Was ist Gott für Sie?
Gott ist für mich eine große Sehnsucht, ein Gegenüber und Gesprächspartner im täglichen Gebet; zugleich aber auch das Mysterium der Liebe und des Lebens, dem ich mich verdanke und in dem ich lebe, das sich mir aber entzieht, sobald ich danach greife und es irgendwie festhalten möchte. Von Gott zu reden und vor allem zu Gott zu reden, konfrontiert mich immer wieder mit mir selbst. So ertappe ich mich oft dabei, um mich selbst zu kreisen. Dann wirken Gebete wie Selbstgespräche oder leere Formeln. In solchen Situationen erscheint mir Gott fern, unwirklich; dann fühle ich mich zugleich auch von mir und dem Leben abgeschnitten und entfremdet. Das kann aber plötzlich wieder umschlagen und das Gebet wird zur Zwiesprache: ich spüre die Nähe Gottes, Worte oder Zeichen treffen mitten ins Herz, das Gebet fließt, ich fühle mich verbunden und in Kontakt – zu Gott, zur Welt, zum Hier und Jetzt, zu Mitmenschen, zu mir selbst. Oder ich kann mich fallen lassen in die umfassende Wirklichkeit Gottes hinein, vertrauen, loslassen, „sterben“. Wieder andere Male steht das Bittgebet im Vordergrund oder der Kampf, angesichts von himmelschreiendem Unrecht, der Verstrickung in Bösem, der Erfahrung von Leid. Es ist deshalb sehr schwer, die Frage zu beantworten, was Gott für mich ist: Gottes lebendige Wirklichkeit ist zu nah und umfassend, um sie greifen zu können. Und sie ist zu dynamisch, zu sehr in Bewegung, um sie in Worten festzuschreiben. Sie ereignet sich „zwischen den Zeilen“. Wo ich ganz ins Leben eintauche, wo ich in der Liebe bin, im Engagement für andere aufgehe oder im Kampf gegen Ungerechtigkeit, da ist mir Gottes Wirklichkeit gewiss wie dem Fisch das Wasser, das ihn umgibt. Und in der Liturgie, im Gottesdienst, in der Eucharistie, aber auch im staunenden Innehalten vor der Schönheit einer Landschaft, eines Augenblicks, da kann mir das bewusstwerden: Da kann es in Dank, in Lob, in umfassender Liebe eine Resonanz und Ruhe finden, die alles erfüllt. Solche Momente sind selten, oft überlagert von Starrem und Äußerlichem, aber wo sie Raum finden, sind sie unendlich kostbar.
„Glauben an Gott hat für mich mit Mut zu tun“
„Es ist riskant und umstritten, von Gott zu sprechen“, haben Sie einmal geschrieben. Warum?
Der Grund ist vor allem, dass sich Gott nicht einfach mit Auffassungen vom Glauben, mit Gottesbildern und Projektionen identifizieren lässt: Solange wir auf dieser Ebene von Gott sprechen, haben wir es nur noch einmal mit uns selbst zu tun. Dann können wir uns einen nützlichen Gott als Wunscherfüller und Lebenskrisenbewältiger erschaffen, einen Lückenbüßer-Gott als Antwort auf unbeantwortete Fragen oder einen „Lebensversicherungsgott“, der die Sicherheit vermittelt, dass es irgendwie weitergeht mit den eigenen Plänen. Religion kann dann der „Kontingenzbewältigung“ und der Stabilisierung des Bestehenden dienen, über die Endlichkeit, Zufälligkeit und Unwägbarkeiten des Lebens hinwegtrösten.
Wenn es aber um den lebendigen Gott, um die Wirklichkeit Gottes geht, sind wir mit etwas konfrontiert, das wir nicht beherrschen, manipulieren oder kontrollieren können. Da wird es riskant und gefährlich, weil es mit dem ganz Anderen konfrontiert und es dabei zugleich um die tiefste Mitte des Eigenen geht. Der biblische Gott lässt Abraham aus dem Gewohnten aufbrechen in die Fremde – Glaubende sind Pilger und Migranten, deren Land der Verheißung vor ihnen liegt. Gott führt Israel aus dem Sklavenhaus und den Fleischtöpfen Ägyptens in ein Land, das Zukunft und ein Leben in Gerechtigkeit verspricht, auch wenn der Weg durch die Wüste führt und das Land vielleicht nie erreicht wird. Das ist keine Religion des Status quo. Es ist ein Glaube, der Herrschaft in Frage stellt und die Götzen der Macht von ihrem Thron stürzt. Jesus ruft in eine Nachfolge, die sich am Reich Gottes ausrichtet und unter dem Zeichen von Kreuz und Auferstehung steht. Paulus kann im Glauben an den auferstandenen Gekreuzigten die Gestalt und die Herrschaftsverhältnisse dieser Welt radikal relativieren.
Glauben ist für mich daher weniger Kontingenzbewältigung als Kontingenzeröffnung: Die Welt kann anders werden und diese Veränderung ist schon im Kommen, sie kann mich ergreifen und verwandeln. Ich kann zum Ort dieser Veränderung werden. Die Zukunft ist nicht einfach Verlängerung der Gegenwart, sondern Advent: das Ausstrecken nach einem Neuen, das schon im Kommen ist, in der Hoffnung, dass Gottes Liebe und Gerechtigkeit die Mächte und Gewalten überwindet, die unsere Welt beherrschen. Glauben an Gott hat für mich deshalb mit Mut zu tun: Er bedeutet, umzukehren, aufzubrechen, immer wieder neu anzufangen, aktiv an einer besseren Zukunft zu bauen. Zugleich konfrontiert dieser Glaube mit der ständigen Gefahr, diesen Gott mit eigenen Bildern und Idolen zu verwechseln. Deshalb kann ich nur (selbst-)kritisch an Gott glauben, im „Unterscheiden der Geister“, um den Heiligen Geist nicht mit verinnerlichten Stimmen oder vermuteten Erwartungen anderer zu verwechseln, auch nicht mit dem „eigenen Vogel“.