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Im Wortlaut

Predigt des Hochwürdigsten Herrn Bischof Gregor Maria Hanke OSB in der Christmette am 24. Dezember 2020 in der Schutzengelkirche in Eichstätt

Liebe Schwestern und Brüder zuhause an den Rundfunkgeräten, 

über der Kanzel unserer Kirche schwebt ein mächtiger und prächtiger Engel in Stuck, der das Evangelienbuch aufgeschlagen hält. Heute hören wir aus Engelsmund: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude. … Heute ist euch der Retter geboren.“ (Lk 2,10f.)

Diese Worte, die unser Diakon soeben im Weihnachtsevangelium vorgetragen hat, rief der Engel den Hirten auf den Fluren von Betlehem zu. Die aber erschraken mehr über eine solche Begegnung, als dass sie sich freuen konnten. Was galten sie als Viehhirten schon in den Augen der Leute? Mitten auf den Weideflächen um Betlehem, an ihrem Arbeitsplatz in einem harten Leben, erscheint ihnen plötzlich eine Lichtgestalt mit einer Botschaft, die so fremd ist. Und dann noch der himmlische Lobgesang!

Die Einladung des Engels, keine Furcht zu haben, alle Ängste loszulassen, da es nun jemanden gibt, der befreien und retten kann, hat die rauen Gesellen dann doch bewegt. Wen plagen im Leben nicht Sorgen und Ängste? Angst vor Krankheit, Angst um eine Beziehung, Sorge um das Auskommen, Ängste vor der Zukunft - das gab es damals wie heute. Die Hirten ließen alles stehen und liegen und machten sich auf, um nach dem Kind zu suchen, das nach des Engels Wort der Retter sein soll. Sie fanden das Kind. Unspektakulär, ja unscheinbar lag dieser Weltenretter in Windeln in einer Futterkrippe.

Welch ein Kontrast: der lichtvolle Engel mit der Botschaft vom Weltenretter, der überwältigende Engelschor. Und nun der primitive Futtertrog mit dem Kind darin, aber ganz die Lebenswirklichkeit der Hirten.

Liebe Schwestern und Brüder, die Entdeckung der Hirten ist die eigentliche Weihnachtsbotschaft, sie ist bedeutender als der festliche Rahmen der Verkündigung an sie.

Rettung, Heil und Heilung von Gott her setzen in der Wirklichkeit des Menschen ein, mag diese noch so armselig sein. Fürchtet euch nicht, Gott scheut nicht eure Realität. Er ist sich nicht zu gut dafür. Dort kommt er an. Ganz nahe bei Dir kannst Du ihn finden.

Die Engel und ihr Gesang sind entschwunden, doch die Erfahrung der Hirten soll für alle Zeiten Geltung haben.

So versammeln wir uns alljährlich zur Christmette, um uns diese Botschaft aufs Neue zusprechen zu lassen: Fürchtet euch nicht, denn das Heil bricht an in eurer Wirklichkeit!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zuhause, wir hier in der Schutzengelkirche zu Eichstätt fühlen uns gerade wie die Hirten auf den Fluren Betlehems. Damals mag es eine kleine Schar gewesen sein, die zur Krippe aufbrach. Wir in der Kirche sind auch nur wenige aufgrund der Corona-Regeln.

Ähnlich dem Hirtenfeld, über dem der Engelschor das Gloria sang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“, schweben in dieser prachtvollen Barockkirche, wie ihr Name Schutzengelkirche andeutet, über uns zahlreiche Engel in Stuck, auf Fresken oder in Bildern, 567 an der Zahl. Doch bleiben unsere Engel stumm. Wir, die Hirtenschar von heute, dürfen ihnen unsere Stimme leihen, um die Botschaft zu verkünden: Gott ist in unserer, in meiner Lebenswirklichkeit angekommen. Sie an den Rundfunkgeräten gehören gleichfalls zur Hirtenschar. Wir haben Grund, die Freude über die Weihnachtsbotschaft hörbar zu machen und den Jubelgesang der Engel weiterzuführen.

In der Krippe von Betlehem sind Himmel und Erde zusammengerückt. Gott, den wir nicht begreifen können, der uns oft so fern zu sein scheint, verbindet sich als Menschenkind Jesus untrennbar mit uns Menschen, mit der Welt. Er tritt so auch in meine kleine Welt ein.

Social distancing, Leben in Distanz zueinander, wie wir es in diesen Corona-Zeiten sorgsam beachten müssen, gibt es seit der Krippe in Betlehem von Gott zum Menschen nicht mehr. Der Epheserbrief formuliert es unmissverständlich: In Christus wurde die Trennwand niedergerissen, der Zugang zum Vater ist frei (Eph 2,14.17ff.).

Gottes Heil ist berührbar, erfahrbar für dich und mich. Denn seit Jesu Geburt bin ich, ist die Welt von Gott umarmt. Es gibt keine bloß weltliche Welt mehr. Gott zeigt nun ein menschliches Antlitz, seine Liebe kommt aus einem menschlich mitfühlenden Herzen. Durch Jesu Erlösungstat verströmt sich Gottes Gnade, das heißt Gottes Liebe, unaufhörlich in die Welt hinein.

Liebe Schwestern und Brüder, das Ereignis der Geburt Christi in Betlehem liegt zeitlich lange zurück. Doch feiern wir in dieser nächtlichen Stunde keineswegs nur Vergangenes. Die Weihnachtsliturgie versichert uns: Heute ist der Heiland geboren. Die Botschaft des Engels und die Erfahrung der Hirten leuchten ins Heute wie ein Stern am Firmament. Dessen Licht hat vor langer Zeit seinen Ausgang genommen und ist heute sichtbar und spürbar.

Heute umarmt Gott die Welt, heute, morgen, mein ganzes Leben lang will er für mich berührbar und erfahrbar sein. Aber wie? Im Grau des Lebens, gerade dort, wo ich ihn am wenigsten vermute, überrascht er mich mit seiner Gegenwart wie damals die Hirten, die das Kind in der Futterkrippe fanden. Weil Gott in Betlehem ein menschliches Antlitz annahm, bin ich auf dem Weg zur Krippe, wenn ich mich in Liebe dem Bruder, der Schwester zuwende. „Fürchtet euch nicht“: das heißt auch, ich darf und soll dem Mitmenschen ins Gesicht schauen. Ich kann das Leben mit seinen Sorgen und Herausforderung in den Blick nehmen und muss mich nicht wegducken. Die Weihnachtsbotschaft verheißt mir und dir: Genau da ist Gott.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist die große Freude, die der Engel an Weihnachten verkündete: Gott ist Mensch geworden und ist uns damit so nahe gekommen, dass er Teil meines Lebens werden will, um die Finsternis in meinem Leben und in der Welt zu vertreiben.

Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, frohe und gesegnete Weihnachten!

So sei es – Amen.