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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am 31. Dezember 2009 im Eichstätter Dom

Für einen lebendigen Glauben inmitten der Welt

Seit 2005, seit dem Amtsantritt des aus Deutschland stammenden Papstes sonnte sich die katholische Kirche in den deutschen Gazetten und Blättern in einer gewissen Mediengunst. „Wir sind Papst!“ Für das Katholischsein musste man sich endlich einmal nicht verstecken.

Ein heftiger Paukenschlag zu Beginn des Kalenderjahres 2009 beendete jedoch abrupt die positive Medienwahrnehmung des Hl. Vaters und auch der katholischen Kirche hierzulande. Papst Benedikt hatte in einem großzügigen Gestus die Exkommunikation der drei illegitim geweihten Bischöfe der Piusbruderschaft aufgehoben, aber nicht um sie, wie fälschlich behauptet wurde, durch diesen Schritt in die volle Gemeinschaft der Kirche aufzunehmen. Diese sachlich falsche Darstellung hielt sich dennoch über Wochen hartnäckig in der Medienberichterstattung. Die von den Pius-Bischöfen erbetene Rücknahme der Exkommunikation diente lediglich als Geste, um die bereits unter Papst Johannes Paul II. vorbereiteten Gespräche aufnehmen zu können.

Nahezu zeitgleich mit der Geste des Papstes wurde Bischof Williamson als Holocaust-Leugner durch das schwedische Fernsehen entlarvt. Mancher Vatikanist fragte sich, ob die zeitliche Nähe der Interview-Ausstrahlung nicht auf eine bewusste Regieführung schließen lasse. Die menschenverachtende Haltung des Bischofs Williamson in der Frage des Holocausts und die großzügig gedachte Geste des Papstes an die Pius-Bischöfe erwiesen sich als dynamitgleiche Mischung in der deutschen Medienlandschaft. Was dem bis kurz zuvor hoch angesehenen und gefeierten Papst plötzlich nicht alles vorgeworfen wurde: Ihm, der als Theologe stets den Kontakt zu Traditionen des Judentums gesucht hatte und zu jenem Kreis katholischer Theologen zählt, denen die Begegnung mit dem Judentum Impulsgeber für das theologische Wirken war, wurde nicht nur Antijudaismus, sondern sogar Antisemitismus vorgeworfen.

Das Petrusamt in der Kirche dient der versöhnten Einheit

Gottlob ist inzwischen auch in Deutschland mehr Nüchternheit eingekehrt. In anderen Ländern hat freilich der Gestus des Papstes bei weitem nicht die mediale und öffentliche Gehässigkeit ausgelöst, wie in seiner Heimat, im deutschsprachigen Raum. Im englischsprachigen Raum haben selbst weltliche Kommentatoren in Papst Benedikts Initiative gegenüber den Pius-Brüdern eine größere theologische Linie erkannt, nämlich den Dienst an der Einheit. In Kommentaren über die Geste gegenüber den Bischöfen der Pius-Bruderschaft erinnerte man sich auch an den hochherzigen Brief des Papstes an alle chinesischen Katholiken, an die im Untergrund und an die der Staatskirche mit ihren ebenfalls illegitim geweihten Bischöfen. Und sie alle umarmte der Papst durch seinen Brief, in dem er ihnen Entgegenkommen in Aussicht stelle, um sie alle gemeinsam, die chinesische Untergrundkirche und die sog. patriotische Kirche Chinas, in die größere Gemeinschaft der Weltkirche um den Nachfolger des Apostels Petrus zu sammeln.

Und jüngst das Entgegenkommen gegenüber jenen Gruppen von Anglikanern, die von sich aus um die Einheit mit Rom gebeten haben: Der Papst machte diese Angelegenheit sozusagen zur Chefsache und ließ dafür Sorge tragen, dass liturgische Eigentraditionen bewahrt werden können.

Ein Kolumnist einer New Yorker Wirtschaftszeitung schrieb: Benedikt – kein Uniformist, sondern ein Freund der theologisch legitimen Artenvielfalt!

