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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB bei der Priesterweihe, am 14. Mai 2011, im Eichstätter Dom

Liebe Weihekandidaten
mit Eueren Eltern, Angehörigen, den Gläubigen der Heimat- und Praktikumspfarreien,
liebe Mitbrüder im diakonalen Dienst,
liebe Ministrantinnen und Ministranten,
liebe Alumnen des Priesterseminars,
liebe Kollegiaten vom Collegium Orientale,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14), so hörten wir soeben den Diakon im Evangelium verkünden. Am Morgen, am Mittag und Abend eines jeden Tages laden uns die Kirchenglocken zum Gebet des Engel des Herrn ein, jetzt in der Osterzeit zum „Regina caeli“. Auch im Engel des Herrn wiederholen wir die Worte aus dem soeben vernommenen Beginn des Johannesevangeliums: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Wie sprachlich knapp und inhaltlich gewaltig ist diese Aussage des Evangelisten über das Kommen des Sohnes Gottes in die Welt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Mit diesen Worten schauen wir nicht nur gläubig zurück auf das Ereignis Christi Menschwerdung, wir bekennen vielmehr damit auch, dass sich Gott bleibend mit dieser Welt verbunden hat. Gott hat sein ewiges Wort, den Logos, seinen tiefsten Sinn, sein Leben in diese Welt hineingesprochen. Seit Christi Kommen klingt also in der Welt die Rede Gottes. Gott spricht, Gott ist hörbar, verstehbar, lesbar in unserer Wirklichkeit. Er bedient sich des Irdischen, um uns sein himmlisches Leben zu schenken, „Leben in Fülle“ (Joh 10,10), wie es bei Johannes heißt. Gottes Wort ist also bleibend bei uns und wir haben ja die Zusage vom Herrn selbst: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20)  Gott ist somit kein stummes Wesen, er spricht sich aus und dieser Dialog Gottes kennt keinen Mangel an Worten. Gottes machtvolles Wort will uns auch heute durch diese Kirche ansprechen. Nicht nur in der Verkündigung des Wortes Gottes, sondern erst recht in den Sakramenten, der dichten Form des Wortes. Wir alle haben dieses machtvolle Wort aufgenommen im Bad der Wiedergeburt, der Taufe, und in der Firmung. Wir nehmen es immer neu auf in der Eucharistie und im Sakrament der Buße, im befreienden Wort. Ebenso will sich Gottes Wort aussprechen im Sakrament der Priesterweihe. Gott schweigt auch hier heute nicht. Er ruft Diener in seinen Dienst und möchte sie mit seiner Vollmacht betrauen. Aber, so könnte man entgegenhalten, gerade was die Priesterberufungen betrifft,  wir machen auch hierzulande eine andere Erfahrung: Priestermangel scheint die Realität zu sein. Schweigt Gott hier nicht doch am Ende? Ergeht das Wort Gottes nur noch selten?

Liebe Schwestern und Brüder, seit der Fleischwerdung des Gotteswortes redet Gott allezeit Menschen an. Er ruft und beruft oft auch in das priesterliche Dienstamt. Aber wer hört darauf? Und wo wird dem Ruf, der Rede Gottes der Raum bereitet? Wir hören derzeit viel von der Krise der Katholischen Kirche in Deutschland. Wir hören vom sogenannten Reformstau. Einige denken und sprechen darüber wie von einer Partei in der Krise, die es wieder flott und attraktiv zu machen gilt durch Modernisierungen, durch Veränderungen des Programms. In diesem Zusammenhang ist auch die Rede von der Krise des Priestertums und vom Priestermangel, der behoben werden soll, damit jede Pfarrgemeinde Eucharistie feiern kann. Empfohlen wird, die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt zu verändern. Zunächst einmal zielen die Forderungen auf die Aufhebung des sogenannten Pflichtzölibats. Ob dabei allerdings bedacht wird, dass die auf Unauflöslichkeit angelegte sakramentale Ehe selbst in einer Krise steckt. Kann dann ausgerechnet die Aufhebung des Zölibats der Kirche als Heilmittel für den Priestermangel empfohlen werden, wenn heute Befähigung und Bereitschaft schwinden, sakramentale Ehe zu leben? Und wird man mit diesem Ratschlag der Ehe als einem eigenen Weg der Berufung gerecht, wenn sie als Mittel zur Mehrung der Priesterzahl dienen soll? Deutet man damit nicht die Ehelosigkeit, die Jungfräulichkeit als Mangel, als Kümmerform des Lebens? Ehelose Jungfräulichkeit ist aber Fülle, Reichtum Christi, des Hohen Priesters, der selbst so lebt.

