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Im Wortlaut

Predigt des Hochwürdigsten Herrn Bischof Gregor Maria Hanke OSB anlässlich der Priesterweihe am 11. Mai 2019 im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

Gläubige zeigen sich derzeit irritiert, betroffen und erschüttert angesichts der lokalen, landesweiten oder weltweiten Skandale in unserer Kirche. „Was ist nur in unserer Kirche los?“, so fragte mich eine engagierte Katholikin. „Wann tritt denn endlich wieder das viele Gute zutage, das Tag für Tag in der Kirche und durch die Kirche geschieht?“

Nach den Enthüllungen über sexuellen Missbrauch und Vorwürfen des Machtmissbrauchs hören wir in Deutschland den Ruf nach einer neuen Kirche, nach einer an der sogenannten Lebenswirklichkeit angepassten Sexualmoral, nach veränderten Zulassungen zu den Ämtern. Alles soll neu werden. Die neue Kirche, wer soll sie errichten? Experten in Kommissionen? Eine Mehrheitsmeinung? Also wir selbst aus eigener Kraft? Oder bedarf es einer Kirche, die sich im Geiste des vom Evangelium getragenen Glaubens erneuert, die sich selbst evangelisiert? Eine Kirche, in der Christus und seine Frohe Botschaft ansichtig und spürbarer sind, in der Strukturen und Sozialgestalt der Kirche zurücktreten?

Angesichts der Unübersichtlichkeit, die wir kirchlich hierzulande erleben, fragte ich mich bei der Vorbereitung auf diese Predigt, welche Worte anlässlich einer Priesterweihe zu wählen sind.

Bei einer Hochzeitspredigt wird man kaum die Schwierigkeiten des ehelichen Miteinanders oder gar die Statistik der Scheidungen in die Mittelpunkt der Ansprache stellen, obwohl diese Realitäten vorhanden sind und das Brautpaar sich schon bald nach der Feier bewähren muss. Gerade angesichts der harschen Fakten wird man als Prediger zur Stärkung des Paares vom Zentrum des Geschehens ausgehen, von der Liebe, die sich zwei Menschen schenken und aus der heraus sie vor Gott ihr bleibendes Ja zueinander sprechen. Vom Zentrum, vom Wesen her das Geschehen beleuchten.

Sechs Männer werden heute zu Priestern geweiht. Dies geschieht nicht, um sakramental befugtes Dienstpersonal zu rekrutieren, das die Gemeindeorganisation im Bistum zu stützen hätte. Im Evangelium hörten wir Jesu Worte: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe.“ (Joh 15,9) Die Weihe steht in diesem großen Kontext. Jesus Christus wollte nicht nur seine Kirche, sondern er liebt sie auch, weil er jede und jeden von uns liebt. Selbst als Herde, die nicht ohne Sünden ist, liebt er sie und möchte sie heiligen.

Liebe will sich verschenken. So kommt Kirche vom Herrn her als Geschenk. Nicht Menschen, sondern das Liebeswort Gottes erschafft Kirche, jenes Wort, das Fleisch geworden ist. Jesus sagt uns im Evangelium: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt. (Joh 15,16) Dieses Liebeswort baut auch heute Kirche. Es richtet sich liebend an die Menschen in der Taufe, es will sich immer neu in uns einsenken in der Eucharistie, um uns in den Bund mit Gott aufzunehmen. Dieses Wort hat sich den Weihekandidaten und der Kirche als berufendes Wort erwiesen. Der Apostel Paulus beschreibt im Römerbrief das Wesen der Kirche: Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist. (Röm 5,5)

So wächst der Bund zwischen Mensch und Gott, die Gemeinschaft mit Gott und untereinander, nicht eine ethisch ausgerichtete Gesinnungsgemeinschaft oder Lebensphilosophie. Die in uns ausgegossene Liebe drängt, das Leben miteinander zu teilen.

In der Eucharistie gibt sich das zur Gemeinschaft gesammelte Volk dem Mensch gewordenen Wort als Antwort.

Das Wort also erschafft aus Liebe die Kirche. Diese Stunde ruft in Erinnerung, dass Kirche Christi als Geschenk auf uns zukommt, nicht als unser Verein. Wie wir den Herrn selbst nur empfangen können, so auch im ersten Schritt seine Kirche. Bei der Taufe haben wir auch das Credo, den Glauben empfangen, nicht wir haben das Credo gebracht und Kirche gebaut. Die Haltung, Empfangende und Empfangender zu sein, befähigt uns dann freilich, Bauleute zu werden, an Wachstum und Gestalt der Kirche mitzuwirken, ähnlich wie man zum Wachstum einer Pflanze beitragen kann: durch Pflege, durch Beschneiden, damit Neues ansetzt, durch Bewahren, damit Kostbares bleibt.

Weil Kirche ein Geschenk des schöpferischen Gotteswortes ist, hat ihr der Herr keine Manager als ihre Entwickler beigegeben, keine Verwaltungsbeamten oder Vereinsvorstände, die als basisdemokratisch legitimierte Gemeindeleiter wirken. Er berief zur Fortführung seines Wirkens Apostel, auf deren und der Propheten Fundament gemäß dem Epheserbrief die Kirche gebaut ist. (Eph 2,20). Dem schöpferischen Wort entspricht der Apostel, dessen Leben und Wirken dieses Wort gegenwärtig macht.

