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Im Wortlaut

Predigt des Hochwürdigsten Herrn Bischof Gregor Maria Hanke OSB anlässlich der Äbtissinnenweihe von Mutter Hildegard Dubnick in der Abtei St. Walburg in Eichstätt am 23. Februar 2019

Trainerwechsel in der Gemeinschaft von St. Walburg

Trainer und Coaches haben Hochkonjunktur. Fitnessstudios bieten den Dienst eines personal trainers an, also den individuellen Trainer, um die passenden workouts für die ersehnte Fitness oder die Traumfigur zu koordinieren. Gesundheitstrainer offerieren auf dem Markt der Möglichkeiten ihre Dienste. Trainer und Coaches begleiten in der Wirtschaft Managerteams und Arbeitsgruppen. Im Sport, besonders im Mannschaftssport wird die spielerische Leistung des Teams in in hohem Maße mit der Qualität der Trainerpersönlichkeit verknüpft.

„Ohne einen Entscheidungsträger ist ein Team orientierungslos“, konnte ich in einer Studie über das Profil des Fußballtrainers lesen.[1] Und weiter: „Die Gra[t]wanderung zwischen Lehrer und Freund, zwischen Autorität und Ansprechpartner, zwischen Geduld und Anspruch macht einen guten Trainer aus.“[2]

Diese Worte aus der Welt des Sports klingen nicht befremdlich in den Ohren von Frauen und Männern, die ein geistliches Leben in der Nachfolge Jesu führen wollen. Zum Weg der Nachfolge Jesu gehört seit jeher der geistliche Trainer. Jesus, der eine Jüngergemeinde um sich sammelte, ist selbst Urbild und Maß des geistlichen Trainers. Er eröffnet im Evangelium den Weg, wie man sein Jünger, seine Jüngerin wird.

Die letzten Worte des Auferstandenen im Matthäusevangelium enthalten den Auftrag an die Elf: Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern (Mt 28,19). Was er selbst getan hat, möchte er fortgesetzt wissen in seiner Kirche und durch die Kirche: Jünger des Herrn zu machen, Jüngerschaft zu trainieren.

Diesem Auftrag des Herrn gibt der heilige Benedikt in seiner Mönchsregel, am Ende des Prologs, die Gestalt der Schule: Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten. (Regula Benedicti, Prolog 45) Das Kloster als Schule, als Trainingsstätte für die Jüngerschaft Jesu. Und das im Evangelium gründende Trainingsprogramm der Mönchsregel als geistlicher und menschlicher Entwicklungsprozess aller im Kloster!

Trainerwechsel in St. Walburg! Mutter Franziska, die hoch verdiente und geschätzte Äbtissin von St. Walburg, hat Ende Dezember 2018 nach fast 34 Jahren geistlichen Leitungsdienstes aus Altersgründen ihr Amt zur Verfügung gestellt. Am 4. Januar diesen Jahres wählte der Konvent Sr. Hildegard Dubnick aus der St. Walburger Tochtergründung Virginia Dale in den USA zur 60. Äbtissin der Abtei. Wir freuen uns, dass dem Kloster am Grab unserer Bistumspatronin Walburga wieder eine Äbtissin vorsteht. Liebe Mutter Hildegard, seien Sie in der Ortskirche von Eichstätt aufs herzlichste willkommen und ergreifen Sie Ihre neue Aufgabe als geistliche Trainerin in St. Walburg.

Das Trainingsprogramm: der Liebe zum Himmel dienen, damit das richtige Leben im Kloster wächst

Die Schwestern haben Sie in das Amt der Oberin gewählt. Nicht nur diese Entscheidung der Gemeinschaft soll Sie motivieren, liebe Frau Äbtissin, den geistlichen Leitungsdienst vertrauensvoll aufzunehmen. Die Schwestern haben sich durch die Wahl gleichzeitig zu Ihrem Trainingsauftrag bekannt, wie ihn die Regel Benedikts zeichnet. Das 5. Kapitel der Regel über den Gehorsam enthält eine Passage, die Ihnen, liebe Mutter Hildegard, Leitfaden Leitfaden werden möge. Der Regeltext lautet:

So drängt sie [die Nonnen, die Mönche] die Liebe, zum ewigen Leben voranzuschreiten. Deshalb schlagen sie entschlossen den engen Weg ein, von dem der Herr sagt: Eng ist der Weg, der zum Leben führt. Sie leben nicht nach eigenem Gutdünken, gehorchen nicht ihren Gelüsten und Begierden, sondern gehen ihren Weg nach der Entscheidung und Befehl eines anderen. Sie bleiben im Kloster und haben das Verlangen, dass ein Abt [eine Äbtissin] ihnen vorstehe. (RB 5,12)

Die Gemeinschaft von St. Walburg hat durch die Äbtissinnenwahl das Verlangen bezeugt, unter einer Äbtissin und unter der Regel in Gemeinschaft Christus dienen zu wollen (RB 1,2). Die Schwestern tragen also ein Verlangen in sich, geistlich trainiert zu werden. Daher dürfen Sie, liebe Mutter Hildegard, vertrauensvoll Ihre amerikanische Heimat hinter sich lassen und in Eichstätt den Dienst der Äbtissin ausüben.

Welche Motivation, liebe Schwestern und Brüder, mag der Entscheidung der Schwestern zugrunde liegen, die eigene Freiheit so zu relativieren, um dem eigenen Gutdünken und Begehren, von dem die Regel auch spricht, keinen Raum zu geben und stattdessen zu verlangen, dass ein Abt/eine Äbtissin der Gemeinschaft vorstehe? Der erste Satz des zitierten Regelabschnitts erklärt es: So drängt sie [die Nonnen, die Mönche] die Liebe, zum ewigen Leben voranzuschreiten. Nur diese Liebe, deren Sehnen auf das ewige Leben ausgreift, kann Motivation sein, alles andere, auch die eigene Freiheit, als sekundär zu betrachten. Bischof Hemmerle schrieb einmal: „Denn wozu sind wir da, wenn nicht dazu, den Himmel zu finden und den Himmel zu schenken, und [dadurch] anderen dabei zu helfen, daß auch sieden Himmel finden und den Himmel schenken.“[3] Liebe Mutter Hildegard, zusammen mit den Schwestern den Himmel zu finden und den Himmel schenken, dazu werden Sie bestellt. Dienen Sie der Liebe in sich und in den Schwestern, die den Himmel finden und verschenken will.

Liebe Schwestern und Brüder, eine solche Liebe, die sich nach dem Himmel ausstreckt, verändert das Miteinander, weil etwas vom Himmel unter uns und auch draußen in der Welt spürbar wird. Das Leben wird in Gott hineingetragen und Gott in das Leben. Denken wir nur an zwei Menschen, die verliebt sind. In deren Leben bleibt vieles wichtig, was bereits vor der Beziehung war, aber es wird neu priorisiert, gewinnt andere Qualitäten hinzu, es ordnet sich der gegenseitigen Liebe unter oder zu. Wie verändernd muss da die Kraft der Liebe zum Himmel sein! Benedikt weiß, dass sie auf Erden himmlische Kraft entfaltet, die einander charakterliche und leibliche Schwächen ertragen lässt und die Achtung voreinander fördert (RB 72), er bezeugt die Kraft der Liebe zu Christus, die nie an Gottes Barmherzigkeit zweifeln lässt (RB 4), er lehrt, dass die Liebe zum Himmel sehend macht für den ganz nahen Christus im Alltag, für Christus in der Schwester und im Bruder, im Abt, in der Äbtissin, im Fremden, im Kranken.  Schwächt sich diese nach dem Himmel sehnende Liebe in einzelnen Gliedern der Gemeinschaft ab und überlagern sekundäre Dinge das Sehnen, lässt also die Bereitschaft nach, das eigene Ego zu transzendieren, ergreift die Schwerkraft des Gutdünkens, des Egoismus und der Lustlosigkeit den Einzelnen und die Gemeinschaft.

