Evangelist Lukas verweist gleichfalls auf Jesu Autorität bei der Berufung der zwölf Apostel: Als es Tag geworden war, rief er seine Jünger. Und aus ihnen wählte er die zwölf, die er Apostel nannte (Lk 6,13).

Bei der Aussendung der 72 Jünger in Zweiergruppen aus der größeren Schar seines Gefolges betont der Evangelist wiederum das freie Auswahlprinzip Jesu: Danach suchte der Herr 72 andere Jünger aus und sandte sie voraus in die Städte und Dörfer, in die er selbst gehen wollte (Lk 10,1). Dem griechischen Wort für „aussuchen“ kommt an dieser Stelle die Bedeutung „ernennen, zu etwas machen“ zu. Gemeint ist also: „Danach ernannte der Herr aus der Menge 72 andere Jünger...“

Jesus sieht kein Bewerbungsverfahren für seine Gesandten vor. Ein persönliches Anrecht auf Berufung durch ihn gibt es auch nicht. Er und nur er trifft die Auswahl. Berufung und Sendung durch den Herrn bedeutet eine besondere Indienstnahme für das Reich Gottes, für das der Jünger einzustehen und dessen Kommen er zu dienen hat.

Er verbindet die Sendung mit Aufträgen, die das Kommen des Reiches bezeichnen: Heilt die Kranken und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe (Lk 10,9). Beim Abendmahl vor seinem Tod legt er die Sorge um die Eucharistie, um die Feier des kommenden Reiches in die Hände der Zwölf. Nach seinem Sühnetod und der Auferstehung verleiht er den Jüngern die Vollmacht der Sündenvergebung: Wem ihr die Sünden nachlasst, dem sind sie vergeben (Joh 20,23).

Dieses kommende Reich Gottes gestaltet sich ganz und gar nicht nach der Logik des gesellschaftlichen Miteinanders. Es geht auch mit Bereichen unseres kirchlichen Lebens nicht konform. Vieles, was für uns Bedeutung hat und jetzt seinen Sinn haben mag, wird relativ im Blick auf das Reich Gottes, auf das Himmelreich, in dem eine ganz andere Ordnung herrscht: Die Letzten werden die Ersten sein. Ein Schatz im Himmel, also Reichtum im Himmelreich, entsteht, indem man jetzt bewusst den Armen gibt und arm wird. Bewohner des Reiches Gottes werden die verlorenen Söhne sein, die Armen, die zur Liebe bekehrten Sünder, die reumütigen Lumpen, sofern sie alle nur ihr Herz am rechten Fleck, bei Gott hatten und haben und das Elend ihrer Seele nicht verdrängen und vertuschen. Denken wir etwa an den Obergeldeintreiber Zachäus, der zur Zeit Jesu zu den verachteten Kollaborateuren mit den Römern zählte, oder jenen Zöllner aus dem Gleichnis Jesu, der ganz hinten im Tempel betete: Herr sei mir Sünder gnädig, und sich dabei an die Brust schlug (vgl. Lk 18,9-14). Dann auch der reumütige Räuber, der mit Jesus gekreuzigt wurde und bittet: Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst (Lk 23,42). Schwerlich werden die Besserwisser in das Reich Gottes eintreten, die glauben, Alleskönner zu sein, die sich perfekt wähnen, auch religiös perfekt, die verbürgerlicht und selbstzufrieden leben.

Mit dem Reich Gottes verhieß Jesus nicht eine neue, bessere Sozialordnung, sondern den Anbruch der Wirklichkeit des dreifaltigen Gottes mit den Wirkungen des Geistes der Liebe Gottes. In diesem Raum des Gottesreiches will Gottes Liebe einen jeden umarmen und uns zutiefst miteinander verbinden. Wir nehmen bereits jetzt Strahlen dieses Gottesreiches in uns auf, etwa in der Eucharistie, stellen aber das Reich nicht selbst her. Es kommt aus Gott in Jesus auf uns zu. Wir können diese Liebe annehmen und unser Ja dazu sagen. In Jesus von Nazareth und seinem Wirken ist dieses Reich endgültig angebrochen, daher die souveräne Auswahl der Boten des Reiches durch ihn.

