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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Österlichen Bußzeit am 1. Fastensonntag, dem 10. März 2019

Liebe Schwestern und Brüder,

in einem Lied im Gotteslob bitten wir um die Weitung unseres eigenen geistigen Horizonts: Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite; Herr erbarme dich (GL 437).

Über den Tellerrand blicken

Der fehlende Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, das Kreisen um sich selbst verursacht im alltäglichen Miteinander mancherlei Probleme. Es stört das familiäre und das berufliche Miteinander. Wenn ich mich im Dickicht der Alltags- und Berufsaufgaben verfange, trübt dies meine Wahrnehmung der Mitmenschen und mindert die Sensibilität für deren Sorgen und Anliegen. Auch der Blick für die Schönheit des Lebens und seinen Geschenkcharakter geht verloren.

Liebe Schwestern und Brüder, in der österlichen Bußzeit sind wir eingeladen, aus unserem beengenden und stumpfen Alltagstrott die Weite in den Blick zu nehmen, die Gott uns eröffnet. Der Hebräerbrief ermuntert uns, in unserem Leben mit all seinen Problemen und Sorgen auf Jesus zu blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens (vgl. Hebr 12,2). In Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, eröffnet uns Gott einen neuen Horizont. So können wir den Blick in die Weite Gottes wagen. Der Kern der christlichen Hoffnung ist der Wechsel der Blickrichtung von der eigenen Begrenztheit hin zur grenzenlosen Weite Gottes.

Dem Horizont Gottes steht der Wille des Menschen gegenüber, sein eigener Herr zu sein und sich ohne Gott in dieser Welt selbst zu behaupten. Daher ist die Umkehr der Zwilling der christlichen Hoffnung. Denn die Hoffnung lebt von der Bereitschaft, Jesus nachzufolgen und das Kreuz auf sich zu nehmen. Die Entäußerung, das Armsein vor Gott, befreit uns aus der Enge, in die uns die falsche Selbstbehauptung des Ichs führt, sie macht uns frei, um uns mit Gottes Haltung der Liebe zu vereinen und uns so auf die Seite des neuen Lebens zu stellen.

Die Versuchung Jesu

Das Evangelium der heutigen Liturgie stellt uns Jesu Versuchung durch den Teufel in der Wüste vor Augen. Jesus hatte 40 Tage gefastet und ist hungrig. Der Teufel provoziert ihn, sich als Sohn Gottes zu erweisen, indem er Steine in Brot verwandelt. Viele Hände braucht es, bis aus Getreide Brot wird. Steine in Brot zu verwandeln steht für einen Lebensentwurf, in dem man von niemandem abhängig sein will, in dem die eigene materielle Befriedigung ganz oben steht und der Mitmensch keinen Platz hat. Der Teufel will Jesus zu einer Selbstbehauptung anleiten, die den Horizont Gottes ablehnt. Doch Jesus hält den Blick der Hoffnung auf Gott, seinen Vater, durch. Danach eröffnet ihm der Teufel eine Vision der Macht. Er bietet Jesus die Herrschaft über die gesamte Welt gleichsam als Gegenentwurf zur Sendung des Vaters an, nämlich ohne das Kreuz und ohne Offenbarung der Liebe am Kreuz. Herrschaft ohne Selbsthingabe, ohne Entäußerung, bedeutet die Preisgabe der Liebe.

Das letzte Ansinnen des Teufels, Jesus von der Zinne des Tempels springen zu lassen, um Gott zu zwingen, Engel zu senden, die ihn auf Händen tragen, ist der Versuch, Gott zu manipulieren. Das menschliche Ich soll sich an Gottes Stelle setzen und den Takt vorgeben. Diese Versuchung zielt auf die Abschaffung Gottes zugunsten des Ichs.

Der Weitblick in Gottes Zukunft entfaltet sich nicht ohne Widerstand gegen die Versuchung. Jesus widersteht den drei Anleitungen zur falschen Selbstbehauptung und den damit angebotenen Bedürfnisbefriedigungen.

Vier konkrete Schritte für die Fastenzeit

In der österlichen Bußzeit, die mit dem Aschermittwoch begonnen hat, dürfen wir den Blick über den eigenen Tellerrand einüben und der Sehnsucht nach Gott Raum geben, den wir im Leben suchen und oft vermissen. Der Herr selbst kann uns dabei Wegbegleiter sein, um unseren Blick auf den Horizont Gottes auszurichten. Das heutige Evangelium zeigt uns dazu vier konkrete Schritte, die ich unter den Überschriften Bibel, Beten, Fasten und Beichte zusammenfassen möchte.

