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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am Christkönigssonntag, dem 20. November 2016

Liebe Schwestern und Brüder!

Wer trägt mich in meinem Leben, was gibt mir Halt? Sind es andere Menschen, innere Einstellungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, persönliche Ziele oder Hobbies?
Weiß ich auch, was in meiner Frau, in meinem Mann, in den Kindern, den Eltern und Großeltern oder meinen Freunden vorgeht? Weiß ich, was Menschen trägt, mit denen ich in meiner Pfarrgemeinde oder in meinem Verband immer wieder zusammentreffe?

Tief in unserem Innern bewegen uns Sehnsüchte und Hoffnungen, sie lassen uns nach Erfüllung und Halt suchen. Aktionismus und Ruhelosigkeit, Verlangen nach bloßem Genuss und Spaß, brutales Streben nach Karriere, unersättliches Habenwollen, ein Hang zu Oberflächlichem und Äußerlichem können darauf hinweisen, dass die Sehnsucht in einem Menschen unerfüllt geblieben ist. Bleibt das Sehnen ohne Antwort, kann die Sucht an seine Stelle treten.

Findet die Sehnsucht des Menschen jedoch eine Antwort, wächst das Empfinden, gehalten und getragen zu sein. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Jeder und jede von uns sehnt sich nach Bejahung und Annahme. Erlebe ich die Haltung eines Menschen mir gegenüber als Antwort auf diese tiefe Sehnsucht in mir, finde ich Halt.

Jesus antwortet auf die menschliche Sehnsucht

Unser christlicher Glaube sagt: Als Mensch bist du ein Wesen der Sehnsucht, aber die Welt kann dein Verlangen nicht stillen! All dein menschliches Sehnen gründet tiefer, in der Sehnsucht nach Gott. Die Evangelien berichten, dass Jesus den Menschen der Sehnsucht liebt, dass die Sehnsucht Tor der Begegnung wird und sich wandelt. Wie immer die Menschen ihr Sehnen zuvor zu stillen versuchten, Jesus nimmt ihre tiefe Sehnsucht ernst.

Das Johannesevangelium schildert das Zusammentreffen Jesu mit Nathanael, offensichtlich ein Mensch voller Skepsis, aber erfüllt von Sehnsucht nach dem Messias. Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? fragt er zweifelnd den Philippus, als der ihn zu Jesus bringen will. Seht, da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit! Mit diesen guten Worten begrüßt Jesus ihn, dessen tiefes Sehnen er wahrnimmt. Jene Begegnung verändert Nathanael völlig: er wird zu einem der ersten Jünger Jesu (vgl. Joh 1,45-49).

Im Zöllner Zachäus erblickt Jesus nicht den Steuereintreiber und Halsabschneider, sondern den Menschen der Sehnsucht. Er heißt ihn vom Feigenbaum zu steigen, um Gemeinschaft mit ihm in seinem Haus zu feiern. Auch ihn verändert die Begegnung mit Jesus von Grund auf (vgl. Lk 19,1-10).

Am Jakobsbrunnen wendet sich Jesus einer samaritischen Frau zu, die ihr Glück mit fünf Männern nicht gefunden hat. Durch ihre gebrochene Lebenssituation hindurch erkennt Jesus ihr zutiefst unerfülltes Verlangen nach wahrem Leben. Kommt her … Ist er vielleicht der Messias? ruft sie darauf ihren Nachbarn im Dorf zu (vgl. Joh 4,1-29).

Die Sehnsucht der Menschen beantwortet Jesus mit Begegnung, die Gemeinschaft mit Gott eröffnet und die Menschen zur Beziehung untereinander befähigt. Jesus sammelt nicht Menschen, weil er ein geistliches Werk mit einer guten Mitarbeiterschaft zur Verbesserung der Welt errichten möchte. Er will als Person Antwort auf die tiefste Sehnsucht des Menschen sein. Die Menschen erfahren, dass in ihm das Ich und das Du verbunden sind, dass etwas Neues entsteht.(1)

Communio, die sich aus der Sehnsucht nährt

Liebe Schwestern und Brüder, unsere Christus in die Hand gelegte Sehnsucht ermöglicht Jüngergemeinde, Kirche als Gemeinschaft, die in mehr gründet als in einem Gefühl – von der Pfarrei bis zur Familie als Hauskirche. Solche Communio nährt sich aus der Sehnsucht heraus, die Christi Nähe sucht und sich Christus anvertraut. In der Begegnung mit ihm wird nicht einfach etwas Vorhandenes im Leben ergänzt, so wie man ein bereits vorhandenes Wissen erweitern und vervollkommnen kann. Das Leben erschließt sich ganz neu, im Leben mit Christus entfaltet sich eine neue Qualität des Miteinanders zwischen Gott und Mensch.

Wir stehen vor dem Abschluss der Neuaufstellung unserer Pastoral im Bistum. Wie wird in größeren Einheiten die Weggemeinschaft des Glaubens erfahrbar sein? In größeren pastoralen Räumen werden wir anders arbeiten als in den kleineren und überschaubaren Pfarreien bisher. Wir können nicht die Logik und den Aufbau der bisherigen pastoralen Arbeit in die neuen Strukturen hineinmultiplizieren. Entscheidend wird sein, wie wir die hinter der Neugestaltung stehende Losung umsetzen: Die pastoralen Räume sollen Gemeinschaft von Gemeinschaften werden. Unser Miteinander auf dem Weg als Kirche soll gelebte Communio sein, von der das Zweite Vatikanische Konzil spricht. Das kann sich nicht im Gefühl von Verbundenheit erschöpfen. Gemeinschaft und der Prozess der Gemeinschaftsbildung müssen getragen sein von einer gemeinsam geteilten Sehnsucht, die in der Person Christi die Antwort auf die Fragen meines Lebens sucht und erkennt.

Sehnsucht als missionarische Kraft

In Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ gelangt der junge Held Bastian in ein Land, in dem die Menschen keine Wünsche mehr haben und nichts mehr erwarten. Ohne ein Sehnsuchtspotential vegetieren sie nur noch und können weder leben noch sterben.

Wer oder was trägt mich in meinem Leben und gibt mir Halt? Was trägt die Menschen um mich? Liebe Schwestern und Brüder, mehr darüber voneinander zu wissen und unsere vielfältigen Sehnsüchte als die uns einende Sehnsucht nach Christus zu deuten, wird für unseren zukünftigen Weg als Kirche bedeutsam sein. Lebendige Kirche entsteht dort, wo die Sehnsucht nach Christus miteinander geteilt wird. Solche Sehnsucht sucht den Herrn nicht nur in Liturgie und Gebet, nicht nur in der eigenen Gemeinschaft, sondern draußen auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Fremden und Fernen. Diese Sehnsucht entfaltet eine missionarische Kraft. Die Glut der Sehnsucht gilt es in uns zu erhalten. Die Kirche hat einen reichen Schatz, der uns Hilfen bietet.

Die Sehnsucht wach halten

Liebe Schwestern und Brüder, für mich ist das Bußsakrament ein unverzichtbarer Weg, um die Sehnsucht in mir wach zu halten und mich vor Sattheit oder Müdigkeit zu schützen. Im Gegenüber zu Christus darf ich meine leeren und falschen Sehnsüchte anschauen und dem tiefen Verlangen nach Christus Raum geben. Christus als befreiende Antwort meines Sehnens zu erfahren, ist ein großes Geschenk. Durch viele Hilfen kann das Bußsakrament unterstützt werden. In den Familien und geistlichen Zirkeln sollte der persönliche Austausch über Fragen des Lebens und des Glaubensweges das Verlangen nach Christus wecken. Gebets- und Bibelkreise, geistliche Begleitung und Exerzitien sind ebenso kostbare Instrumentarien. Viele unserer Missions- und Helferkreise, die Menschen in Not dienen, haben sich nicht nur das Ziel gesetzt, einer besseren Welt zu dienen, sondern Christus ihre Herzen und Hände zu leihen. Es ist das Sehnen nach Christus, das sie befähigt, so zu handeln.

Vielleicht denken Sie, „Das ist nichts Neues, was uns der Bischof da aufzählt.“ Gewiss, aber wenn wir das tun, weil wir überzeugt sind, dass es unser Glück bedeutet, dann wird es fruchtbar.(2)

Liebe Schwestern und Brüder, das Heilige Jahr der Barmherzigkeit geht zu Ende. Die Zeit der lebendigen Pforten der Barmherzigkeit setzt sich fort: unsere Herzen und unsere Gemeinschaft um Christus sind diese Pforten. Die Sehnsucht möge in uns wach bleiben und uns immer neu
zu Christus hin bewegen, damit die Communio, die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott und untereinander gefestigt werde.

Dazu segne Sie alle der Dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Eichstätt, am Gedenktag der Heiligen Gertrud von Helfta, den 17. November 2016

Ihr 

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt

 

 

 


 

(1) Zum Gedanken „Begegnung im Dritten“: vgl. Ida Friederike Görres, Sohn der Erde:
Der Mensch Teilhard de Chardin. Drei Versuche, Frankfurt 1971, 126.
(2) 2 Vgl. Luigi Giussani, Am Ursprung des christlichen Anspruchs. Grundkurs christlicher Erfahrung, St. Ottilien 2011, 114.