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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Hochfest Aufnahme Mariens in den Himmel am 15. August 2009 im Eichstätter Dom

Aufnahme Mariens in den Himmel – Gottes Umarmung des Menschen

Liebe Schwestern und Brüder,

Menschen umarmen sich bei Begrüßungen und Abschieden. Vor allem in unseren südlichen Nachbarländern wird diese Geste gern geübt. Menschen wollen sich durch die füreinander geöffneten Arme ihre gegenseitige Wertschätzung und Verbundenheit zeigen. Ohne Worte vermittle ich dem anderen mit dieser Haltung: Du sollst mir nahe bleiben, und ich will dir nahe sein. Ich öffne mich, ja ich öffne mein Herz auf Dich hin und Du auf mich. Die Umarmung macht eins.

Besonders für ein Kind ist es wichtig, von den Eltern immer wieder auf den Arm gehoben zu werden, um leibhaft zu erfahren, dass es geliebt und angenommen ist. Spontan flüchten sich Kinder in die Arme ihrer Eltern, wenn sie sich in einer Situation unsicher fühlen oder wenn sie Angst haben. Kinder verstehen und sprechen dieses Zeichen, besonders die Zeichen der Körpersprache, ja Sie leben davon.

Liebe Schwestern und Brüder! Jesus verkündete uns - und die Kirche lehrt uns -, dass wir Kinder Gottes sind. Kinder Gottes durch die Taufe, Kinder Gottes, die zu Gott sprechen dürfen: Vater unser.

Wenn Kinder im irdischen Leben der liebenden Umarmung durch die Eltern bedürfen, gibt es dann für die Gotteskinder etwas Vergleichbares?

Liebe Schwestern und Brüder, das heutige Hochfest „Leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel, Aufnahme mit Leib und Seele“ will uns gleichsam die geistlichen Sinne dafür öffnen, dass es von Gott her die liebende Umarmung des Menschen gibt. Den Inhalt des heutigen Festtags könnte man ausdeuten: Gott schließt Maria fest ein in seine Arme, er umarmt sie bleibend und für immer.

Die Geschichte von Gottes offenen Armen gegenüber dem Menschen reicht weit zurück. Christi Menschwerdung und Geburt aus Maria besagt doch nichts anderes, als dass er auf den Menschen zuging. Er wollte aber nicht bloß einer von uns Menschen werden. Im Credo sprechen wir ja:

Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden:“

Hat Fleisch angenommen, Irdisches angenommen, das heißt: in der Menschwerdung, in der Auferstehung und Himmelfahrt Christi beginnt Gott, den Menschen und die Schöpfung zu sich emporzuheben. Es geht um die Bewegung der ausgestreckten Arme Gottes gegenüber dem Menschen, der wir in den Kreuzesabbildungen immer wieder begegnen. Gott macht seine Arme weit, um den Menschen und die Schöpfung gleichsam darin einzuschließen. Damit eröffnet er seinen göttlichen Lebensraum. Annahme des Menschen – Emporheben des Menschen, um ihn schließlich in seine Arme zu schließen.

Am heutigen Hochfest Aufnahme Mariens in den Himmel bekennt die Kirche, dass Maria mit Leib und Seele bei Gott vollendet ist. Um im Bild der Umarmung zu sprechen: Gott hat Maria bereits bleibend in seine Arme geschlossen. Was an ihr, an Maria auf außerordentliche Weise schon Wirklichkeit ist, steht uns noch als Zukunft bevor. Durch die Vollendung Mariens als der ersten Person der Menschheitsgeschichte, ruft uns der auferstandene Herr gleichsam zu, dass der Lebensweg des Menschen in die Arme Gottes führen soll. Der Weg der Himmelfahrt Christi in die Vollendung des Vaters ist kein Museumsweg, sondern ein Zukunftsweg, der jedem von uns zugesagt ist. Und liebe Schwestern und Brüder, mit jedem Lebensalter, mit jedem Jahr mehr in unserem Lebensalter wachsen wir und können wir immer mehr hineinwachsen in die Arme Gottes.

Seit Christi Auferstehung und Himmelfahrt stehen Zeit und Ewigkeit nicht mehr in einem sich ausschließenden Verhältnis, sondern sie umschließen, sie umarmen sich bereits gegenseitig!

Es gibt eigentlich kein streng geschiedenes Nacheinander mehr von Zeit und dann Ewigkeit. Die Aufnahme Mariens in den Himmel sagt uns, dass die Bewegung der Umarmung des Menschen durch Gott bereits begonnen hat, hineinreicht in diese Zeit.

Eltern, die ihr Kind in den Armen halten, stellen es freilich irgendwann wieder auf den Boden der Wirklichkeit. Die Geste, ein Kind in den Arm zu nehmen, ist ein Mittel, um das Kind für seinen Lebensweg zu stärken. Gottes Umarmung ist nicht nur ein Mittel, sondern auch Ziel. Das irdische Leben des Menschen soll dereinst ganz aufgehoben und geborgen sein in Gott.

Daher verliert Mariens Sterben, ihr Heimgang den Schrecken. In der Aufnahme Mariens in den Himmel öffnet sich das Tor hinein in die bleibende Umarmung durch Gott. Liebe Schwestern und Brüder, eine tröstliche Botschaft für unser eigenes Leben und für unser Lebensende.

Wenn Gott uns als seine Kinder emporhebt in seine Arme, können wir uns dann aber in unserem Miteinander gegenseitig abwerten, verletzen oder gar ausbeißen? Gottes weit geöffnete Arme wollen allen Raum, Lebensraum sein. Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, das Fest der bleibenden, der dauernden Umarmung Mariens durch Gott lädt mich ein, mein Leben aus dem Vertrauen in die Umarmung Gottes zu gestalten. Gott streckt seine Arme aus nach mir, nach dir, nach jedem, wie das Kreuz Christi uns bezeugt. Wer sich aber von Gott umarmt weiß, findet in seinem Leben immer wieder zurück zum Glauben, zum Vertrauen an die Geborgenheit in Gott. Aus der Kraft dieser Geborgenheit heraus lässt sich dann die geballte Faust öffnen, um Geste der Versöhnung zu werden, wandelt sich das harte Wort über den Nächsten in Annahme und Freundlichkeit. Aus der Kraft der Geborgenheit Gottes werden aus ich-verhafteten Menschen, Menschen, die sich um die Nöte und das Leid Anderer sorgen. Sie werden so zu Menschen, die selbst Gott umarmen.

Amen.