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Im Wortlaut

Weihnachten – Gott umarmt den Menschen

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB in der Heiligen Nacht 2008 im Eichstätter Dom

Was hat Dir das Christkind gebracht?

Viele von uns erinnern sich am heutigen Abend zurück an ihre Kindheitserlebnisse am Heiligen Abend. War das nicht aufregend, als wir noch daran glaubten, dass das Christkind die Geschenke bringt? Spannung und frohe Erwartung vermischten sich schon Tage vorher bis zur ersehnten Bescherung.

Und an den Tagen danach fragten uns immer wieder die Erwachsenen: „Was hat Dir denn das Christkind Schönes gebracht?“ -  Stolz präsentierten wir unsere Geschenke.

„Was hat Dir denn das Christkind gebracht?“, so fragen gewiss wieder in den kommenden Tagen Großeltern, Onkel und Tanten die ganz Kleinen bei Verwandtschaftstreffen.

Passt die Frage nur auf die Kleinen, die noch an das Christkind als Geschenkbringer glauben? Was hat Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, das Christkind gebracht? Ja, Sie hören richtig. Die Frage geht an Sie hier im Dom, wenn auch in einem etwas anderen Sinn. Was hat Ihnen das Christus-Kind gebracht? Was bringt es Ihnen wirklich?

Vielleicht überlegen Sie selbst während der Weihnachtstage kritisch: Was bringen mir denn eigentlich dieses Christus-Kind in der Krippe und das ganze Weihnachtsfest für mein Leben?

Möglicherweise folgten Sie einfach dem Brauch Ihrer Familie, den Heiligen Abend mit Bescherung und Christmette sowie die Weihnachtsfeiertage im Familienkreis zu feiern. Aber was bringt mir das Christus-Kind in der Krippe über die Familienfeier hinaus?

Die Umarmung des Menschen in Gottes Menschwerdung

Wir hörten im Weihnachtsevangelium, dass Gott selbst leibhaftig in die Geschichte eingetreten ist und in der Person Jesu Christi auf den Menschen zugeht. Der Verkündigungsengel ruft den Hirten auf den Fluren von Betlehem zu: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude. Heute ist euch der Retter geboren.“ (vgl. Lk 2,10-11) Gott beginnt sein Werk der Rettung unter uns als ein schwaches Menschenkind, wie Du und ich es einmal waren. Dreimal am Tag, morgens, mittags und abends werden wir durch das Angelusläuten von den Türmen unser Kirchen herab daran erinnert. Wir bekennen die Ankunft Gottes beim Beten des Engel des Herrn mit den Worten: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ (Joh 1,14)

Gottes Sohn kommt nicht als distanzierter Beobachter, sondern das göttliche Wort wird einer unter uns, ein Du, um mit uns in Dialog zu treten, und zwar auf Augenhöhe! Der Mensch gewordene Gottessohn legt den Vater in menschlichen Gebärden aus. Der Mensch ist die Sprache Gottes geworden. (1) Faszinierend und einmalig an der christlichen Botschaft ist dieses Entgegenkommen Gottes. Gewiss spielt auch in anderen Religionen das Wort Gottes eine Rolle. Aber es ergeht entweder als Buch, das sich dem „Diktat“ Gottes an einen erwählten Seher verdankt, oder das Göttliche wird erst zugänglich, wenn sich der Mensch durch Meditation und Techniken der Versenkung ihm nähert.

Anders die Weihnachtsbotschaft: Gott umarmt in seiner Menschwerdung die Menschheit, ihre Geschichte, die Freuden, Sorgen und Nöte eines jeden Einzelnen. Bis in die Nacht der menschlichen Existenz will Gott seine Gegenwart erstrecken. Es geht ihm um eine Lebens- und Leidensgemeinschaft mit dem Menschen. Mit seinem Kommen in der Krippe beginnt Gott, sich den Menschen zu enthüllen. Und je mehr sich Gott klein zeigt und sich als Mensch enthüllt, desto tiefer hüllt er den Menschen in seine Wirklichkeit ein. Er macht die irdische Wirklichkeit zu einem Medium, um die Gegenwart und das Wirken Gottes erfahren zu können. Im „Lärm des Daseins“2, um es in Worte des Dichters Rainer Maria Rilke zu fassen, können wir nunmehr in dieser Welt das Schöne hören und seine Stimme erkennen, selbst wenn sie sich kaum aus den Geräuschen heraushebt.

Gottes Umarmung befreit den Menschen vom Zwang zum Glück

Freilich fällt es dem modernen Menschen nicht leicht, Gottes Umarmung anzunehmen, an sich geschehen zu lassen. Die Selbstsorge für ein gutes, glückliches und gelungenes Leben prägt unsere Zeit. Jeder soll doch seine eigene religiöse Richtung finden, wie sie ihm gut tut, und dementsprechend mag er selig werden, so denkt man vielfach. Eigentlich übertragen wir damit das Leistungsschema der Wirtschaft und des Konsums auf den Bereich der Religion. In der Welt des Konsums zählen das Neue und die Kreativität. Das Rad muss allein aus Gründen der Konkurrenz je neu erfunden werden. Und so soll sich auch der Mensch sein religiöses System je neu erarbeiten.

Betlehem lädt hingegen ein zum Fest der Begegnung zwischen Gott und Mensch, das Gott längst bereitet hat. Der Mensch muss nur hinzutreten zur Krippe, zu dem, der von sich sagt: „Ich bin der Weg.“ (Joh 14,6) Brechen wir auf in die Beziehung mit ihm. Glaube wird dann zum Mitgehen mit Christus(3).

Liebe Schwestern und Brüder, was bringt mir das Christus-Kind, was bringt mir Weihnachten? Die Umarmung Gottes, d. h. die Beziehung mit Gott, die rettet. Christ der Retter ist da!

Amen.

 

(1) Balthasar, Verbum Caro, 91.
(2) Ausdruck zitiert bei Balthasar, „Was ist der Mensch?“ In: Ders., Pneuma und Institution, 14.
(3) Papst Benedikt, Jesus v. Nazareth, 119.