Gottes Wort, liebe Schwestern und Brüder, verschenkt sich auch heute großzügig und ruft in die Nachfolge. Es muss nicht mit Strategien gestützt werden, die in ihren Regeln denen des Arbeitsmarktes zur Erhöhung der Attraktivität eines Berufsfeldes ähneln. „Und das Wort ist Fleisch geworden“, wenn also Gottes Wort sich heute nicht nur bereitwillig in Taufe, Firmung und Eucharistie ausspricht, sondern auch im Ruf des Dienstamtes, des Priestertums. Warum leiden wir dann an Priestermangel? Das sakramentale Amtspriestertum fällt nicht vom Himmel. Es lebt aus der Zuordnung auf das allgemeine Priestertum aller Getauften und Gefirmten. Die Krise im Bereich des sakramentalen Priestertums, also konkret unser Priestermangel, rührt hier von der Krise des allgemeinen Priestertums der Getauften. Hat das allgemeine Priestertum in der Kirche Konturen verloren, wird es nicht mehr kraftvoll gelebt, dann muss uns die Krise des sakramentalen Amtspriestertums nicht verwundern. Unser Gebet um Priesterberufungen muss folglich die Bitte um ein über Zeugen gelebtes allgemeines Priestertum beinhalten. Jeder Getaufte, jeder von uns ist berufen, mit seinem Leben Zeugnis zu geben von der Erlöserliebe Christi, von dieser neuen Wirklichkeit, von der die zweite Lesung sprach. Als Getaufter muss man nur das Vaterunser mit seinen Bitten meditieren. Dieses Gebet des Herrn ist das Programm für die Sendung des allgemeinen Priestertums in Kirche und Welt: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“

Die Wirklichkeit der Kirche, liebe Schwestern und Brüder, zielt auf die Rettung und Heimholung der Welt in die Sphäre Gottes. Diesem Ziel dient der Getaufte, dienen wir Getauften durch unser Leben. Im Übergang der Kirche zur säkularen nichtkirchlichen Welt vollzieht der Getaufte seine Sendung im Geist des Vaterunsers. Hier legt er Zeugnis von der Erlösung ab. Er handelt priesterlich, indem er seine eigene Erwählung zum Kind Gottes öffnet hin auf die noch nicht Erwählten oder die der Erwählung Untreuen. Mit diesem Zeugendienst bewegt er sich nicht in einer minderwertigen kirchlichen Nebenaufgabe, in einer Aufgabe zweiter Klasse außerhalb des Zentrums. Vielmehr dient der Getaufte auf seine Weise der eigentlichen kirchlichen Sendung, der immer neuen Fleischwerdung Gottes, der stetigen Ankunft Gottes, des Wortes in dieser Welt. Mündigkeit des Laien und Verantwortung des Getauften und Gefirmten erweisen sich an den Übergängen von kirchlicher und säkularer Welt. (vgl. Hans Urs von Balthasar, Sponsa Verbi, 51 u. 333). Das allgemeine Priestertum verliert jedoch die Kraft der Weltheiligung, wo Kirchesein und christlicher Glaube zur Privatsache erklärt werden, die in der Öffentlichkeit, in der Welt möglichst nicht in Erscheinung treten sollen, und wenn Getaufte sich zudem schämen, sich als Christen, sich als Katholiken zu bekennen. Das allgemeine Priestertum wird hohl, wenn die Redeweise, „jeder soll nach seiner eigenen Vorstellung selig werden“, Einfluss auf Einstellung und Lebensführung der Getauften gewinnt. Eine Krise des allgemeinen Priestertums zeigt sich an, wenn das Alltagshandeln nicht mehr an den Geboten Gottes, am Evangelium und an der Wegweisung der Kirche ausgerichtet ist. Ein allgemeines Priestertum wird nicht lebendig sein können, wenn die Verbindung der Getauften mit der Kirche und mit der regelmäßigen Eucharistiefeier abreißt.

