Zum Inhalt springen

Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am Christkönigssonntag, dem 20. November 2011

Liebe Brüder und Schwestern!
Liebe Kinder und Jugendliche!

Am Ende seines Deutschlandbesuches hielt Papst Benedikt XVI. im Freiburger Konzerthaus eine Rede, die als Vermächtnis seines Besuches bezeichnet werden darf. In seinen Worten griff der Hl. Vater die Sorge auf, dass sich ein beträchtlicher Teil der Getauften vom kirchlichen Leben distanziert. Der Rückgang der religiösen Praxis in unserem Land erfüllt den Papst mit großer Sorge.

Diese Entwicklung reicht ja bis in unsere Familien und Freundeskreise und trifft uns schmerzlich. Der Papst weiß darum, dass manche sich die Frage stellen, ob sich angesichts des religiösen Abbruchs die Kirche nicht ändern müsste? Sollte sie sich nicht in ihren Ämtern und Strukturen mehr der Gegenwart anpassen, um die suchenden und zweifelnden Menschen von heute zu erreichen?

Papst Benedikt gab in seiner Rede darauf zu bedenken, dass die Kirche ihre Sendung von Christus her hat. Sie handelt nicht im eigenen Namen, nicht im Namen ihrer Mitglieder oder der Mehrheitsmeinung ihrer Mitglieder wie Organisationen und Vereinigungen in Gesellschaft, Politik oder Wirtschaft. Sie steht für eine viel größere Wirklichkeit und Wahrheit. Die Kirche kommt von Christus her, und deshalb dient sie wie Christus Gott als Werkzeug der Erlösung. Wörtlich sagte der Papst über die Kirche: „Ihr Sinn besteht darin, Werkzeug der Erlösung zu sein, sich von Gott her mit seinem Wort durchdringen zu lassen und die Welt in die Einheit der Liebe mit Gott hineinzutragen.“

Gerade weil die Kirche aus dem Geheimnis des dreieinigen Gottes kommt, wird man sie nicht durch Strukturreformen und Anpassung der Lehre an den Zeitgeschmack tauglicher machen für ihre Sendung zu den Menschen.

Gewiss hat sich die Kirche im Laufe der Geschichte gewandelt und sie wandelt sich weiter. Aber die Kirche wird tauglicher für die Menschen, wenn sie sich Christus angleicht, wenn sie ihm ähnlich wird. Dazu hat sie zunächst ganz auf Christus zu schauen und auf seine Sendung. Sie muss sich der Sendung Christi vergewissern, aus der heraus sie selbst lebt.

Liebe Schwestern und Brüder! Wird sich also nichts ändern in der Kirche? Muss alles bleiben, wie es ist? Der Hl. Vater verwies in seiner Rede auf die selige Mutter Theresa von Kalkutta. Auf die Frage, was sich nach ihrer Meinung als Erstes in der Kirche ändern müsse, antwortete Mutter Theresa dem Fragesteller: „Sie und ich!“

Die Veränderung der Kirche beginnt also bei mir. Durch die Taufe bin ich berufen, Christus ähnlicher zu werden, ein zweiter Christus zu sein. Mein Leben soll Ikone Christi sein. Das heißt Christus möchte durch mein Denken und Handeln in der Welt aufscheinen, er will durch mich, durch jede und jeden von uns bei den Menschen ankommen und ihre Nöte berühren.

Ich als Einzelner vermag durch meinen persönlichen Änderungsprozess viel zu bewegen. Das zeigt die Kirchengeschichte an großen Gestalten wie Theresa von Avila, Ignatius von Loyola, Katharina von Siena, Franz von Assisi. In schwierigen Zeiten der Kirche wollten diese Frauen und Männer der Kirche helfen. Sie begannen, sich selbst zu verändern. Christus wollten sie ähnlicher werden, ihn brennender lieben und sich von ihm in Dienst nehmen lassen. Die Lebensbeispiele dieser Heiligen machen deutlich, der Einzelne, der eins wird mit Christus, ist mehr als nur ein winziges Teilchen. Die Veränderung auf Christus hin setzt gewaltige Kräfte frei. Daher konnten diese heiligen Frauen und Männer zur Erneuerung der Kirche beitragen.

In seiner Freiburger Rede schlug Papst Benedikt sozusagen eine geistliche Landkarte auf, um uns für das Heute einen Weg der Veränderung zu zeigen. Er lud die Kirche in unserem Land ein, „die wahre Entweltlichung zu finden“, um ein überzeugendes missionarisches Zeugnis zu geben und sich auf wahrhaft christliche Weise der Welt zuzuwenden und die Menschen zu sich selbst zu führen, das heißt zu Christus.

Was könnte denn der Papst mit „Entweltlichung“ gemeint haben, so fragen viele. Es dürfte dem Papst dabei wohl weniger um Details der Gestalt der Kirche bei uns gegangen sein, wohl aber um eine geistlich-theologische Botschaft grundsätzlicher Art für unseren missionarischen Weg als Kirche in Deutschland. Der Impuls des Papstes richtet sich nicht nur auf die Kirche im Großen. Er betrifft uns alle, jeden einzelnen ganz persönlich.

Die bald beginnende Adventszeit mit ihren eindrucksvollen Liedern und den Lesungen der Liturgie scheint mir ein guter Dolmetscher für Papst Benedikts Aufruf zur „Entweltlichung“ zu sein. Immer wieder vernehmen wir in der Liturgie des Advent den Ruf: Bereitet dem Herrn den Weg.

Gott ist am Kommen in die Welt. Doch will er nicht einfach kommen wie ein Besucher, sondern er will die Welt verwandeln. Wachsamkeit und Konzentration auf ihn, den Kommenden, sind angesagt. Der Blick auf den kommenden Herrn muss Priorität haben vor allen anderen Fragen, die uns in der Kirche bewegen mögen. Unsere Berufung als Kirche ist es, ihm, dem Herrn, einen Weg zu bahnen. „Entweltlichung“ könnte besagen: Je mehr wir den Herrn und sein Kommen zur Kompassnadel für unser Tun machen, desto offener werden wir für die Sorgen und Nöte unserer Zeit.

Wir bauen keine Schwebebahn über unsere Wirklichkeit hinweg. Nein, auf dem Boden dieser Welt, dieser Gesellschaft, auf dem Boden meines Lebens und Alltags soll die Straße entstehen, auf der Gott ankommen kann und der Mensch zu Gott gelangt.

„Entweltlichung“ in adventlicher Deutung hieße dann: Das Handeln der Kirche und unser persönliches Leben sollen Wegebau für das Kommen des Herrn sein. Unsere pastoralen Anstrengungen in den Pfarreien, die Aktivitäten in unseren Verbänden, unsere Beratungen in kirchlichen Gremien, der Einsatz unserer kirchlichen Finanzmittel und Sachmittel sind immer neu darauf zu befragen, ob es sich um Wegebau für das Kommen des Herrn handelt.

Die Kirche betet an jedem Morgen im Benediktus (Lk 1,76b), im Lobgesang des Zacharias: „Du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten“. Dieser Satz fasst nicht nur die Sendung der Kirche zusammen, sondern gerade auch meine Sendung als Glied der Kirche hinein in den Alltag. Der Liebe zu Christus soll nichts vorgezogen werden, schreibt der hl. Benedikt in seiner Mönchsregel. Was ich tue, soll Vorbereitung für das Kommen des Herrn sein.

In meiner Familie, in der ehelichen Beziehung, in meiner Pfarrgemeinde, in Beruf, Freizeit und Freundeskreis bin ich Wegbauer für den Herrn. Je mehr ich mich auf Christus ausrichte und ihm nichts vorziehe, desto näher komme ich den Menschen.

„Entweltlichung“, liebe Schwestern und Brüder, besagt, dem Herrn vorausgehen und ihm den Weg zu bereiten. Der Heilige Vater hat uns eine Aufgabe gestellt: nehmen wir die Herausforderung in dieser adventlichen Besinnungszeit an und beteiligen wir uns an der Erfüllung: „Sie und ich!“

Dazu segne Sie der Dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Ihr
 
Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt