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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB zum Kirchweihsonntag am 18. Oktober 2009 im Eichstätter Dom

„Lieben Sie diese Kirche?“

Wenn man diese Frage Bürgerinnen und Bürger einer Bischofsstadt hinsichtlich ihres Domes stellt, bejahen sie wahrscheinlich mehrheitlich, dass der Dom zum Stadtbild gehört und dass sie zumindest stolz sind auf diesen Kirchenbau.

Lieben Sie diese Kirche?

Ich meine freilich nicht das Bauwerk, sondern die Wirklichkeit, die wir in diesen Mauern feiern, wenn wir uns zur Liturgie und zum persönlichen Gebet versammeln. Die Kirche als sichtbare Gemeinschaft der Glaubenden um Christus: in den Pfarreien und Ordensgemeinschaften, in den Bistümern und schließlich in der Weltkirche.

Lieben Sie also diese Kirche? Eine ganze Reihe von Gläubigen wird diese Frage bejahen, weil sie aus dem persönlichen Glaubensweg, aus der Mitfeier der Gottesdienste und dem pfarrlichen Leben viel Kraft in ihrem eigenen Leben spürten und spüren.

Andere lehnen die Kirche zwar nicht ab, aber von Liebe zur Kirche kann gerade auch nicht die Rede sein. Das konnte ich einer Reihe von Briefen aus einer besonderen Jahresaktion im Bistum Eichstätt „Jugend und Bischof im Dialog“ entnehmen. Diese Jugendlichen tun sich eher schwer mit der Kirche. Glied der Kirche zu sein bedeutet für sie, eine Last zu tragen, eine unangenehme Konfrontation mit einem Katalog von Pflichten und Verboten: Du musst, du sollst, du darfst nicht! Sie klagen, dass sie die offizielle Kirche eher als Spaßbremse erfahren, die zu einem Leben mit angezogener Handbremse rät. Die Kirche wird in der Rolle überstrenger Eltern gesehen. Man hat nun mal diese Eltern und es ist schwer mit ihnen. Aber man kann daran nichts ändern und muss sich Freiräume suchen in dieser Kirche. Richtig lieben kann man eine solche Kirche nicht, sagen sie.

Nicht wenige beantworten die Frage, ob sie die Kirche lieben, sogar mit einem uneingeschränkten Nein. Wie die Statistik der Kirchenaustritte zeigt: eine ganze Reihe Getaufter trennt sich von der Kirche, weil sie eben die Kirche nicht lieben.

Diese Menschen ärgern sich über die Kirche, reiben sich an ihr, sind frustriert und stehen vielen der kirchlichen Positionen verständnislos gegenüber. Die Kirche geht an der Zeit und vielen Problemen vorbei, meinen sie. Die Kirche müsste zeitgemäßer sein. Sie stelle sich einfach immer nur quer zum Mainstream und wiederhole alte Positionen.

Dann dieser Papst, der angeblich hinter das II. Vatikanum zurück will, wie da und dort gemutmaßt wird. Dieser konservative Bischof… Dieser sture Pfarrer oder Kaplan… Eine solche Kirche kann ich doch nicht lieben!

Sicher muss die Kirche Hilfen geben auf Fragen und Herausforderungen des Lebens. Glaube und Verkündigung dürfen nicht an den Menschen und ihren Anliegen vorbeigehen, wobei jedoch die Kirche für Christus gehen muss und nicht für den Mainstream.

Zugegeben, wir leben in einer komplex gewordenen Lebenssituation: Zerbrochene Beziehungen und Familien: Wie sollen Gläubige damit umgehen? Soziale Herausforderungen: Welcher Ethik bedürfen wir bei der Gestaltung des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Miteinanders? Chancen und Grenzen des wissenschaftlichen Fortschritts: Was in der Forschung darf noch als erlaubt gelten, was schadet der Menschheit? Wir suchen angesichts der Problemhorizonte Antworten, manchmal aber allzu schnelle Antworten, weil es uns auf den Nägeln brennt.

Aber wir sind zugleich stark geprägt vom Nützlichkeitsdenken und von Effizienzerwartung auch gegenüber der Kirche: Was bringt sie mir? Welchen Nutzen habe ich in dieser und jener Problemlage von ihr? Da hat es die Kirche schwer, wenn sie nicht einen direkten und unmittelbaren Nutzen zur Lebensbewältigung der Menschen vorweisen kann.

Viele hätten die Kirche gern als eine Art geistliche Apotheke. In einer Apotheke kann man in der Tat erwarten, für das entsprechende gesundheitliche Problem das adäquate Mittel, die entsprechende Lösung zu bekommen, vor allem angepasst an die Verträglichkeit des Menschen in rechter Dosierung.

Jesus hingegen hat die Kirche nicht als geistlich-göttlichen Kneipp-Verein gegründet, der fürs Leben fit machen soll. Die Kirche ist nicht ein Nutzfahrzeug für die Reise durch dieses Leben.

Der Herr hatte anderes, ja Größeres im Herzen.