Das Petrusamt in der Kirche hat der Einheit zu dienen, der versöhnten Einheit. Die Einheit ist das Anliegen des Herrn selbst. Im Hohepriesterlichen Gebet des Johannesevangeliums bittet der Herr: „Ich bitte für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt“ (Joh 17, 20b-21). Auch hat Paulus im Bild vom Leib Christi, der die Kirche ist, eine Theologie des Eins-Seins in Christus vorgelegt. Christ sein geht nur in Gemeinschaft, in Einheit mit Christus und von daher in Einheit mit den Schwestern und Brüdern, in Einheit mit der Kirche. Wenn die Einheit ein Ur-Anliegen des Herrn ist, dann sollten wir den Einheitsdienst des Petrusamtes als Geschenk des Herrn an uns betrachten.

Wir wollen uns in unserem persönlichen Mühen um die Einheit in der Kirche um den Nachfolger des hl. Petrus sammeln und dankbar seinen Dienst annehmen. Vertrauen wir darauf, dass Gottes Geist dadurch wirksam wird. Aus der Kirchengeschichte ersehen wir, dass Uneinigkeit, Zersplitterung, zahllose weitere Abspaltungen die Folge sind, wo der Dienst des Nachfolgers Petri für die Einheit abgelehnt wurde oder wird. Das sollte auch die Pius-Bruderschaft bedenken.

Das II. Vaticanum steht in Kontinuität zur Überlieferung

Erklärungen zugunsten des II. Vatikanums in Verbindung mit Unterschriftenaktionen unterstellten dem Papst indirekt, sich vom II. Vatikanum zu entfernen. Solche Initiativen sind nicht nur aus dogmatischer und ekklesiologischer Sicht absurd, sondern verkennen geradezu das Anliegen des Papstes, dem es ja um die Aufnahme des II. Vatikanischen Konzils in die Herzen der Menschen geht. Für Papst Benedikt steht die eigentliche Rezeption des Konzils und seiner Anliegen in vielen Bereichen noch aus. Er selbst gehörte doch vor Konzilsbeginn zu den Theologen, die sich nach einem geistlichen Neuaufbruch gesehnt hatten, weil sie mancherlei theologisch-kirchliche Erstarrung sahen. Ihre Sehnsucht und ihre Hoffnung zielten auf eine neue Lebendigkeit der Kirche sowie auf eine einladende wie gleichermaßen missionarische Weise der Begegnung zwischen Kirche und Welt. Dazu bedarf es der Reform, doch einer Reform, die gemäß den Dokumenten des Konzils im Innern des Menschen ansetzt. Die neuen theologischen Akzente und Perspektiven der Konzilsdokumente sollten dem Reformprozess im Inneren dienen und das Glaubensleben neu erblühen lassen.

Die Aufnahme und Umsetzung des Konzils ist keineswegs abgeschlossen, ja vieles muss erst in die Herzen eingepflanzt werden. Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie viele Jahre und Jahrzehnte vergangen sind, bis etwa das Konzil von Trient im Leben der Gläubigen angekommen war. Der Prozess der Aufnahme des II. Vatikanischen Konzils ist dabei von mehreren Krankheitserregern bedroht: Da ist einmal die traditionalistische Total-Ablehnung des Konzils, nach deren Meinung die Konzilsbeschlüsse einen Bruch mit der bisherigen Lehrtradition der Kirche darstellen. Innerkirchlich hingegen herrscht mitunter eine Fischer-Mentalität vor, die aus den Texten und Anliegen des Konzils das herauszufischen sucht, was persönlichen Vorstellungen genehm ist, was sich leichter in die säkulare Gesellschaft einfügen und vermitteln lässt.

Wer heute seinen Glauben ernsthaft praktizieren will, steht sehr schnell gegen den Mainstream. Unter Religion versteht man gesellschaftlich heute eher eine allgemeine ethische Grundeinstellung, die Lehre vom rechten Verhalten des Menschen, aber nicht mehr die Wahrheit von Gott und Mensch. Papst Benedikt will uns bewegen, die Dokumente, Anliegen und Schätze des Konzils neu kennen zul ernen und zu vertiefen, damit unser Glaube in den Herausforderungen der Zeit bestehen kann. Glauben, lebendig glauben inmitten der Welt, dazu wollte das Konzil der Kirche und den Menschen Hilfen geben. Dabei ist die Zusammenschau der Konzilsdokumente wichtig. Erst die Zusammenschau gibt den ungetrübten Blick auf die großen Anliegen und Impulse des Konzils frei und beugt Fehlinterpretationen vor, die oftmals unter dem Schlagwort des sogenannten Geistes des Konzils laufen.

