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Im Wortlaut

Ansprache von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am 9. März 2011
beim Aschermittwoch der Künstler
 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Was soll das bedeuten?“, fragt sich mancher, der vor einem modernen Kunstwerk steht und in den inneren Dialog eintreten möchte. Der modernen Kunst, besonders der bildenden Kunst ist es fremd, Wirklichkeit abzubilden, zu kopieren oder gar nachzuahmen. Zumal der Seinsraum, in dem wir uns befinden, in der Wahrnehmung des modernen Menschen oft düster und verzerrt erfahren wird. Die Wirklichkeit, die sogenannte Wirklichkeit, ist für den modernen Menschen oftmals nicht transparent. Die moderne Kunst, auch die religiöse Kunst, bedient sich des Stilmittels der Reduktion. Form und Gestalt leben von Andeutung, Überzeichnung, Verfremdung: Impulse für den Betrachtenden, um selbst aktiv zu werden, um mit der Wirklichkeit in den Dialog treten zu können. Reduktion: „reducere“, zurückführen. Reduktion, Zurückführung auf was? Auf Wesentliches, auf Fragen, auf die Rätsel des Lebens?

Die heute beginnende Fastenzeit ist für uns Christen die Zeit, in der wir uns besonders einüben in die geistliche Kunst. Das diese Zeitspanne prägende Stilmittel ist gleichfalls die Reduktion, heute am Aschermittwoch dicht symbolisiert in der Asche und dem Aschenkreuz. Das Leben als geistliche Kunst. Worauf zielt diese Kunst? Auch auf den Dialog mit unserer Wirklichkeit. Es geht dabei um das Einschwingen in die Sprache der Liebe, die in allen Formen des Seins, auch in den armseligsten, ja sogar im Hässlichen und Widerlichen nach dem Abglanz des Wunders sucht, nach der Herrlichkeit Gottes. Der Christ muss und darf diesen Weg wagen, weil sich Gottes Wort, Jesus Christus, in unsere Wirklichkeit hinein ausgesprochen hat, gerade in die dunkle Wirklichkeit, in jene Dunkelheiten, die keinen ästhetischen Wert aufzuweisen scheinen. Es waren die Dunkelheiten des Leidens, des Kreuzes, des Grabes, die zum bevorzugten Ort für das Erscheinen der Liebe Gottes wurden. Weil der Christ an die absolute Liebe Gottes zur Welt glaubt, darf er die Wirklichkeit fortan als Verweis auf die Liebe lesen. Auch der Christ hat also eine Verwunderung über das Sein, die er mit der metaphysischen Verwunderung der Philosophen teilt. Aber dem Christ steht der Weg durch die Liebe offen, von der Verwunderung zur Bewunderung zu gelangen. Solche Lesefähigkeit ist keine primär philosophische Kompetenz, sie wächst zu durch die Praxis in der geistlichen Kunst.

Die Fastenzeit, die wir heute beginnen, die österliche Bußzeit, ist eine Einübung in die Anwendung des Stilmittels der Reduktion. Frei machen von Sekundärem, um Wesentlicheres zum Vorschein kommen zu lassen. Das Fasten, besser umfassender ausgedrückt das Freisein durch Verzicht auf Materielles und die Bereitschaft zu teilen, ist ein solch konkreter Schritt. Die Einübung in hörendes Schweigen bei verstärkter Lesung des Gotteswortes, Verzicht auf überflüssige eigene Worte, um dem Dialog mit Gott, dem Gebet und dem Dialog mit den Mitmenschen Raum zu geben, das sind Konkretionen dieser geistlichen Reduktion. Es ließen sich noch mehrere aufführen. Diese Konkretionen der geistlichen Reduktion sensibilisieren und öffnen unsere Sinne für das Wort, für den Logos in unserer Wirklichkeit, für den Logos, das Wort Gottes, den Sinn. Wer auf den Logos hört, wer nach dem Logos sucht, der befindet sich bereits im „Dialogos“, im Dialog.

Liebe Schwestern und Brüder,
Einübung in das Stilmittel der Reduktion, der geistlichen Reduktion: Kultur mit ihren Werten braucht solchen Verzicht, lebt vom Verzicht, der wahre Kreativität fördert. Diese Übungen der geistlichen Kunst dienen dazu, in uns die Sehnsucht nach der Liebe zu wecken. Liebe ist Sprache. Liebe ist Hören und selbst Sprechen. Liebe ist, sich angesprochen wissen als Du. Um diese Sprache der Liebe geht es, um dieses Einschwingen in die Sprache der Liebe, die uns dann befähigt, aus der Mittelmäßigkeit unseres Lebens und unserer Lebensdeutung heraus zu treten und das Wagnis einzugehen, mehr von unserem Dasein zu erwarten. Mehr vom Dasein zu erwarten, das Licht der Herrlichkeit Gottes zu schauen. Und mag dieses Licht noch so verborgen, ja noch so gefährdet erscheinen. Das Licht der Herrlichkeit Gottes in unserer Wirklichkeit, in unserem Leben zu schauen. Und das Licht nicht nur zu schauen: Das Aschenkreuz, als Wegmarke auf dem Weg zum Licht, lädt uns ein, selbst in dieser Welt Licht zu sein, zu leuchten als Glut unter der Asche, die neu entfacht werden soll, wenn uns das Kreuz aufgelegt wird.