Vielleicht gleicht Kirchesein eher einem Garten und der Tätigkeit des Gärtnerns. Da braucht es zunächst einmal viel Mühe und Schweiß: Säen und pflanzen, hegen und pflegen, ehe die Frucht wächst und geerntet werden kann.

Jedenfalls betrachtet Gott die Kirche als Garten, in dem sein Leben blühen soll. Er wollte und will den Menschen aus seiner Vereinsamung und Verlorenheit herausholen, um ihn teilhaben zu lassen an seiner Lebensfülle.

Die Lehre von der Heiligsten Dreifaltigkeit lässt uns den einen und großen Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist bekennen. In Gott selbst herrscht personale Beziehung, Gemeinschaft als Liebe. Das christliche Gottesbild vom dreifaltigen Gott, von Vater, Sohn und Geist, ist eine Offenbarung dessen, was wahres Leben, Leben in Fülle ist: Gemeinschaft Gottes.

In Jesus Christus sandte Gott uns Menschen ein liebendes DU. Die gefallene, gebrochene Schöpfung sollte durch ihn in die Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes aufgenommen werden, sozusagen in den Garten Gottes.

Der Weg, den Gott in Christus in dieser Welt beschritt, war der Weg der liebenden Beziehung. Dem Menschen Liebe schenken und ihn lehren, Gottes Liebe anzunehmen.

So sammelte Christus der Herr die Jünger um sich zur Gemeinschaft der Kirche, vor allem nach seiner Auferstehung, um eine Wirklichkeit eröffnen zu können, die in Gott selbst hineinreicht und sonst nirgendwo auf dieser Welt vergleichbar zu verkosten und zu verspüren ist: Gott ist Gemeinschaft – liebende Beziehung. Und der Mensch soll daran Anteil erhalten. Menschsein und jede menschliche Beziehung erfüllt sich erst in der Beziehung und Gemeinschaft mit Gott.

Kirche ist Ausweitung des menschlichen Lebenshorizonts auf die Gemeinschaft in Gott. Sie stellt die Ausweitung der Gemeinschaft, die in Gott selbst gegeben ist, auf die Getauften dar. Die Botschaft vom Dreifaltigen Gott deutet damit unser Leben: Leben heißt immer, existieren vom andern her und auf den anderen hin. Leben bedeutet, in Beziehung sein. Das aber schafft der gebrechliche und auf sein Ego fixierte Mensch nicht aus eigener Kraft.

Unsere Sehnsucht nach dem anderen Menschen, nach Vereinigung mit dem geliebten Du, unser Verlangen nach Annahme und Geborgenheit, all das hat Hinweischarakter auf die Anlage des Menschen auf Gemeinschaft. Erfüllung im eigentlichen Sinne wird es erst in der Gemeinschaft mit Gott geben.

Soziales Training und andere Hilfen können unser menschliches Verhalten gewiss entkrampfen und förderlich sein. Aber all diese Hilfen bedeuten noch nicht, aus der Quelle selbst zu trinken. Die Quelle ist der vom Vater gesandte Geist Jesu, der in der Kirche gegenwärtig ist. Er vermag uns Menschen im Beziehungsleben Gottes zu verankern, damit unser Miteinander und Menschsein kraftvoll sind.

Dieser Geist der Gemeinschaft in Gott wirkt in den Sakramenten der Kirche, er ist zugegen in jeder Eucharistiefeier und dann auch im solidarischen Miteinander der Gläubigen im Alltag in den Familien, an der Arbeitsstelle. Der Geist Gottes verbindet uns mit dem Leben, das in Gott selbst pulsiert, bildlich gesprochen mit dem innergöttlichen Blutkreislauf. Die Teilhabe an dieser innergöttlichen Gemeinschaft befähigt mich dann, in dieser Welt, in meinem Leben Frucht zu tragen

Meinen Sie, Gott liebt die Kirche?

Im Epheserbrief, im fünften Kapitel mit der so genannten Familienordnung, wird diese Frage eindeutig bejaht. Gott liebt die Kirche: „Ihr Männer liebt euere Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen.“ (Eph 5,25-26)

An dieser Stelle des Epheserbriefes kommt deutlich zum Ausdruck, dass Christus die Kirche, also uns liebt, nicht weil wir so perfekt und klug wären. Der Text spricht von der Notwendigkeit der Reinigung der Kirche. Aber dennoch Christus liebt seine Kirche ungeteilt, weil sie im Blutkreislauf Gottes steht, weil sie an der Liebe Anteil hat, die aus Gott kommt. Diese Liebe, die uns die Sakramente der Kirche zugänglich machen, ist unser Pfund für unser Handeln im Alltag, in unseren Aufgaben und Beziehungen.

Lieben Sie diese Kirche? Diese Frage, an einem Kirchweih-Sonntag gestellt, lädt ein, für sich und miteinander neu zu entdecken, dass Kirchesein in erster Linie bedeutet, am Liebeskreislauf in Gott selbst teilzuhaben. Und dass diese Wirklichkeit die Kirche liebenswert sein lässt. Amen