1. Bibel
Jesus wehrt sich gegen alle drei Versuchungen des Teufels, indem er die Heilige Schrift zitiert. Wenn das Wort Gottes in unser Herz eingeschrieben ist, öffnet es uns die Augen und schenkt uns in schwierigen Situationen die Gabe der Unterscheidung. Es schenkt Weitblick in die Zukunft Gottes. Die 40 Tage vor Ostern sind eine gute Gelegenheit, die Heilige Schrift in unseren Alltag zu holen und mit ihr unser Leben zu deuten. Greifen wir wieder zur Bibel. Ein guter Einstieg kann es sein, die Lesungen der Heiligen Messe schon vor dem Gottesdienst zu betrachten, um dann ein Wort oder einen Gedanken aus der Liturgie in den Alltag mitzunehmen. Die Kirchenzeitung sowie verschiedene Webseiten und Apps für Smartphones und Tablets bieten Zugang zu den Lesungstexten, besonders zu den Sonntagslesungen.(1)

2. Beten
Erfüllt vom Heiligen Geist zieht sich Jesus in die Wüste zurück, um dort 40 Tage lang zu fasten und zu beten. Liebe Schwestern und Brüder, es braucht Inseln des Gebetes im Getriebe und Grau des Alltags. Auch hier bietet die Fastenzeit die Gelegenheit, das Morgen- und Abendgebet wieder aufzunehmen oder bewusster und regelmäßiger zu üben. Das Gleiche gilt für das gemeinschaftliche Gebet in der Familie, das vielleicht im Laufe der Zeit eingeschlafen ist. Auch gibt es fast immer Gelegenheit für kreativ in den Tag eingefügte Gebetszeiten, etwa beim Autofahren oder beim Zurücklegen einer Wegstrecke zu Fuß. Über solche Inseln des Gebetes bauen wir im Alltag eine Brücke der Hoffnung hinein in den Horizont Gottes, nicht nur für uns, sondern gerade auch für andere Menschen. Wer betet, ergreift das Stimmrecht, das Gott der Welt geschenkt hat.

3. Fasten
"In jenen Tagen aß er nichts; als sie aber vorüber waren, hungerte ihn", heißt es im heutigen Evangelium. Der Verzicht auf Essen und Trinken ist ein bewährtes geistliches Instrument gegen Begehrlichkeiten und unnütze Wünsche des Ichs. Warum überlassen wir Christen dieses Instrument den Gesundheits- und Schlankheitskuren? Wer betet und fastet, wird rasch sein Inneres kennenlernen und seine seelischen Baustellen entdecken. Fasten als von Liebe getragener Verzicht lässt uns solidarisch handeln mit Armen und Notleidenden. Fasten und Konsumverzicht kann als Form der Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung Gottes praktiziert werden. Es fördert die Bereitschaft zum Loslassen und Teilen. Auf einem Grabstein war zu lesen: Mitnehmen kann man nur, was man nicht mehr besitzt!

4. Beichte
Vor seinem Gang in die Wüste hatte sich Jesus der Bußtaufe des Täufers Johannes unterzogen (vgl. Lk 3,21f.) Ich las einmal den Spruch: Der Blick über den Tellerrand ermöglicht nicht nur einen neuen Horizont, er zeigt auch die eigenen Begrenzungen auf (Irmgard Nägele). Diese Grenzen, die sich in unserer Schuld und Sünde zeigen, in der Beichte vor Gott zu tragen, befreit das Ich für die Weite, in die Gott uns führen möchte. Ich möchte Sie daher einladen, in dieser Fastenzeit auch das Bußsakrament neu zu entdecken. Geben wir dem Herrn die Gelegenheit, uns die Schuld zu nehmen, die uns einengt und daran hindert, in Gottes Weite aufzubrechen.

Liebe Schwestern und Brüder, nutzen wir diese österliche Bußzeit zur Umkehr mit den vier Schritten des Evangeliums: Bibel, Beten, Fasten und Beichte. Machen wir uns frei von unserer falschen Ichbezogenheit und brechen wir auf in die grenzenlose Weite der Liebe Gottes, die unsere Zukunft ist.

Dazu segne Euch der dreieinige Gott: + der Vater und + der Sohn und + der Heilige Geist.
Amen.

Eichstätt, am Aschermittwoch, dem 6. März 2019

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt

 

 

 

 


(1) Unsere Kirchenzeitung druckt die Sonntagslesungen in der Rubrik "Frohe Botschaft" jeweils in der Heftmitte ab. Das Domradio bietet die App "Tagesevangelium" an, die für jeden Tag das entsprechende Evangelium anzeigt, während die Erzabtei Beuron unter erzabtei-beuron.de/schott die vollständigen aktuellen Tageslesungen veröffentlicht.