Dieses Reich Gottes beginnt im Hier und Heute, nicht erst im Jenseits. Es ist bereits vorhandenes Samenkorn und erst noch wachsender Baum. Das Reich ist bereits präsent wie der Funkenstrahl, der aus dem Feuerstein geschlagen wird, und bestimmt ist, loderndes Feuer zu sein. Aufgabe der vom Herrn erwählten Boten ist es, dem Funkenschlag zu dienen.

In einer demokratisch geprägten Gesellschaft stößt dieses Top-down-Ausleseverfahren auf Unverständnis. Dort gilt: „Gleiches Recht für alle.“ Im Namen von Gleichheit und Gerechtigkeit müssen jedem und jeder alle Berufswege grundsätzlich offen stehen. Für unser gesellschaftliches und politisches Miteinander und für die freie Entfaltung der Menschen hat sich das Prinzip der Chancengleichheit bewährt. Der Dienst am Reich Gottes aber ist etwas anderes als Selbstentfaltung. Es geht um die Entfaltung Christi in mir und uns. Mein Mund soll Mund Christi werden und Christi Mund der meine. Dadurch werde ich zu dem, der ich in Gottes Augen sein soll. Dadurch komme ich wahrhaft zu mir selbst. Sein Reich wird dann durch mich sichtbar, es scheint durch mich hindurch.

So undemokratisch Jesus in unseren Augen vorgeht, so offenbart sich doch auch hierin die neue Logik des Gottesreiches. Der Herr erwählt souverän, aber niemand wird von Gottes erwählender Liebe ausgeschlossen. Gott will jeder und jedem reichlich zuteilen, doch wir erhalten die Gnadengaben in je eigener Gestalt. Die Souveränität des Herrn bei der Verteilung der Gaben fasst der Epheserbrief zusammen: Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer (Eph 4,11).

Im Vaterunser beten wir: „Dein Reich komme.“ Es ist nicht unser Reich. Der Herr ist und bleibt souverän. So erachtete die junge Kirche nach Jesu Himmelfahrt die Souveränität des Herrn für die Bestellung der Gesandten als unverzichtbar. In der Nachwahl des Matthias in das Zwölfer-Kollegium scheint dies auf. Durch den Verrat und den Tod des Judas war eine Lücke entstanden. In der nachösterlichen Kirche bindet sich das Wirken des Geistes Jesu bei der Auswahl für die Sendung an die Gemeinschaft derer, in deren Mitte der Auferstandene fortlebt. Aber diese Gemeinschaft hat dem Willen des Herrn Raum zu schaffen. Das bekennt die Gemeinde im Gebet vor der Wahl des Matthias: Herr, du kennst die Herzen aller, zeige, wen du von diesen beiden erwählt hast diesen Dienst und das Apostelamt zu übernehmen (Apg 1,24f). Der Losentscheid, der auf die Prüfung der Kandidaten und auf das inständige Gebet folgte, ist kein Zufallsgenerator oder ein magisches Handeln, sondern Raum der Souveränität des Herrn inmitten der Gemeinde, zu berufen wen er will.

Zwei Kandidaten, Andreas und Ralph, befinden sich heute in unserer Mitte. In dieser Weiheliturgie werden sie zu Priestern, zu Dienern Jesu Christi und seines Reiches geweiht. Weder menschliche Sympathie, noch ihre Kompetenz, noch die Sorge um die Mehrung der Priesterzahl können Grundlage für ihre sakramentale Bestellung zu Priestern sein.

Unsere Weihe entspricht dann der Linie der Berufungen, wie sie die neutestamentlichen Schriften überliefern, wenn auch hier und heute der souverän rufende Herr am Werk ist. Beide Kandidaten hatten zunächst andere Berufsentscheidungen für sich getroffen, ehe sie einen Ruf des Herrn spürten. Irgendwann auf ihrem Weg haben die kirchlichen Verantwortlichen zusammen mit den beiden und zahlreichen Schwestern und Brüdern des Gottesvolkes festgestellt: Es ist der Herr, der ruft.