Wir werden durch die Zusammenschau der Dokumente zudem erkennen, dass das Konzil in Kontinuität zur Überlieferung steht. Die Hermeneutik der Kontinuität statt Hermeneutik des Bruchs ist ein Anliegen des Papstes. Das II. Vatikanische Konzil ist in der Tradition der Kirche wie ein Baum, der weiter gewachsen ist. Dessen Frucht soll uns für unseren Glaubensweg stärken.

Neuer Höchststand an Kirchenaustritten löst viele Fragen aus

Bei der diesjährigen Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda wurde ein neuer Höchststand an Austritten aus der katholischen Kirche in Deutschland bekannt gegeben. Gegenüber den Vorjahren schnellte die Zahl mit über 120 000 Austritten beträchtlich nach oben. Diese Anzahl an Getauften, die der Kirche innerhalb eines Jahres offiziell den Rücken gekehrt haben, löst tiefe Betroffenheit und viele Fragen aus.

Der Kirche laufen die Menschen davon. Was tut die Kirche gegen den Mitgliederschwund? - solche Fragen stellten mir kürzlich Presseleute. Wie soll es denn weitergehen, man kann doch die Entwicklung nicht einfach so laufen lassen?

Einerseits die hohe Austrittszahl, andererseits können kirchliche Schulen eine ungebrochen wachsende Nachfrage verzeichnen. In Städten bevorzugen Eltern für ihre Kinder Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft gegenüber kommunalen Einrichtungen. Aufenthalte in Klöstern, Pilgerwege und Fußwallfahrten sind populärer denn je. Was sind die Gründe für die hohen Austrittszahlen? Welche Botschaft für uns ist darin enthalten?

Medien in unserem Land stellten die Frage, ob nicht die Williamson-Affäre und der entgegenkommende Umgang mit den Pius-Brüdern zum Anstieg der Kirchenaustritte beigetragen haben könnten. Mag sein, dass innerlich bereits distanzierte Kirchenmitglieder auf den Eklat um Bischof Williamsons antisemitischen Standpunkt hin den zivilrechtlichen Schnitt mit der Kirche vollzogen haben. Doch waren die Austrittszahlen schon in der Zeit vor dem Eklat angestiegen. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Geste des Papstes gegenüber den Bischöfen der Pius-Bruderschaft in vielen romanischen Ländern Europas und in anderen Erdteilen kaum negative Auswirkungen auf das kirchliche Leben hatte.

Innerkirchlich wird die Befürchtung geäußert, dass wir eine Pastoral verfolgen, die am Menschen und seinen Fragen vorbeigeht. Dann noch der Strukturwandel mit der Schaffung größerer pastoraler Räume, was kirchendistanzierte Gläubige noch leichter zum Austritt bewegen könnte, da Begegnung und lebendige Beziehung in der Seelsorge erschwert werden. Immer weniger Priester und Hauptamtliche müssten immer mehr Aufgaben bewältigen, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Verwaltung. Am Ende der Entwicklung könnte für viele Gläubige ob dieser Distanz ein Verlust der Identifikation mit Pfarrgemeinde und Kirche stehen.

Wirtschaftliche Gründe waren auf alle Fälle ein Faktor der gestiegenen Austrittszahlen. Ökonomische Krisenzeiten bilden stets eine Versuchung, der Kirche den Rücken zu kehren, um die Kirchensteuer zu sparen. Das Jahr 2009 gestaltete sich wirtschaftlich als schwieriger Zeitraum. Die seit 2009 gültige Regelung zur Abgeltungssteuer dürfte die Austrittswelle verstärkt haben.