Den Dienst der Apostel beschreibt Paulus im Römerbrief als Liturgen des Evangeliums. Leben und Dienst des Apostels müssen das Evangelium Christi lesbar machen. Der Hebräerbrief (Hebr 3,1) bezeichnet  Christus selbst als Apostel und Hohenpriester. Das erschließt uns die Bedeutung der Redeweise vom Liturgen des Evangeliums besser. Sein Dienst und das sich daraus herleitende bischöfliche und priesterliche Wirken sollen durch die Verkündigung des Wortes Christi in Predigt und sakramentalen Zeichen sowie durch das eigene Leben die Gegenwart Gottes aufscheinen lassen. Das Gleichnis vom Sämann, der den Samen des Gottesreiches überall ausbringt, das Gleichnis vom Kaufmann, der die kostbare Perle hebt und ansichtig sein lässt, wie auch das Bild vom kleinen Senfkorn, das schließlich als großer Baum sichtbar wird, veranschaulichen worum es geht. Der Liturge des Evangeliums hat der neuen Wirklichkeit Gottes den Weg zu öffnen. Ihr, liebe Weihekandidaten, werdet am heutigen Tag amtlich mit der Sendung betraut, der neuen Wirklichkeit Gottes zum Durchbruch zu verhelfen. Wo diese erfahrbar wird, erwachen nämlich die Menschen zum priesterlichen Volk Gottes, dort wächst Kirche. So können wir die Weihe von Priestern unmöglich als Zurücksetzung der Getauften und ihrer Sendung deuten, wir dürfen diese Weihe als Zeichen der Liebe des Herrn zu uns allen aufnehmen.

In seinem Dienst nimmt der Liturge des Evangeliums teil an der Sendung Jesu vom Vater in die Welt. Er hat wie der Herr Gottes Gegenwart in den unterschiedlichen Lebenslagen der Menschen zu fördern. Sein Dienst lebt zutiefst von der Feier des sakramentalen Wortes in der Eucharistie. Sie gipfelt ja im wandelnden Wort, die Glaubenden werden dem auferstandenen und wiederkehrenden Christus einverleibt. Gott wird gegenwärtig in der Welt.

Daher ist Messe, Eucharistiefeier für unser Kirchesein unverzichtbar. Durch die Eucharistie verwandelt sich unsere liebende Hingabe an den Nächsten, unsere Geduld im Miteinander, das Annehmen von Krankheit und Leiden zum Ja-Wort zu Gottes Bund mit uns. Weil wir in der Eucharistiefeier den Leib Christi repräsentieren, befähigt sie uns die Gegenwart Gottes in Welt und in die Gesellschaft hineinzutragen, in unsere Beziehungsnetze und in unsere Arbeitswelt.

Das Wesen des Dienstes, zu dem die sechs Weihekandidaten heute bestellt werden, ist die Austeilung des Wortes in seiner unterschiedlichen Gestalt, um Christus im Menschenleben Raum zu schaffen. Dieser Auftrag kann unmöglich nach Funktionärsart vollzogen werden. Das Wort muss im Gesandten wohnen, das drückt die Handauflegung der Weihe aus. Liebe Weihekandidaten, jeder von Euch hat ein Freund des Bräutigams, ein Freund Christi zu sein. Deine Nähe zu Christus lässt Dich als Mann des Gebetes leben, lässt Dich als einen erscheinen, der die Verheißungen des Glaubens durch sein Leben bezeugt, lässt Dich Geistlicher im eigentlichen Sinn des Wortes sein.

Der Gesandte gibt, was er rein menschlich aus sich heraus nicht zu geben vermag. Er gibt, was er sich selbst vom Herrn schenken lassen muss. Deshalb die Priesterweihe.

Der Priester vertritt einen Größeren und ist wie Johannes der Täufer Vorläufer. Er ist Stellvertreter, der den Platz für Christus frei halten muss.  Macht er sich selbst zum Mittelpunkt, würde er den Gläubigen die Sicht auf Christus verstellen. In der Haltung der Selbstlosigkeit kann der Liturge des Evangeliums das Wort in Fülle austeilen.

So steht er für den Gekreuzigten. Ein Dienst in dieser Haltung gestaltet sich nicht als Machtausübung, vielmehr herrscht Christus und sein Wort. Wie kein zweiter ordnete Paulus die Leitungsstrukturen in der Kirche, die unerlässlich sind, aber niemand sollte herrschen, nicht Einzelne und nicht das Volk, nur Jesus und sein Wille. Die stetige Suche nach Gottes Willen im Geist des Glaubens entmächtigt alle falschen Machtansprüche gleichermaßen und führt zusammen in die Gemeinschaft des Bundes Gottes.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott liebt seine Kirche, liebt er doch jede und jeden von uns. Diese sich schenkende Liebe ist unser fester Grund, auf dem wir stehen, diese Liebe ist Anlass der Freude des heutigen Tages. Denn die Weihe dieser Kandidaten ist Ausdruck seiner Liebe zu uns, seiner Sehnsucht nach Gemeinschaft mit uns Menschen, nach unserer Verwandlung in das neue Bundesvolk. Dem habt ihr, liebe Weihekandidaten, zu dienen im Geiste eines Liturgen des Evangeliums. Dienen, nicht herrschen. Das erfüllt sich, wenn die Liebe Gottes in euch herrscht. Der Herr weist euch den Weg: Bleibt in meiner Liebe!

Amen.