Wie aber lässt sich denn erkennen, dass Gott es ist, der ruft und nicht die eigene Phantasie oder das Wunschdenken eines kirchlichen Verantwortungsträgers? In der Tat kann mit einer vorschnellen Berufung auf Gottes Willen übler Missbrauch getrieben werden. Es ist geistlich zerstörerisch, wenn das Ego eines Menschen in Gottes Namen zu handeln beansprucht und Gottes Handeln dabei verdeckt oder behindert. Die Nachwahl des Matthias bietet uns Hilfestellung bei dieser Frage.

Das Ineinander von Gemeinschaft und Amt: Die Apostelgeschichte schildert, dass rund hundertzwanzig Jünger versammelt waren. In dieser Gemeinschaft erhob sich Petrus und deutet das Ausscheiden des Judas aus dem Kreis der Zwölf als Auftrag zur Nachberufung. Nicht ein Nebeneinander, nicht ein oben und ein unten, sondern das Ineinander von Gemeinschaft und Amtsträger ist die Tür, damit Gottes Handeln offenbar werden kann. Es geht um wahre Communio, nicht bloß um Gemeinschaft.

Die Gemeinde bedarf der amtlichen Deutung der Geschehnisse, aber der Amtsträger kann dies erst in Rückbindung an die Gemeinschaft tun. Alle müssen auf dem Fundament der Hörbereitschaft auf Gottes Willen stehen.

Die Person Christi als Schlüssel der Deutung der Geschehnisse. Das Amt ist beauftragt, Christus in die Mitte zu stellen. Es mehrt sozusagen die Gegenwart Christi. Christus wird zum Deutungsmuster des Lebens. Aus dieser Bewegung erkennt die Jerusalemer Gemeinde die Kriterien für die Nachwahl. Sie zentrieren sich um die Person Christi: Jünger, Apostel kann nur sein, wer zusätzlich zu allen seinen persönlichen Gaben in tiefer Gemeinschaft mit Christus lebt, wer das geistliche Zeug hat, ein Spiegel Christi zu werden.

Nun erst gehen sie gemeinsam an die Kandidatensuche und an die Prüfung der Kandidaten. Da fließt sicher menschliche Kompetenz und Beurteilung der Persönlichkeit mit ein. Aber das letzte Wort maßen sie sich nicht an. Ihr letztes Wort ist inständiges Gebet.

Der dem inständigen Gebet folgende Losentscheid steht für ihr Loslassen. Sie nehmen sich zurück, um der souveränen Berufung durch den Herrn Raum zu schaffen.

Liebe Weihekandidaten, daraus könnt Ihr ein Programm für euren priesterlichen Dienst entnehmen. Leben in Communio, in der Gemeinschaft mit den Schwestern und Brüdern, aber gerade auch mit den Mitbrüdern. Das Wirken des Geistes bedarf der Communio. Ohne die tiefe Communio um Christus legen wir uns selbst und die Kirche lahm. Daher muss sich der Priester täglich einüben in die Liebe zu den Schwestern und Brüdern und sie auf seinen Weg mitnehmen. Er hat zu sorgen für die Mehrung der Gegenwart Christi. Jetzt erst können Gaben und Kompetenzen des Priesters fruchtbar werden. In der gelebten Communio um Christus entgehst Du als Priester der Gefahr, Deine Show abzuziehen oder bei Sorgen im Dienst zu resignieren.

Und schließlich bedarf es des inständigen Gebetes. Solches Beten hält uns dafür offen, nicht selbst das letzte Wort in unserem Dienst zu beanspruchen, sondern es IHM, dem Herrn in unserer Mitte zu überlassen. Er hat Worte des ewigen Lebens, bekennt Petrus im heutigen Evangelium. Diesen Worten wollen wir zum Durchbruch verhelfen, denn er ist der Hirte, er ist der Souverän, wir sind seine Wegbereiter.

Amen.