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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Österlichen Bußzeit am 1. Fastensonntag, dem 1. März 2020 

Liebe Schwestern und Brüder,

wie schön muss der Moment sein, in dem eine Mutter und ein Vater ihr eben geborenes Kind erstmals in Händen halten. Dieses Glück des ersten Augenblicks ist überwältigend.

Oder stellen wir uns zwei Menschen vor, die sich verliebt haben. Vielleicht lässt sich deren Glück des ersten Augenblicks in das Bild einer Knospe fassen, die gerade aufspringt, um zu blühen. In diesem Moment übersteigen sich zwei Menschen auf ein bislang nicht gekanntes Ganzsein hin! Das eigene Leben hört auf einmal auf, das ganze Leben zu sein, es erscheint plötzlich nur noch wie ein kleiner Teil einer sich öffnenden Weite. Beide drängt die Sehnsucht, den anderen im Innersten zu berühren, eins zu werden, um dadurch selbst ganz zu sein, und zwar in einem Grad, den man zuvor nicht kannte.

Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, findet sich ein Kapitel, in dem sich der erhöhte Herr durch den Seher Johannes an sieben Gemeinden in Kleinasien wendet. Die Botschaft an den Hirten von Ephesus hält diesem vor, von der ersten Liebe zu Christus abgekommen zu sein: „Ich werfe dir aber vor, dass du deine erste Liebe verlassen hast. Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist. Kehr zurück zu deinen ersten Werken!“ (Offb 2,4-5).

Der erhöhte Herr ersehnt sich vom Hirten und dessen Gemeinde Leben und Handeln aus der Kraft der ersten Liebe. Das Glück des ersten Augenblicks in der Christusbeziehung soll das Leben wieder ergreifen, die Erfahrung, dass ich im Übersteigen meiner selbst und in der Berührung mit Christus ganz werde.

Erneuerung der Chistusbeziehung

Liebe Schwestern und Brüder, die Vorbereitungszeit auf Ostern mit der Einladung zu Buße und Umkehr zielt darauf, eine solche Glaubenskraft wiederzuerlangen, wie sie einst im Glück des ersten Augenblicks meiner Christusbeziehung lebendig war.

Vielleicht ist mein Glaubensleben mittlerweile oberflächlich geworden, die Glut, die einst in mir brannte, ist abgekühlt. Gott scheint oft weit weg zu sein von meinem Leben. Mein Umgang mit den Mitmenschen ist wenig eingefärbt von der Frohen Botschaft. Gottes Wort wirkt mitunter wie eine Fremdsprache auf mich, die zu verstehen mir schwer gelingt. Das Beten gestaltet sich mühsam, ich unterlasse es oft, weil es so bequemer für mich ist.

Genauso ist es möglich, dass ich so etwas wie das Glück des ersten Augenblicks in der Christusbeziehung gar nicht erfahren habe. Ich wurde vielleicht in ein katholisches Umfeld hineingeboren. Die Eltern brachten mich als Kleinkind einer Konvention folgend zur Taufe. Schließlich wollte man ein Familienfest begehen, wofür die kirchliche Tauffeier den passenden Rahmen zu geben schien. Später ging ich mit meinen Mitschülern selbstverständlich zur Erstkommunion und dann sogar noch zur Firmung. Alles lief automatisch.

Liebe Schwestern und Brüder, das Glück des ersten Augenblicks auf dem Weg der Jüngerschaft ereignet sich nicht zwangsläufig am Anfang. Drei Jahre verbrachten die Apostel zusammen mit Jesus, aber das tiefe Glück des ersten Augenblicks ihrer Jüngerschaft erfuhren sie erst nach Ostern in den Begegnungen mit dem Auferstandenen. Die Erneuerung der ersten Liebe zum Herrn, lebendige Jüngerschaft wächst aus der Begegnung mit dem Auferstandenen!

Begegnungen mit dem Auferstandenen

Daher sind die österlichen Begegnungen des Herrn mit den Seinen eine nähere Betrachtung wert.

Nach dem Karfreitag rechnete wohl keiner aus dem Jüngerkreis mehr mit dem Herrn. In dieser Stimmung der Resignation zeigt sich der Auferstandene in Situationen und Lebenslagen seiner Jüngerinnen und Jünger, wie wir sie in unserem Leben gleichfalls vorfinden: in Angst, in Trauer, im Alltag der Arbeitswelt, im Zustand der Enttäuschung.

Er zeigt sich ihnen in der Angst, als die Jünger aus Furcht hinter verschlossenen Türen verharrten, in der Trauer, als Maria von Magdala angesichts des leeren Grabes im Garten nach Jesu Leichnam suchte, im Alltag der Arbeitswelt am Ufer des Sees von Galiläa, als die Jünger um Simon Petrus ihre Arbeit als Fischer wieder aufgenommen hatten, und im Zustand der Enttäuschung, als die Emmausjünger Jerusalem resigniert verließen (vgl. Joh 20,19-23; 20,11-18; 21,1-14; Lk 24,13-35).

