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Im Wortlaut

Hirtenwort von Bischof Gregor Maria Hanke OSB
zum 1. Adventssonntag 2008

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Liebe Kinder und Jugendliche!

Vor mehr als 60 Jahren ereignete sich in einer der Jurahöhlen unserer bayerischen Heimat ein Drama, das wie durch ein Wunder einen guten Ausgang nahm.

Zwei Mädchen besuchten eine Höhle, von der sie irrtümlich glaubten, es handle sich nur um einen Höhlendurchgang, der am anderen Ende wieder ins Freie führt. Von Höhlenkammer zu Höhlenkammer gingen sie und mussten schließlich mit Schrecken feststellen, sich hoffnungslos im Labyrinth der Gänge verirrt zu haben. Die wenigen Streichhölzer, die sie bei sich hatten, waren schnell abgebrannt. Es gab keinen Ausweg mehr. Umgeben von dunkler Nacht blieb ihnen nur noch die Hoffnung, durch Rufe auf sich aufmerksam zu machen. Aber ihr Schreien verhallte, und wenn sie mit stockendem Herzschlag ihren Atem anhielten, um auf einen menschlichen Laut zu lauschen, hörten sie nichts anderes als das Aufklatschen fallender Wassertropfen. Verzweiflung stieg in den Mädchen auf. Hunger, Kälte und die Feuchtigkeit setzten ihnen zu und führten zu völliger Erschöpfung. Fünf Tage waren sie schon eingeschlossen. Die Höhle schien ihnen zum Höhlengrab zu werden. Sozusagen ein Wunder hat sie im letzten Moment gerettet. Eine Jugendgruppe war in die Höhle eingestiegen und hörte tief im Inneren der Höhle die erschöpft klingenden Hilferufe. Die Jugendlichen riefen laut zurück und versprachen, umgehend Hilfe zu holen.

Der Ruf, das Wort der Jugendlichen hat die Lage der Mädchen gewandelt. Ja, ein Wort kann befreien, kann eine schwierige Lage lösen. Inmitten ihrer Dunkelheit und Ausweglosigkeit durften die beiden Mädchen die Erfahrung vom rettenden, befreienden Wort machen.

Liebe Schwestern und Brüder, das gilt erst recht für Gottes Wort an uns. In die Dunkelheit und Ausweglosigkeit menschlichen Lebens sprach und spricht Gott in Jesus Christus das rettende und befreiende Wort.

Daran erinnert uns dreimal am Tag das Gebet des „Engel des Herrn“, in dem wir sprechen: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“

Mit Maria können wir uns im „Engel des Herrn“, dem Angelusgebet, an die Menschwerdung Gottes „erinnern“, ja dieses Heilsgeheimnis im Gebet vergegenwärtigen, denn niemand von uns Menschen kennt Jesus besser als seine Mutter. So können wir lernen, mit gewandeltem Herzen die Welt und unser eigenes Leben im Licht des Glaubens zu sehen. Uns geht dabei ein Licht auf, mit dem wir auch die Dunkelheiten unseres Lebens sicher durchschreiten können.

Im „Engel des Herrn“ rufen wir uns gläubig in Erinnerung, dass – vereinfacht gesprochen - „alles“, die Schöpfung und die Menschwerdung Gottes, mit der Initiative Gottes, mit dem Wort Gottes, begann. Das einzig rettende und befreiende Wort geht von Gott aus, aber es liegt am Menschen, ob er Antwort gibt. Gott lässt dem Menschen die Freiheit zu entscheiden, ob er bei dieser Initiative mitmacht oder sich dem verschließt. Die Antwort Marias kennen wir und dürfen sie mit Dankbarkeit und Freude für uns erschließen:

„Maria sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“

Maria ist und bleibt „die Magd des Herrn“: Das ist die tragende menschliche Grundhaltung bei all den Titeln ihrer einzigartigen Würde, die ihr zu Recht zukommen, wie „Mutter Gottes“ und „Mutter der Kirche“. Diese Antwort Marias, ihr bedingungsloses Ja zum Willen Gottes, lädt uns ein und kann uns auch helfen, einen Lebensstil zu lernen, der unbedingt Gott und damit Gottes Willen als Zentrum unseres eigenen Lebens haben will. Wir wissen, dass wir eher geneigt sind, den eigen Willen vorzuziehen und lieb gewonnene „Gewohnheiten“ ungern aufgeben. Aber Maria macht uns durch ihre Glaubensentscheidung und ihr Leben Mut, unser Leben in Gottes Hand zu legen, da sie uns garantiert, dass unser Leben und unsere Welt nur dort in besten Händen ruhen. Beten wir daher mit Maria: „Mir geschehe nach deinem Wort“, so wie uns der Herr im Vaterunser gelehrt hat: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“

In diesem Sinne zeigt sich in der Menschwerdung Christi der Wille Gottes als grenzenlose Liebe für uns. Ihm hat Maria durch ihr Ja die Tür zur Welt geöffnet.

Damit Gott auch bei jeder und jedem einzelnen von uns ankommen kann, liegt es an uns, Gott die Tür zu unserem Leben zu öffnen und die Nähe zu unserem Herrn Jesus Christus zu suchen. Nur so wird uns Rettung aus der Dunkelheit zuteil, wächst das Reich Gottes. Oder wie es Papst Benedikt XVI. einmal ausdrückte: „Wo Gottes Wille geschieht, ist Himmel. Das Wesen des Himmels ist das Einssein mit Gottes Willen… Erde wird ‚Himmel’, wenn und soweit Gottes Wille in ihr geschieht, und sie ist bloß ‚Erde’, Gegenpol zum Himmel, wenn und soweit sie sich dem Willen Gottes entzieht. Deswegen bitten wir darum, dass es auf Erden werde wie im Himmel, dass Erde ‚Himmel’ werde.“

Der Advent, den wir heute beginnen, bedeutet wieder eine Chance für uns alle, dem Herrn den Weg zu ebnen. - Bereiten wir uns in dieser Zeit persönlich und gemeinsam vor auf das Weihnachtsfest, auf das unfassbare Wunder der Menschwerdung Gottes, und auf die Ankunft des auferstandenen Christus am Ende aller Zeiten.

Nehmen Sie sich in diesem Sinne vermehrt Zeit:

  • Für das bewusste Beten des „Engel des Herrn“ oder für eine kurze Zeit der Besinnung, wenn Sie das Angelus-Läuten der Kirchenglocken hören;
  • für das tägliche Gebet und das Lesen in der Heiligen Schrift;
  • für das Mitfeiern der Heiligen Messe und Adventsandachten;
  • für die tätige Nächstenliebe, durch Besuche von kranken und einsamen Menschen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.


Bei all dem gilt es für uns immer wieder, das rettende und befreiende Wort in Jesus Christus anzunehmen und weiterzuschenken. Bitten wir Gott mit dem Abschlussgebet des „Engel des Herrn“:

Allmächtiger Gott, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Lass uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen.

Dazu segne Euch, liebe Kinder und Jugendliche, alle Erwachsenen und besonders die Kranken auf die Fürsprache der Gottesmutter der gütige Gott der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.


Eichstätt, den 21. November 2008, dem Gedenktag Unserer Lieben Frau in Jerusalem
Ihr
Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt

© Pressestelle der Diözese Eichstätt