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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Pfingstsonntag, dem 27. Mai 2012, im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

jede und jeder von uns trägt im Herzen gewiss Erinnerungen an beeindruckende Erlebnisse und Erfahrungen: vielleicht ein schönes Urlaubs- oder Reiseerlebnis aus dem vergangenen Jahr, vielleicht eine tief berührende Begegnung mit einem Menschen.

Wenn uns eine solche Begebenheit innerlich packt, dann ist es, wie wenn eine andere Wirklichkeit plötzlich in meinen Alltag, in mein Leben einbricht. Mein Leben erhält eine neue Qualität.

Irgendwann ist die Erfahrung jedoch verblasst. Das gewöhnliche Leben, der Alltag hat uns wieder. Zwar sehnen wir uns immer wieder zurück nach dieser schönen Erfahrung, doch die muss tief aus der Erinnerung geholt werden. Sie ist der Gegenwart entrückt. Es war einmal – Vergangenheit. Die gute Erfahrung gleicht einem Foto im Fotoalbum oder auf der Foto-CD.

Liebe Schwestern und Brüder, verhält es sich mit unserem Glauben an Christus und mit unserem Kirchesein oftmals nicht ähnlich? Mein Glaube hat die Qualität eines Fotoalbums, einer CD mit Fotos. Wenig Relevanz für die Gegenwart.

Da hat mich zwar Christus angerührt, im Sakrament der Taufe, in Kommunion und Firmung. Ich durfte ihn vielleicht in Situationen meines Lebens sogar nachdrücklich erfahren. Es wurde mir schlagartig bewusst: Gott ist da, er wirkt in meinem Leben.

Vielleicht wurde mir die Erfahrung geschenkt durch einen Priester, der gut mit den Menschen umgehen kann, durch gute geistliche Gespräche mit ihm, vielleicht durch gläubige Menschen in meiner Umgebung, die mir in einer schweren Lage Wegweiser sein konnten. Möglich, dass es Erfahrungen aus der kirchlichen Jugendarbeit, aus der Ministrantenzeit waren, oder auch Gottesdienste, die mir innerlich eine Gewissheit der Nähe Gottes schenkten. Freilich verblassen solche Erfahrungen im Leben schnell und gehören dann dem Reich der Vergangenheit an. „Es war einmal.“ Ab und zu denken wir daran zurück und lassen diese Erfahrungen in unserem Inneren aufleben. Aber sie haben keine oder nur wenig Ausstrahlung auf die Gegenwart. So gleichen unsere religiösen Erfahrungen, unser Glaube einem Fotoalbum, einer CD mit Fotos: Festgehalten in der Erinnerung, aber nicht mehr lebendig im Hier und Heute. Selbst mit der sonntäglichen Eucharistiefeier ergeht es uns nicht selten so. Wir rafften uns am Sonntag auf, in die Kirche zu gehen. Wir wissen: Christus wird gegenwärtig auf dem Altar und unter uns. Er spricht mich an in seinem Wort.

Doch spätestens am Montag oder Dienstag ist das Geschehen vergessen. Was wir am Sonntag gefeiert haben, wirkt kaum noch in die Woche. Wir sind nicht wirklich ergriffen von der Begegnung mit Christus und leben in einem Raum der Ferne von Christus.

Der Glaube an den Heiland ist vorhanden, aber er gleicht eher einem Fotoalbum, einer Foto-CD als Nachricht aus der Geschichte.

Glaube gleicht dann etwa dem Zustand eines ehemaligen Fußballspielers. Er fühlt sich dem Fußball nach wie vor verbunden und blickt ganz gern auf seine Aktivenzeit im Verein zurück. Aber das jetzige Leben hat damit nicht viel zu tun. Oder unser Glaube gleicht der Haltung eines Mannes, der das Foto einer Frau betrachtet, in die er sich vor einiger Zeit einmal verliebt hatte, zu welcher aber keinerlei Kontakt mehr besteht. Das Bild rührt ihn bei der Betrachtung vielleicht sogar an, dann legt er es weg und stellt sich seinem Leben, das unabhängig von der Botschaft des Bildes verläuft.

Christlicher Glaube, bei dem die Person Christi nicht eine gegenwärtige Erfahrung ist, nicht eine Erfahrung hier und heute in und mit der Kirche, sondern Geschichte, Fotoalbum, - ein solcher Glaube kann sich nicht als Kraftquelle für das Leben entfalten. Ein solcher Glaube gibt kaum Antwort auf unser Menschsein und die damit verbundenen Fragen.

Wenn wir als Kirche die Glaubensferne vieler Menschen in der säkularisierten Gesellschaft beklagen, sollten wir Getaufte und Gefirmte uns selbst prüfen. Wir leben im Alltag, im Berufsleben und in der Familie oft so fern von Christus. Unser Glaube gleicht dem Fotoalbum, der Foto-CD. Die aber verändern nicht die Gegenwart.

Aufbruch zum Glauben hängt nicht davon ab, wie viel wir in der Kirche umkrempeln und modernisieren können. Aufbruch zum Glauben besagt, die Person Christi muss in unserem Leben als gegenwärtig erfahren werden. Die durchaus kostbaren Bilder im Fotoalbum unseres Glaubens müssten zum Laufen gebracht werden. Wie aber lernen die Bilder wieder laufen? Wie kann Christus und unsere Beziehung mit ihm Gegenwart werden, so dass wir eine lebendige Beziehung mit ihm eingehen können?

Das Neue Testament überliefert, wie wichtig es ist, Christus als gegenwärtig zu erfahren, um Jünger und Jüngerin Jesu sein zu können. Denken wir an Maria von Magdala, die sich am Ostermorgen traurig, ja weinend vor dem leeren Grab Jesu aufhält. Der Auferstandene steht bei ihr. Sie glaubt, Jesus sei fern. So erkennt sie ihn nicht und glaubt, es sei der Gärtner. Da tritt Jesus auf sie zu, macht sich ihr gegenwärtig. Erst als sie ihn als Gegenwärtigen erfasst, verändert sich ihre Trauer. Sie wird zur kraftvollen Erstverkünderin der Auferstehungsbotschaft.

Die Emmaus-Jünger waren gleichfalls traurige Christen, solange sie nur zurückblickten auf das, was mit Jesus geschehen war. Als sie den Auferstandenen beim Brechen des Brotes als Gegenwärtigen erfahren durften, erfüllte sich ihr Leben mit Freude, und sie kehrten voll Aufbruchsstimmung nach Jerusalem in den Kreis der Jünger, in die Kirche zurück.

Aufbruch zum Glauben an Christus geschieht dort, wo die Person Christi zur gegenwärtigen Erfahrung wird. Ohne diese Erfahrung entfaltet der Glaube keine Kraft, er leuchtet nicht und zieht Glaubensferne nicht wirklich an. Ohne die Wirklichkeit der Gegenwart Christi wird all unsere Sorge um bessere und moderne Strukturen der Kirche nicht wirklich in den Aufbruch führen.

Die Kirche feiert zum Abschluss der Osterzeit das Pfingstfest. Im Kommen des Hl. Geistes am Pfingsttag erlebte die junge Kirche von Jerusalem, dass christlicher Glaube Erfahrung der Gegenwart der Person Christi ist. Zungen wie von Feuer erschienen über jedem; Zungen, das heißt: Gott redet. Der Heilige Geist ist Gotteskommunikation. Der Heilige Geist ist wie Feuer. Er ist Energie, Kraft und Glut Gottes. Die Vergegenwärtigung Christi geschieht nicht aus menschlicher Kraft, nicht aus theologischer Kompetenz, schon gar nicht aus der Einbildungskraft des Menschen heraus, sondern durch das Hereinbrechen des Gottesgeistes. Christus ereignet sich am Pfingsttag neu für die vielen Menschen unterschiedlicher Sprachen und Nationen durch Gotteskommunikation. Der Hl. Geist ist Gotteskommunikation. Wenn der Auferstandene als Gegenwärtiger im Leben der Kirche und jedes Getauften erlebt und gelebt wird, wirkt christlicher Glaube als brennendes und wärmendes Leuchtfeuer für diese Welt.

Wo Gottes Geist im Leben eines Menschen wirkt, ereignet sich Christus neu. Deshalb traf die Verkündigung der Apostel am Pfingsttag die Zuhörer mitten ins Herz (Apg 2, 37), wie die Apostelgeschichte berichtet. Das, was die Apostel der Menge am Pfingsttag vortrugen, verstand sich nicht als theologische Rückschau auf Jesus Christus, der gekreuzigt worden und von den Toten auferstanden war, es sollte auch keine Werbekampagne von Jesus-People sein, sondern Vergegenwärtigung Christi, Eröffnung einer Liebesbeziehung mit Christus. Der Heilige Geist ist die Kraft, sich je neu in Gott verlieben zu können und Christus als meinen Zeitgenossen zu erfahren. Die vom Gottesgeist berührte Menge der Zuhörer fühlte sich von Gott bis ins Herz angesprochen und Zahlreiche kamen zum Glauben. Sie ließen sich taufen.

Dass solcher Glaube wie damals am Pfingsttag heute möglich ist, dafür bürgen die Heiligen. Im Leben eines Heiligen ist Christus  bleibender Zeitgenosse, die Person Christi ist Gegenwart, Wegbegleiter auf Schritt und Tritt. Der Glaube will in diesem Zustand nicht auf 50 Minuten pro Woche reduziert oder ins Privatleben abgedrängt werden. Glaube und Leben wachsen zusammen.

Christus muss sich immer neu in unserem Leben ereignen. Unser Glaube kann kein Archiv sein. Die Feier jeder Eucharistie veranschaulicht das. Im eucharistischen Hochgebet ruft der Priester im Namen der Kirche und der versammelten Gemeinde vor den Wandlungsworten stets den Hl. Geist auf die Gaben von Brot und Wein herab. Sende deinen Geist, damit diese Gaben Leib und Blut Christi werden.

Pfingsten ist die Verheißung der Gotteskommunikation. Gott möchte mir die Kraft des Geistes mitteilen, damit sich Christus in meinem Leben immer neu ereignet.

Wie sich das Wunder der Gegenwart Christi in jeder Heiligen Messe neu ereignet durch die Anrufung des Geistes und die Wandlung, so will sich auch in unserem Leben Christus neu ereignen, wenn wir um die Gabe des Hl. Geistes bitten. Damit wir aufbrechen in einen lebendigen Glauben, der uns trägt und uns Antwort gibt, wollen wir wie die junge Kirche von Jerusalem, wollen wir um das Kommen des Gottesgeistes bitten.