Der heilige Benedikt wusste nur zu gut um diese realen Schwierigkeiten. Da gibt es die die Versuchung, das Training für sich zu reduzieren oder abzubrechen. Innerlich davonzulaufen, äußerliche Tröstungen statt Gottes Liebe zu suchen, Angst, dem Training nicht gewachsen zu sein.

Esther de Waal, eine englischen Familienmutter, deren Anliegen die Praxis der benediktinischen Spiritualität mitten in der Welt war, beschreibt die Schwierigkeiten folgendermaßen: „Es gibt Eigensinnige und Begriffsstutzige, Undisziplinierte und Unruhige, andere sind nachlässig und hochmütig – und natürlich gibt es auch die Gehorsamen, Gelehrigen und Geduldigen. Sie alle, die Dummen und die Faulen, die Nachlässigen, die Wirrköpfe und die, die überall im Weg stehen, sind jeder Gruppe, Organisation oder Gemeinde vertraut. ... Aber so sind wir eben, und wir sind genau die, die Benedikt zu Gott zu führen versucht.“[4]

In einer kurz vor seiner Hinrichtung im Februar 1945 verfassten Betrachtung konturiert der Jesuitenpater Alfred Delp die Schwierigkeiten noch schärfer, die es dem modernen Menschen so schwer machen, in das Training  der Jüngerschaft Jesu einzutreten. Dieser moderne Mensch, liebe Mutter Hildegard, befindet sich auch im Kloster. Alfred Delp konstatiert beim modernen Menschen eine existentielle Müdigkeit. Ein Berg des Überdrusses im Herzen des modernen Menschen verhindert, dass ihn die Botschaft des Evangeliums erreicht und er Geschmack daran findet. Benedikt und die Mönchstradition würde den Zustand Akedia, Lustlosigkeit, nennen. Nach Delp ist der moderne Mensch innerlich erkrankt, zugleich erweist er sich in vielen äußeren Bereichen des Lebens als großer Könner und Experte. Als solcher zeigt er Empfindlichkeit gegen jede Haltung von außen, die er als Anmaßung seinem Ich gegenüber empfindet. Er verträgt es nicht, wenn ihm seine Krankheit, seine Mängel vorgehalten werden. Es braucht nach Delp daher Menschen, die erfüllt sind vom Pleroma, der Überfülle Gottes, die Sachwalter Christi sind und als solche ihm begegnen. Menschen dieser Art vermögen es, Vertrauen im müden Menschen des Überdrusses zu wecken.[5] Ohne Vertrauen zu wecken und aufzubauen, bleibt der Weg der Jüngerschaft vielen verschlossen!

Das geistliche Trainerprofil der Äbtissin kommt von Christus her

Liebe Mutter Hildegard, verstehen wir Jüngerschaft als drängende Liebe, zum ewigen Leben voranzuschreiten! Weil diese Liebe in der Jüngerin, im Jünger nicht fortwährend brennt und sich immer neu entzünden muss, weil sie angefochten ist, haben die Schwestern der Gemeinschaft Ihnen den Trainingsdienst übertragen. Ihnen soll es möglich werden, durch ihr Personsein Vertrauen in der Gemeinschaft zu wecken.

Schauen wir auf das Trainerprofil im Mannschaftssport. Dazu gehört der gute Draht zum Team durch echtes Interesse an den Personen, die Fähigkeit, die einzelnen Charaktere zu erkennen, an und mit ihnen vertrauensvoll zu arbeiten und sie entsprechend ihrem Temperament, Ehrgeiz und Willen einzusetzen. Zur echten Autorität gehört auch, selbstkritisch eigene Fehler einzugestehen. Alles dient der Teambildung und -stärkung.

Vielleicht werden Sie sich in manchen Situationen fragen: Kann ich diesen Dienst überhaupt tun, kann ich ihn noch tun? Fehlt mir nicht einiges für ein überzeugendes Profil?

In der Welt des Sports heißt es: Selbst ein guter Sportler gewesen zu sein, kann zwar eine große Hilfe zum Start ins Trainerleben sein, ist aber nicht notwendig. Im schlechtesten Fall reproduziert man als Trainer nur das, was man früher selbst als Sportler im Training gemacht hat.