Liebe Schwestern und Brüder, solche Krisensymtome am allgemeinen Priestertum sind Schalldämpfer für die nach wie vor ergehenden Rufe des Herrn in das sakramentale Priestertum. Und umgekehrt kann sich die Amtsvollmacht des sakramentalen Priestertums erst in der Atmosphäre des Glaubens segensreich entfalten, deren Wachstum das allgemeine Taufpriestertum trägt und mitträgt. Der Glaube der Getauften schenkt dem sakramentalen Dienstamt den Raum der Ermöglichung für ein Wirken. In diesem Zueinander von allgemeinem Priestertum und Amtspriestertum wirkt das allgemeine Priestertum wie das Ja Mariens zur Menschwerdung des Sohnes. Es bedurfte des Jawortes Mariens, damit sich die Menschwerdung ereignen konnte. Und es bedarf heute des lebendig gelebten allgemeinen Priestertums, damit der Ruf in das sakramentale Amt gehört, angenommen werden kann.

Liebe Weihekandidaten, die Priesterweihe enthebt euch also nicht dem allgemeinen Priestertum. Die in dieser Feier gespendete Weihe schafft das allgemeine Priestertum in euch nicht einfach ab. Es sind ja allgemeines Priestertum und Amtspriestertum zusammen, die das königliche Priestertum Jesu Christi bilden. Die Weihe versetzt euch also nicht in eine etwaige höhere Kaste, in eine Priesterkaste. Die Priesterweihe ist keine Beförderung im Sinne einer weltlichen Karriereleiter. Durch diese heilige Weihe wird das allgemeine Priestertum Grundlage für eure Bevollmächtigung zum Dienst am Mittleramt Christi, des eigentlichen Priesters. Gewiss bringt das Sakrament der Priesterweihe ein Plus, ein Mehr an Dienstlast und Gnade für euch. Als Hirten im Namen Christi steht ihr den euch Anvertrauten immer auch gegenüber. Aber die Amtsvollmacht ist kein Selbstwert, kein Privatbesitz. In der Kirche als Leib Christi ist keine Gabe ein Selbstwert oder ein geistlicher Privatbesitz – auch die Amtsvollmacht nicht und auch kein Charisma. Wenn Gott ruft und Gnaden zuteilt, schenkt er stets im Blick auf das Ganze des Leibes der Kirche.
So schaut, liebe Weihekandidaten, auf die Gläubigen hier und später in eueren Kirchen. Diesen Menschen gehört ihr durch die Weihe. Ihr gelebter Glaube, ihr lebendiges Taufpriestertum hat es ermöglicht, dass ihr das Sprechen Gottes, seinem Ruf in euerem Leben vernehmen konntet.

