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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Pfingstsonntag, dem 23. Mai 2010, im Eichstätter Dom

Pfingsten – Abschluss der Osterzeit! Oder ihr eigentlicher Anfang?
Pfingsten: Abbruch oder Aufbruch?

Liebe Schwestern und Brüder,

als beim Pfingstfest zu Jerusalem der Geist Gottes auf die wohl zum Gebet versammelte Jüngerschaft herabkam, war dies der öffentliche Beginn der Kirche.

Auf Geheiß des Auferstandenen hatte sich die Jüngerschaft zusammengefunden. Eine Frucht der Ostererfahrung ist Sammlung, ist Gemeinschaft, ist Zusammenführung. Die Emmausjünger kehren nach ihrer Erfahrung mit dem Auferstandenen nach Jerusalem in die Gemeinschaft der anderen Jünger zurück. Die Frauen, die dem Auferstandenen begegnet sind, wollen diese Erfahrung teilen, in der Gemeinschaft der Jünger. Und der Auferstandene selbst zeigt sich in Gemeinschaft, so wie wir dem Ende des Markusevangeliums entnehmen, den Elf (Mk 16,14), dann den über fünfhundert Brüdern (1 Kor 15,8), vor denen er gemäß dem Apostel Paulus erschienen ist. Erfahrung der Auferstehung, Erfahrung mit dem Auferstandenen sammelt, führt zusammen. Zerstreuung ist nicht das Werk des Auferstandenen.

Die Kirche kann aber nur dort und dann existieren, wenn Ostern, wenn sich die Ostererfahrung erhält, wenn Begegnung mit dem auferstandenen Herrn möglich ist. So erweist sich am Pfingstfest die junge Kirche als die aus der Kraft des Heiligen Geistes in die Geschichte hinein, in die jeweilige Gegenwart hinein verlängerte Osterzeit. Die Pfingstikone, die auch von Renovabis verbreitet wird, zeigt dies schön. Am unteren Ende der Ikone ist der alte König Chronos. Die Kirche verlängert sich in die Zeit, baut auf die Zeit, die Kirche ist die verlängerte Osterzeit.

Als Kirche sind wir also kein privater Verein religiös interessierter Menschen, kein sozialcaritativer Aktivistenclub und schon gar kein Erziehungsverein zur Förderung der Tugend in der Gesellschaft. Unser Kirchesein hängt zu allererst an unserer Begegnung mit dem Auferstandenen, an unserer Erfahrung.

Erschließen sich das Wort des Evangeliums, das Gebet und die Sakramente der Kirche für mich, für uns als Räume der Begegnung mit ihm, dem Auferstandenen? Ich denke hier besonders an die Eucharistie und das Bußsakrament, die wir doch gemeinhin die österlichen Sakramente nennen.

Entbehrt mein religiöses Leben hingegen dieser Dimension der Erfahrung mit dem Auferstandenen und dominiert die Haltung bloßer Pflichterfüllung, die Haltung des bloßen Abhakens, dann lebe ich eigentlich nicht aus der Mitte dessen, was Kirchesein bedeutet. Als Folge einer solchen Haltung erstreckt sich das Interesse an Kirche vor allem auf ihre strukturelle Erscheinung und auf ihre Organisation. Dann können mich innerkirchliche Skandale auch rasch erschüttern, mich mit Kirche zu identifizieren.

Die Mitfeier des Pfingstfestes möge uns den Blick für das Wesen der Kirche neu öffnen und die babylonische Sprachverwirrung beenden, an der wir derzeit in der Kirche leiden.

Von der Sprachverwirrung des Herumnörgelns an der Kirche möge uns der Geist befreien und uns befähigen, die Sprache gemeinsam zu sprechen, die er uns eingeben will. Wir hörten in der ersten Lesung: „und sie begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apg 2,4).

Aggiornamento: die Ostererfahrung gehört der Welt

Pfingsten erinnert uns daran, dass die Kirche die in die Zeit und Gegenwart hinein verlängerte Osterzeit ist. Gottes Geist kommt aber im Sturmesbraus auf die junge Gemeinde. Gott reißt sozusagen die Fenster der jungen Kirche zur Welt hin auf. Aggiornamento! Öffnung! Die Herabkunft des Hl. Geistes am Pfingsttag bedeutet, dass die Ostererfahrung der kleinen Jüngerschar der Welt, der großen Welt, der Gesellschaft gehört. Die Kirche ist nicht nur der Raum der persönlichen Ostererfahrung. Kirche ist das Aggiornamento des Osterglaubens auf die Welt hin.

Mit Freimut treten daher Petrus und die anderen Apostel auf, um Zeugnis vom Osterereignis, um Zeugnis von ihrer Ostererfahrung und ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen zu geben. Und alle Versammelten können die Botschaft verstehen, jeder in seiner Sprache, weil die Auferstehung des Herrn ein Ereignis ist, das der gesamten Menschheit geschenkt ist. Die Teilhabe, unsere Teilhabe, meine Teilhabe an der Ostererfahrung eint mich mit allen Menschen über Sprach-, Kultur- und Mentalitätsgrenzen hinweg.

Freilich ist die Kirche entstanden vom Kreuz von Golgotha herab.Ein Jünger blieb übrig und die tapferen Frauen. Sie harren unter dem Kreuz des sterbenden Herrn aus. Auf diese kleine unscheinbare Schar gibt der Herr im Sterben seinen Geist hin, wie es in der Passion nach Johannes zu lesen ist. Der Evangelist Johannes versteht somit Jesu Tod zugleich als Entstehung der Kirche im Geiste Jesu.