Auch Benedikt sieht den Abt nicht geistlichen Superstar. So setzen Sie nun als Äbtissin Ihr monastisches Leben nicht einfach nur fort. Es kommt für Sie als Trainerin eine ganz neue Dimension hinzu. Sie haben fortan vor allem Christus ansichtig zu machen in der Gemeinschaft. Denn Er ist der eigentliche Trainer. Benedikt kleidet diesen Vermittlungsdienst  der Äbtissin, des Abtes in das sog. Christus-Vikariat. Im zweiten Kapitel der Regel, das vom Profil des Abtes handelt, schreibt er: Der Glaube sagt ja, [der Abt, die Äbtissin] vertritt im Kloster die Stelle Christi (RB 2,2). Dieser Passus will nicht die Autorität der Äbtissin gegenüber der Klostergemeinschaft überhöhen, sondern die Äbtissin und ihr Handeln an das Wirken Christi rückbinden. Der Abt, die Äbtissin vertritt Christi Stelle, setzt sich aber nicht an seine Stelle, darf ihn nicht ersetzen wollen. Vertreten heißt: handeln wie er. Hiermit gibt Benedikt eine Zusage an die Gemeinschaft, dass Christus durch die Äbtissin, den Abt in die Klostergemeinschaft einwirken will. Der Herr steht schon vor der Tür und sucht Einlass. Die Äbtissin hat aufmerksam zu machen, wo Gott und wie Gott mitten im Kloster am Werk ist, wie er an der einzelnen Schwester bereits arbeitet oder sie dazu ruft.

Christus will in seinen Jüngern Gemeinschaft, Kirche mitten in der Welt bauen

Liebe Mutter Hildegard, einer solchen Liebe zu dienen, die zum ewigen Leben voranzuschreiten drängt, macht die Schwesterngemeinschaft nicht weltfremd. Wahre Heiligkeit ist nicht Abgrenzung, sondern stets Vereinigung mit Gott und untereinander[6], ist Leben in der lösenden und erlösenden Liebe. Die so beschriebene Liebe lässt das Team, die geistliche Gemeinschaft erstarken und befähigt zur Liebe in die Welt hinein.

Der Auftrag des Auferstandenen bei Matthäus, Jünger „zu machen“ (Mt 28,19), zielt in dieser eigentümlichen, fast handwerklich klingenden Fachsprache darauf, Menschen ein persönliches Verhältnis zum Herrn zu ermöglichen, um Gemeinschaft, Communio, Kirche hier auf Erden zu bauen.[7] Benedikt beschreibt diesen Bauvorgang im Bild der Werkstatt, in der die Werkzeuge der geistlichen Kunst anzuwenden sind. In RB 4 über die Werkzeuge der geistlichen Kunst ist zu lesen: „Die Werkstatt aber, in der wir das alles sorgfältig verwirklichen sollen, ist der Bereich des Klosters und die Beständigkeit in der Gemeinschaft“ (RB 4,78). Einer bedarf des anderen, das macht die Werkstatt aus. Jüngerschaft ist kein Soloprojekt, Jüngerschaft lebt von der Wir-Form. Wir sind nie fertig.

Liebe Mutter Hildegard, auf in das Training, auf in die Werkstatt. Der Herr stärke Sie und Ihre Mitschwestern!

Amen.

 


[1] Joachim Schwarz, Was macht einen guten Trainer aus? Coaching im modernen Fußball, München 2010, 5.

[2] Ebd. 4.

[3] Klaus Hemmerle, Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters, München 1986, 95.

[4] Esther de Waal, Gott suchen im Alltag. Der Weg des heiligen Benedikt, Münsterschwarzach 1992, 108.

[5] Vgl. Alfred Delp, Mit gefesselten Händen. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis, Frankfurt am Main 122007, 138ff.

[6] Vgl. Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1985, 281ff.

[7] Vgl. Joachim Gnilka, Das Matthäusevengelium 2 (Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament), Freiburg 21992, 509.