Der Theologe Hans Urs von Balthasar sagte einmal: „Wer ein Amt übernimmt, wird nur erhöht, indem er sich mit Christus zusammen erniedrigt. Darum schaut der Laie zum Amt des Mannes auf, so wie Petrus aufschaut zu dem vor ihm knienden Christus.“ (Balthasar, Sponsa Christi: Der Laie und die Kirche, 337) – Liebe Weihekandidaten, nicht im Sinn des Starkultes, sondern christlich aufschauen, das kann man nur zu dem, der sich aus Liebe neigt und kniet. Bedenkt dies bei all eurem Tun. Aber der Auferstandene Herr befähigt seine Jünger zu solcher Haltung. „Empfanget den Heiligen Geist!“ (Joh 20,21), spricht er ihnen nach der Auferstehung zu. Heute wirkt er dies an euch. Von der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus her könnt ihr wie die Jünger damals diesen Geist der Liebe und des Dienens weiterhauchen in die Herzen der Gläubigen und in die Welt hinein. Nicht nur der liturgische und pastorale Dienst, sondern auch die persönliche Existenzweise soll diesen Geist des Herrn hauchen, gleichsam transspirieren. All euer Tun, amtlich und persönlich, liebe Weihekandidaten, möge etwas aufscheinen lassen von der „Opferung der Liebe, von dem, was es heißt, das Leben hinzugeben für seine Schafe“ (Balthasar, Sponsa Verbi, 401).

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Weihekandidaten!
„Und das Wort ist Fleisch geworden“ und wohnt unter uns. Ja, Gott spricht auch heute Menschen an, auch im Ruf in das sakramentale Amt. Eine Kirche, die sich nicht wie eine Partei um Strukturen und Programme dreht, in der vielmehr die Getauften und zum Amt Berufenen ihre je eigene Berufung annehmen und in dieser Vielfalt lebendige Glieder am Leib Christi sein wollen, eine solche Kirche wird erfüllt sein von missionarischem Geist. Aus einer Kirche, die mit dem Kommen des Wortes, mit der Fleischwerdung des Wortes auch heute rechnet und dem Wort Raum gibt, strömt die Kraft des Geistes in die Welt hinein.

Auf erfrischende Weise führt uns die heutige erste Lesung von Philippus und dem äthiopischen Kämmerer in die junge Kirche von Palästina und zeigt uns diesen lebendigen missionarischen Geist. Philippus trifft auf den Kämmerer und er steht am Wegrand und fragt ihn: „Verstehst du? Verstehst du, was du liest? Verstehst du dein Leben?“ Eine wichtige missionarische Frage, die wir heute den Menschen stellen müssen: „Verstehst du dein Leben?“ Dazu müssen wir auf die Kanzel der Urkirche gehen. Was waren diese Kanzeln der Urkirche? Die Plätze, die Straßen, die Wegeränder, die Pastoral des Weges. Bereitstehen, warten auf die Vorüberkommenden und sie fragen: „Verstehst du, was du liest? Verstehst du dein Leben?“ Ja, wir müssen an die Nahtstellen, müssen Kirche und Welt nähern. Der Platz vor dem Pfingstsaal war eine solche Kanzel der Urkirche, die Wege, die Paulus zurückgelegt hat, die Missionsreisen. Da müssen wir uns fragen, alle zusammen: Welche Missionsreisen unternehme ich in meiner Pfarrei, in meiner Familie, in meinem Bekanntenkreis? Habe ich den Mut, die Frage des Philippus zu stellen: „Verstehst du? Verstehst du dein Leben?“ – „Wie sollte ich es, wenn es mir niemand erklärt“, sagt der Kämmerer. Ich glaube, das ist eine verzweifelte Antwort, die möglicherweise viele Menschen heute geben, die nicht gefragt werden: „Verstehst du dein Leben?“

Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir uns leiten von diesem missionarischen Geist. Erklimmen wir die Kanzeln, die da sind, die Straßen, Plätze, Wegränder, die Büros, die verschiedenen Zusammenkünfte und stellen wir die Frage: „Verstehst du?“ Die Antwort ist schon da: „Und das Wort, der Logos, ist Fleisch geworden“, das Wort, der Sinn, das Leben, die Liebe. Geben wir davon Zeugnis. Lassen wir uns senden von diesem fleischgewordenen Logos, von diesem Wort Gottes, wie er auch heute, gerade jetzt in dieser Stunde, Menschen in seinen besonderen Dienst nimmt als Zeichen für uns, wie wichtig unser allgemeines Priestertum ist.

Amen.