Den Emmausjüngern gesellte er sich unterwegs unerkannt zu. Beim Brechen des Brotes gingen ihnen die Augen auf: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“ Ihr Abschied aus der Jüngergemeinde wandelte sich zum Weg in das Glück des ersten Augenblicks der Jüngerschaft.

Berufen zur Gemeinschaft

Liebe Schwestern und Brüder, durch Taufe und Firmung habe ich bereits Anteil am Leben des Auferstandenen. Ich darf darauf setzen, dass er gegenwärtig ist in meinem Leben und immer schon unterwegs ist zu mir. Er hat mich im Blick, ehe ich ihn entdecke.

Die vierzigtägige Vorbereitungszeit auf Ostern bietet sich an, mein Emmausweg zu werden, der Garten, in dem ich ihn suche und erwarte, das Seeufer, an dem ich ihm mitten im Berufsleben begegne und meine Liebe zu ihm neu entflammt.

Stets münden die Begegnungen mit dem auferstandenen Herrn ein in die Erneuerung und Vertiefung der Liebe zu ihm und untereinander. Der Auferstandene sammelt die Seinen zur Gemeinschaft.

Dies bewirkt er durch die Weise seiner Erscheinungen. Sie zeichnen sich nämlich durch das Überraschungsmoment und die Unverfügbarkeit seiner Gegenwart aus, er lässt sich nicht festhalten. Damit offenbart er sich den Jüngern als Gabe, über die sie nicht bestimmen können. Ihn als Gabe zu empfangen und anzunehmen, lässt die Jüngergemeinschaft, die Kirche, wachsen.

Es liegt an uns, der Sehnsucht nach der Begegnung mit ihm Raum zu geben in der gelebten Gemeinschaft: in der Kirche im Kleinen, in der Familie, in der geistlichen Weggemeinschaft, in der Kirche im Großen. Die Osterbotschaft ist zugleich Einladung in die Gemeinschaft, in die Gemeinschaft des Gebetes der Ehepartner, in die Gebetsgemeinschaft in der Familie, in die Pfarrgemeinde, in die gemeinsame Feier der Liturgie. Sie ist Einladung zur Anteilnahme aneinander, zur Sorge füreinander und zur Solidarität untereinander. Dazu gehört auch das gegenseitige Ertragen. Der Herr beruft zur Gemeinschaft und er erweist sich in der Gemeinschaft als Gegenwärtiger.

Offen werden für die Gegenwart des Herrn

Es war der Blick des Auferstandenen auf seine Jünger, der diese für seine Gegenwart sehend gemacht hat: Maria von Magdala erkennt ihn im Garten, als er sie beim Namen nennt, die Emmausjünger erkennen ihn, als er am Abend mit ihnen das Brot bricht. Seine Liebe macht uns sehend. Die Osterbotschaft lädt ein, mich, mein Leben seinem Blick auszusetzen, mich anschauen zu lassen vom Herrn in der Begegnung mit dem Wort Gottes, unter das ich mein Leben und Handeln stelle. Gerade auch in der eucharistischen Anbetung und in den Begegnungen mit dem Nächsten schaut er mich an. Auf diese Weise kann meine Liebe wachsen.

Die Kirche kennt verschiedene Möglichkeiten, die dabei helfen, uns für die Gegenwart des Herrn und für das Wachstum der Gemeinschaft in Liebe zu öffnen. Ein solches Hilfsmittel ist das Fasten, das nicht auf Gewichtsreduktion zielt, sondern auf die Einübung in Verzicht und in die Bereitschaft zum Teilen mit Notleidenden. Verzicht muss sich nicht allein auf Nahrung und Genussmittel beschränken. Zu einem solidarischen christlichen Lebensstil der Bescheidenheit und des Maßhaltens gehört der achtsame Umgang mit den Ressourcen der Schöpfung. Eine Art des sinnvollen Verzichts kann daher zum Beispiel das Autofasten sein, zu dem verschiedene Initiativen aufrufen. Verzichten und solidarisches Teilen schenken uns eine innere Freiheit und Offenheit, in die der auferstandene Herr eintreten kann. So können wir ihm begegnen und ihn erfahren.

Vor genau 1300 Jahren begann der junge Willibald von England aus seine Pilgerreise, die ihn bis ins Heilige Land führte. Die Sehnsucht, auf Jesu Wegen zu gehen und dem Herrn an den Heiligen Stätten zu begegnen, war so groß, dass er Heimat, Besitz und Sicherheit zurückließ. Der heilige Willibald leite uns an, in dieser österlichen Bußzeit aufzubrechen, um die Kraft der ersten Liebe zu Christus zu erneuern und ihm zu begegnen.

Dazu segne Euch der dreieinige Gott: + der Vater und + der Sohn und + der Heilige Geist.

Amen.

Eichstätt, am Hochfest unserer Diözesanpatronin, der heiligen Walburga, dem 25. Februar 2020


Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt