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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am Christkönigssonntag, dem 22. November 2009

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Liebe Kinder und Jugendliche!

Der heutige Christkönigssonntag stimmt uns auf das Thema des Advent ein: Der Herr wird wiederkommen!

In den Wochen vor Weihnachten besingen wir in Adventsliedern, dass der Herr schon nahe ist: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit. Oder: Freut euch im Herrn, denn er ist nah, bald ist der Welt Erretter da. Die Lichter am Adventskranz und die Lichterketten in den Straßen vieler Städte wecken besonders in den Kindern die Vorfreude auf den Hl. Abend, bis dann das Christkind da ist. Liebe Kinder, gerade Euch wünsche ich viel Freude im Advent und am Hl. Abend, wenn wir das Kommen des Christkinds feiern.

Liebe Schwestern und Brüder! Glauben wir selbst an das, worauf unsere Kinder warten? „Das Christkind kommt“, ist die kindliche Übersetzung der adventlichen Botschaft: „Der Herr ist nahe.“ Entspricht aber dieser Satz der Realität unseres Lebens?

Nicht wenige unter uns machen oft gegenteilige Erfahrungen. Der Herr scheint weit weg zu sein. Sie sagen: Ich spüre nichts von ihm in meinem Alltag oder in meinen Sorgen! Das Leben während der Woche am Arbeitsplatz, in der Firma, in der Schule, bei den häuslichen Arbeiten hat doch reichlich wenig mit ihm zu tun. In Lebenskrisen können Menschen sogar das Gefühl haben, von Gott verlassen zu sein.

Von so einer Lebenskrise erzählte mir ein junger Familienvater. Es gab eine Zeit in seinem Leben, in der es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Zweifel an sich selbst kamen auf, er sah keinen Lebenssinn mehr. Auch aus dem Glauben konnte er in dieser Wüste keine Kraft schöpfen, obwohl er praktizierender Katholik war. „Gott war einfach weg in dieser Zeit“, sagte er.

Andererseits gibt es Menschen, die gerade in schweren Situationen des Lebens, etwa in Krankheiten oder Schicksalsschlägen, die Nähe Gottes erfahren haben. Denken wir nur an die Zeit der Bedrängnis und Verfolgung der Kirche, etwa unter der Diktatur der Nationalsozialisten wie auch unter der Herrschaft des Kommunismus: Trotz Schikane, Bespitzelung und grausamer Haft in den Konzentrationslagern durften Menschen Gottes Nähe und Kraft und eine tiefe innere Freude aus dem Glauben erfahren. Beispiele dafür wären Dietrich Bonhoeffer, die Heiligen Edith Stein und Maximilian Kolbe.

Noch nicht lange her ist es, dass im mittelamerikanischen Land El Salvador die Kirche verfolgt wurde. 1980 fiel der Erzbischof von San Salvador, Oskar Romero, einem Mordanschlag zum Opfer, weil er sich für soziale Gerechtigkeit entgegen der Militärdiktatur einsetzte. Auch Priester fielen Mordanschlägen zum Opfer. Einer dieser Märtyrer für die Wahrheit und Gerechtigkeit des Evangeliums stärkte die verängstigten Gläubigen seiner Gemeinde kurz vor seiner Ermordung mit den Worten: „Gott ruht nicht oben in einer Hängematte, er ist mitten unter uns!“

Liebe Schwestern und Brüder, eine positive Erfahrung im Leben, oder ein Glücksmoment kann ein Geschenk der Nähe Gottes sein und zur Haltung des Staunens und der Dankbarkeit führen. Doch es wäre ein Trugschluss, die Nähe Gottes nur mit frohen Erfahrungen verbinden oder gar darauf reduzieren zu wollen. Gottes Gegenwart scheut nicht zurück vor der Dunkelheit des Lebens. Das ist eine wichtige Aussage von Weihnachten! Die Botschaft der Geburt Christi wurde in der Nacht von Betlehem verkündet, seitdem gilt sie auch für die Nacht der Welt und für die eines jeden Menschenlebens. Er ist der Immanuel, der Gott mit uns. Die Ankunft des Gottessohnes in Menschengestalt ist die bleibende Zusage, dass unsere Welt, dass die Lebenswelt von jedem von uns nicht gottverlassen ist. Wie die Hirten in der Nacht die Krippe mit dem Kinde suchten und schließlich fanden, so dürfen und sollen auch wir uns auf den Weg machen.

Die Erfahrung der Nähe Gottes lässt sich freilich nicht herbeizwingen. Aber wir können dem Herrn und seinem Kommen den Weg bereiten. Dazu braucht es Menschen, die selbst Träger der Gegenwart Gottes sein möchten. Menschen, von denen gesagt werden kann: In ihm, in ihr geht Gott durch die Welt.

Wie wird man nun zu solch einem Menschen? Eine Antwort auf diese Frage möchte uns die bevorstehende Adventszeit geben, indem sie uns einlädt Menschen zu werden, die Christus mit einer Sehnsucht im Herzen erwarten. Jeder, der die Sehnsucht nach Christus zulässt, wird zu einem Menschen werden, der Christus sowohl in der Freude als auch im Leid wahrnehmen kann. Jeder, der Sehnsucht nach Christus hat, wird davon gedrängt sein, ihn immer besser kennenzulernen und Zeit mit ihm zu verbringen. Das Gebet, das Lesen der Heiligen Schrift, der Besuch der hl. Messe und der Empfang des Bußsakramentes wird ihm dann keine lästige Pflicht sein, sondern ein inneres Bedürfnis. Und jeder, der die Sehnsucht nach Christus spürt, wird anderen Menschen helfen können, ihm zu begegnen.

Beispiele, wie Menschen Träger der Gegenwart Gottes sein können, gibt es im Großen, wie im Kleinen. Bei einem Besuch in einer Pfarrei erzählte mir der Pfarrer von einem Ministranten, der Sonntag für Sonntag mit großem Eifer bei der Messe ministriert. Seine Eltern gehen jedoch nicht zur Kirche. Der Vater oder die Mutter bringen ihren Jungen mit dem Auto bis vor die Kirchentür und drehen dann wieder um. Ich denke, dass auch dieser Junge die Gegenwart des Herrn in seine Familie hineinträgt, wenn er mit Freude im Herzen von der Sonntagsmesse nach Hause zurückkehrt.

Ich erinnere mich auch an eine Ordensschwester, die vor vielen Jahren mit einer Gruppe von Gläubigen für einen Priester intensiv betete, der eine Krise durchlebte. Der Priester sagte später voller Dankbarkeit: „ich bin überzeugt, dass mir dieses Gebet damals aus meiner Not und Ohnmacht herausgeholfen hat.“

Denken wir nicht zu gering vom Gebet! Wie wohltuend ist es, wenn wir Menschen um uns haben, auf deren Gebet wir uns verlassen können. In zahlreichen Begegnungen durfte ich erfahren, dass Eltern und Großeltern den Dienst des stellvertretenden Gebetes bereitwillig übernehmen, wenn sich ihre Kinder und Enkel mit dem Glauben schwer tun oder sich von der Kirche entfernt haben. Dies ist oft heilsamer als mach mahnendes Wort. Das stellvertretende Gebet lässt Gottes Gegenwart über dem Leben anderer Menschen aufleuchten, darauf dürfen wir vertrauen.

Liebe Schwestern und Brüder, die Sehnsucht, Gottes Nähe durch geistliche Schritte zu entdecken, entfremdet uns nicht unserer Weltverantwortung. Gerade wenn der Mensch gottfähig ist, wird er menschenfähig, sagt Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe Salvi¹. Die Suche nach der Nähe des Herrn befähigt uns für den Dienst am Menschen und der Welt. So geht Gott mit uns durch die Welt, durch die große und durch die kleine Welt meines Büros, der Fabrikhalle, des Schulzimmers, durch die Freuden und Nöte des Lebens.

Ich lade Sie ein, der Sehnsucht nach der Nähe des Herrn Raum zu geben und so seinem Kommen den Weg zu bereiten. Dazu segne Euch, auf die Fürsprache der Gottesmutter der gütige Gott der
 + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist.

Eichstätt, den 18. November 2009, dem Weihetag der Basiliken St. Peter und St. Paul zu Rom

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt

¹Vgl. Benedikt XVI: Enzyklika Spe Salvi, Nr. 33