Kirche als Gemeinschaft vom Kreuz her ist in der Tat ein wesentlicher Aspekt unseres Kircheseins. Dieser Ursprung befähigt die Kirche zur Leidensfähigkeit, zum Mitleiden in der Welt und er beauftragt sie dazu. Und so soll sie Ort der Verwandlung des Leides sein.

Und noch ein anderer Aspekt begegnet uns vor Pfingsten: die Kirche, die junge Kirche als Gemeinschaft des Gebetes im oberen Saal zu Jerusalem. Ohne die Versammlung von wenigstens zwei oder drei im Namen Christi, erlischt die Ostererfahrung.

Kreuz und Gemeinschaft stehen aber nicht disparat nebeneinander. Der Geist, der Pfingstgeist, setzt beides in eins. Denn die Kirche ist weder alleine Kreuzesgemeinschaft, noch intime Gebetsgemeinschaft. Das Wesen der Kirche begrenzt sich nicht auf Solidarität im Leiden, und auch nicht auf Kontemplation und Gebet, so wichtig Liturgie und Gebet sind.

Der Pfingstgeist erweist sich somit als Baumeister der Kirche, indem er diese beiden Aspekte vereint. Er verbindet den Kreuzesursprung der Kirche und die Gegenwart des Auferstandenen in der Gemeinschaft der Betenden zur Sendung der Kirche.

Aggiornamento: Gottes Geist kommuniziert die Kirche in die Welt hinein, er macht sie erfahrbar, er macht sie verstehbar.

Aggiornamento, Öffnung der Kirche ereignet sich, wenn der Wind, wenn die Bewegung in die Kirche herein die Ostererfahrung nach draußen auf die Marktplätze und Straßen und schließlich in die Herzen der Menschen trägt. Wahres Aggiornamento ist Befähigung der Kirche zum entschiedenen Zeugnis für den Auferstandenen. Wahres Aggiornamento ist die Befähigung der Kirche zur größeren Gemeinschaft der Menschen in diesem Glauben an die Auferstehung.

Konkretion des Aggiornamento

Der Apostelgeschichte entnehmen wir, dass dieses pfingstliche Aggiornamento eine Konkretion hat: Vom Pfingstfest an begegnet uns die junge Kirche als eine Kirche, die verkündigt, eine Kirche, die Liturgie feiert, zunächst das Gebet im Tempel und das Brechen des Brotes in den Häusern. Und eine Kirche, die Dienst an den Tischen tut, also Einsatz für die Bedürfnisse der Brüder und Schwestern und aller Menschen in Not leistet.

Wir begehen heute am Pfingstfest in Eichstätt den Abschluss der bundesweiten Renovabis-Pfingstaktion 2010. Das kirchliche Hilfswerk Renovabis steht schon durch seinen Namen in einem pfingstlichen Kontext: Sende aus deinen Geist, und du wirst erneuern – renovabis – das Antlitz der Erde.

Der Dienst, den dieses Hilfswerk der deutschen Bischöfe für Verkündigung, Liturgie und soziale Anliegen sowie Bildung in den Ländern Osteuropas leistet, ist geleitet und getragen also vom pfingstlichen Aggiornamento. Bei aller Vielfalt der Projekte, angefangen vom Kirchenbau über Bildungsinitiativen, sozialcaritative Hilfen und Studienstipendien geht es doch darum, dass die Kirchen Osteuropas lebendige Räume bleiben für die gelebte Ostererfahrung.

Das pfingstliche Aggiornamento der Ostererfahrung kann die Menschen allein vereinen: „Alle sollen eins sein“, lautet das Motto dieser Renovabis–Aktion. Der geteilte, der bestärkte Osterglaube ist Basis, Grund der Einheit. Und eine solche substanzielle Einheit braucht Europa, wenn es nur ein Hauch von Wertegemeinschaft sein will, braucht dieses Europa, soll es nicht zum bloßen Bankhaus degenerieren.

So arbeitet das Bischöfliche Hilfswerk Renovabis ganz still für diesen christlichen Europa-Gedanken. Wir alle sagen diesem Hilfswerk und seinen Mitarbeitern und den Projektpartnern Dank für die Bereitschaft, in diesem Geist zu arbeiten.

Diese Einheit müssen vor allem wir Christen in unserem Miteinander trotz der Spaltungen immer wieder bezeugen. Renovabis bietet schon viele Anschauungsbeispiele für das, was versöhnte Vielfalt meinen und bedeuten kann.

Einen Hauch dessen, einen pfingstlichen Hauch spüren wir durch die Anwesenheit der beiden ukrainischen Bischöfe, spüren wir durch die Anwesenheit der Gäste aus unserem Partnerbistum Leitmeritz, spüren wir durch die Studenten in unserem Collegium Orientale, spüren wir aber auch auch durch den Dienst des Weltkirchenreferats unseres Bistums, das sich dankenswerterweise in den letzten Wochen ganz in den Dienst dieser Pfingstaktion gestellt hat. Mir ist es ein Bedürfnis, nun von dieser Stelle aus allen, die an dieser Pfingstaktion mitgewirkt haben, zu danken. Ein Dank an die Renovabis-Mitarbeiter, an die Spender und Wohltäter, und vor allem an die Beter, die die Gebetsgemeinschaft des oberen Saals von Jerusalem wach und lebendig halten.

Möge auch uns dieses pfingstliche Aggiornamento zuteil werden, möge der Pfingstgeist in den Mitarbeitern und Wohltätern von Renovabis sowie in den Christen des Ostens und des Westens die Erfahrung der Begegnung mit dem Auferstandenen lebendig halten und möge uns der Pfingstgeist zu diesem Aggiornamento, zum Zeugnis vor und in der Welt befähigen.

Amen