Die Individualisierung der Religiosität in unserer Gesellschaft wird als weiterer Grund genannt. „An was glaubst du?“, wurde eine 35-jährige in einem Magazin gefragt. „Ich glaube daran, dass jeder an etwas glaubt.“ (M. Spieker, Mehrwert, 10.) Das Konzept von Religiosität heißt oft: Selbstbedienungsladen. Hol dir, was dir gut tut! „Gott auf dem Seziertisch“, schrieb ein Journalist. Man bedient sich an ihm, wie es gefällig ist. Die einen rufen nach Gott als dem Hausmeister der Nation, der sorgen soll, dass einigermaßen Ordnung herrscht, dass eben Werte wieder geachtet werden. Für andere ist Gott nur noch die Erfahrung eines Gefühls, das gut tut, aber mit Kirche eigentlich nichts zu tun hat.

Die Austritte verändern unser Land

Die Lage gestaltet sich komplex, einfache Erklärungen gibt es nicht. Fest stehen dürfte jedenfalls, dass die anhaltende Bewegung der Kirchenaustritte unser Land und die Kultur des Zusammenlebens in der Gesellschaft nachhaltig verändern wird.

Zunächst ist der Austritt freilich im Blick auf das Glaubensleben des Einzelnen und auf seinen Heilsweg zutiefst bedauerlich. Ein Glied des Leibes Christi bekundet durch den Austritt öffentlich, sich von der Kirche distanzieren und außerhalb der sakramentalen Gemeinschaft des Leibes Christi stehen zu wollen, wenngleich die Taufe ihre Gültigkeit nicht verliert. Die zunehmende religiöse Bindungslosigkeit führt schließlich zu einem Vakuum in unserer Gesellschaft. Was verbindet die Menschen untereinander noch, wenn es nicht mehr der Glaube an den biblischen Gott ist, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat? Worauf sollen Letztbegründungen für Normen und Regeln des Zusammenlebens gestützt werden? Wo finden die Menschen Sinn für ihr Leben? Wo ist die Kraft, zu vergeben und verzeihen, sich und anderen, und neu zu beginnen?

Die Austrittszahlen haben auch eine Verknappung der finanziellen Ressourcen der Kirche zur Folge. Das hat nicht nur innerkirchlich Konsequenzen, sondern auch für das gesellschaftliche Engagement der Kirche. Gewiss muss es nicht in allem ein Schaden sein, das Evangelium mit bescheideneren Ausstattungsmitteln zu verkünden und dabei wieder mehr auf die Zeugniskraft von Christen zu setzen als auf Administration, Management und bedrucktes Papier. Das wahre Kapital der Kirche ist seit nahezu 2000 Jahren das von Menschen glaubwürdig gelebte und vorgelebte Evangelium. Freilich muss sich die Gesellschaft zugleich darauf einstellen, dass die Kirche – mit weniger Mitteln ausgestattet - nicht mehr wie im bisherigen Umfang an Brennpunkten präsent sein kann und dass die Dienstleistungen für die Gesellschaft anderweitig zu ersetzen sind.

Können uns Programme helfen?

Was bleibt also zu tun? Zuschauen? Oder können wir etwas gegen diese Entwicklung unternehmen? Brauchen wir vielleicht ein neues Pastoralprogramm?, fragt mancher.

Parteiprogramme kann man umschreiben oder attraktiver machen, indem sie abgestimmt werden auf Interessen und Wünsche der Mitbürger.

Selbstverständlich müssen auch wir in der Pastoral koordinieren, planen und reagieren, justieren. Was wir tun können in Richtung nachgehender Seelsorge an den aus der Kirche Ausgetretenen, das ist zu tun: zugehen auf sie, sie ansprechen und einladen. In der Kirche geht es aber nicht um Kunden und deren Bedürfnisse, wie in einem Verein oder in einer politischen Partei, die ihre Strategie nach einer schlecht gelaufenen Wahl oder angesichts Mitgliederschwunds ändert.

Die Kirche ist gemäß dem II. Vatikanum (LG 6) eine Wirklichkeit, die dem Menschen von Gott vorgegeben ist, ehe der Mensch sein Engagement einbringen kann: sie ist Acker Gottes, von Gott als auserlesener Weingarten gepflanzt, Zelt Gottes unter den Menschen, Gottes Bauwerk, sie steht zunächst also für das Handeln Gottes unter uns. Darin unterscheidet sie sich von einem Verein oder sonstigen Organisationen, die nie mehr als die Summe ihrer Glieder sein können. Die Kirche ist Gemeinschaft des Heiles in Jesus Christus. Das heißt, die Kirche ist Gefäß für den tiefsten Sinn des menschlichen Lebens.

In den tiefsten Sinn des Lebens wächst der Mensch nur durch Begegnung hinein und durch das glaubwürdig vorgelebte Zeugnis.

Feuerstelle Gottes in dieser Welt

Liebe Schwestern und Brüder! Was heißt denn Kirche als „Gemeinschaft des Heiles“? Kirche ist die Feuerstelle Gottes in dieser Welt. Gottes Feuer, seine Wärme, sein Licht, seine Energie sind bei uns. Wir wissen, dass diese Welt, dass unser Leben und das, was uns bewegt, nicht alles ist. Jesus Christus ist als das Licht, als das Feuer Gottes zu uns gekommen, um uns den Weg in die Zukunft Gottes auszuleuchten. Deshalb sind wir Jünger Jesu Menschen der Hoffnung. Unser christlicher Glaube ist eine Bewegung der Hoffung auf ein großes Ziel hin, auf Gott hin, angetrieben vom Feuer der Gegenwart Gottes. Der 1. Petrusbrief setzt voraus, dass Christen von solcher Hoffnung erfüllt sind: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr. 3,15).

„Wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt.“ (1 Tim 4,10).

Liebe Schwestern und Brüder, Kirche, die Feuerstelle Gottes in dieser Welt. Feuer ist ansteckend, es breitet sich bekanntlich leicht aus und vermag schließlich sogar schwer Entflammbares in Brand zu setzen. Sind wir Gläubige Träger dieser Feuersglut Gottes? Oder schleppen wir viel Asche mit uns herum?

Ich frage mich, was wohl geschähe, wenn jemand aus der Kirche austreten möchte und zuvor noch bei mir im Bischofshaus eine Zeitlang zu Gast wäre oder bei Ihnen in der Familie, in einer unserer kirchlichen Schulen oder in einer unserer kirchlichen Sozialeinrichtungen? Was würde er wahrnehmen: Feuer oder Asche? Feuer ist ansteckend! Christliche Begegnung gibt das Feuer der Hoffnung weiter. Dann gilt, was Martin Buber gesagt hat: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ (Das dialogische Prinzip. Ich und Du)

Mitten unter uns, in unseren Pfarrgemeinden, lebt eine beträchtliche Zahl von Getauften, die sich meist schon lange vor ihrem Austritt von der Kirche distanzieren und sich nur noch in geringem Ausmaß an Pfarrgemeinde und Kirche gebunden wissen. Diese Menschen am Rand der Kirche leben offensichtlich sicher vor jeder christlichen Ansteckung. Diese Menschen, die sich bereits im Ausgangsbereich der Kirche aufhalten, stellen bei uns in der Pastoral häufig nur noch eine negative Größe dar: sie werden statistisch geführt als die Zahl derer, die beim sonntäglichen Gottesdienstbesuch fehlen, als diejenigen, die eben nicht mehr kommen, nicht mehr praktizieren. Aber die Kategorie des „Nicht mehr“ kann keine pastorale Größe sein.

Liebe Schwestern und Brüder, nicht Asche anhäufen, sondern füreinander brennen, das ist unser Auftrag! Selbst wenn der andere schwer entflammbar ist für die christliche Hoffnung.

Nachdenklich stimmte mich der Artikel des Journalisten Matthias Stolz im Zeitmagazin vom 17. Dezember 2009, in dem er Begegnungen mit Priestern und Hauptamtlichen in der katholischen Kirche schildert, Begegnungen, die mehr die Asche als die Glut der Glaubenshoffnung spüren ließen. Dieser Journalist erfuhr vom Kirchenaustritt eines Kollegen. So stellte auch er sich die Frage, ob für ihn ein Verbleib in der Kirche noch sinnvoll sei. Er hatte einst das komplette kirchliche Programm durchlaufen, vom katholischen Kindergarten über eine kirchliche Schule bis zum Abitur, vom Ministranten über Jugendleiter mit Taizé-Fahrten bis zum Mitarbeiter bei der Firmvorbereitung. Aber inzwischen hat er mit Kirche nichts mehr am Hut: „Sie hat sich aus meinem Leben geschlichen, als ich erwachsen wurde.“… „Ohne bewussten Entschluss bin ich nicht mehr in die Kirche gegangen, so wie Vereinsfußballer oft ihren Sport aufgeben, wenn sie umziehen“. Zur Entscheidungsfindung macht er sich auf den Weg zu verschiedenen Priestern, um ihnen von seiner Kritik an der Kirche zu erzählen und ihren Rat einzuholen, von der Kritik am Papst und seiner ablehnenden Haltung gegen künstliche Befruchtung und seinem Entgegenkommen gegen die Pius-Brüder usw. Am Ende seiner Reise resümiert der Journalist: Kein Pfarrer hat mich vom Papst überzeugt. „Die meisten wollten es auch gar nicht. … Sie reden über ihn wie über ein Problem. Wieso sollte ich seinetwegen austreten. Wenn sie mich also nicht rauswerfen nach dieser Recherche, werde ich in diesem seltsamen Verein bleiben, sicher noch eine Weile.“ (S.19)

Liebe Schwestern und Brüder, gewiss kein repräsentatives Bild für den Zustand der Kirche in unserem Land, aber zumindest ein Schlaglicht dafür, dass wir, Gottes Bodenpersonal, selbst Orientierungsschwierigkeiten haben und manchmal dem Hang zur Selbstzerfleischung nachgehen, statt zu brennen und Zeugnis zu geben für die Hoffnung.

Nicht Träger der Asche sein, sondern Träger der Glut, Träger christlicher Zukunftshoffnung.

Unser christliches Hoffnungspotential in die Gesellschaft einbringen

Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir die Hoffnung in uns aufbrechen. Weg mit der Asche, suchen wir die Glut. Es braucht Menschen, die Hoffnung von Gott her in die Welt tragen, die fähig sind, anderen Menschen zu begegnen, sie in ihren Sorgen und Nöten des Lebens ernst zu nehmen und Zeugnis von der Hoffnung auf Gott abzulegen.

Wir brauchen Feuerstellen christlicher Hoffnung. Das ist unsere Herausforderung in den Pfarreien, Seelsorgeeinheiten und im Bistum:

Familien, in denen die Glut am Lodern ist,

kleine christliche Gemeinschaften und Gruppen,

neuere geistliche Bewegungen mit ihren konzentrischen Kreisen,

Klöster, die Gastfreundschaft gewähren und Menschen auch im Abseits beheimaten,

Bruderschaften, die sich nicht auf Tradition und kirchliche Folklore nur erstrecken, sondern Zellen, die Herdstellen der Glut sind.

Liebe Schwestern und Brüder, die schwarzen Löcher der Hoffnungslosigkeit mehren sich in unserer Gesellschaft. Unser Land wird zusehends ärmer, nicht nur materiell, sondern an Hoffnung!

Die Liste mit Indizien erlöschender Hoffnung könnte sehr lange werden:

Angefangen bei der niedrigen Wahlbeteiligung, bei einer Regierung ohne Euphorie, weiter zum Klimagipfel in Kopenhagen, der doch ein Trauerspiel der Hoffnungslosigkeit war. Denn, wer keine Hoffnung hat über dieses Leben hinaus, wie soll der verzichten können und sich einschränken können. Er wird doch vielmehr getrieben, herauszuholen, was nur geht.

Auch in der Wirtschaft ist nach der Bankenkrise die Lernbereitschaft weit weniger ausgeprägt als noch vor einem halben Jahr. Ein Mentalitätswandel, so sagen die Fachleute, ist nicht eingetreten! Ein Indiz für Hoffnungslosigkeit.

Liebe Schwestern und Brüder, brechen wir auf. Unsere Berufung zur Hoffnung sollten wir ergreifen. Räumen wir die Asche beiseite, damit die Glut der Hoffnung in uns, in der Kirche sich entfalten kann.

Bringen wir unser christliches Hoffnungspotential in die Gesellschaft ein. Aus der Hoffnung leben und aus der Hoffnung Leben gestalten. Die christliche Hoffnung ist nicht die Lösung auf die konkreten Probleme hin, sondern zeigt der Welt und der Gesellschaft, dass die Probleme nicht das Letzte sind.

 

Amen.