In Ihrem Beitrag schildern Sie, wie sich die Eichstätter Volkszeitung, die zunächst etwa NS-kritische Texte von Pater Ingbert Naab veröffentlichte, später dem nationalsozialistischen Regime anpasste. War ein solcher Wandel in der Lokalpresse der Zeit üblich?
Die Eichstätter Volkszeitung trat in der Weimarer Republik für ein möglichst breites Spektrum bayerische Eigenverantwortlichkeit ein, zum Teil war sie auch noch monarchistisch. Extremismus wurde grundsätzlich in jeder Form verurteilt und daher auch der Nationalsozialismus abgelehnt.
Offene Kritik an den Nationalsozialisten konnte durch eine Reihe von Erlassen und Gesetzen, die nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler verabschiedete wurden, bald nicht mehr geübt werden ohne dass mit Repressalien zu rechnen war. Durch Camouflage wurde von der Eichstätter Volkszeitung zunächst versucht, noch indirekt Botschaften gegen die neuen Machthaber zu schreiben. Dies geschah unter anderem durch die Betonung des christlichen Glaubens. Beispielsweise fiel Hitlers Geburtstag im Jahr 1935 auf den Karsamstag. Zu diesem Anlass schrieb das Blatt, Ostern sei „der größte Sieg der Welt“ und künde vom „Wert der Werte“. Das „Fest der Auferstehung“ beweise, „nicht die Mächte des Geldes oder der Waffen oder des Ansehens, sondern die Kraft des Geistes, der göttliche Geist siege“. (EV, 20.04.1935) Diese Form der indirekten Distanzierung kam in der nicht unmittelbaren zur NSDAP gehörenden Presse in Deutschland öfter vor, war aber nicht die Regel. Doch im Laufe der Zeit übernahm auch die Eichstätter Volkszeitung einen großen Teil der NS-Propaganda und verschleierte Botschaften kamen kaum noch vor. Erstaunlicherweise wurde die Zeitung dann 1936 „wegen mangelnder Zuverlässigkeit“ trotzdem verboten, ob wohl die „Gleichschaltung“ weitgehend erfolgt war. So erging es auch der Zeitung in Hilpoltstein.
Wie wurde die Rolle der vormaligen NSDAP-Funktionäre Eichstätts in der Presse nach 1945 gesehen?
Die Eichstätter Lokalpresse hat nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder die juristische Verfolgung von vormaligen Nationalsozialisten sogar verurteil, weil sie als überzogen gesehen wurde. Diese Maßnahmen der amerikanischen Besatzer setzte der Eichstätter Kurier gleich mit der Verfolgung von Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten im Jahr 1933. Auch die folgenden Gerichtsverhandlungen bei der Entnazifizierung lehnte das Blatt ab. Stattdessen wurde Bischof Michael Rackl zum Vorbild erklärt, weil er nach dem Krieg durch „seine Großmütigkeit den Kämpfern wie den Mitläufern des Nationalsozialismus half“ (EK, 24./25.04.1965). Sprich, es galt in Eichstätt nicht als positiv, sich der Vergangenheit zu stellen, sondern es galt als vorbildlich, diese hinter sich zu lassen.
Wie kann Erinnerungskultur in Generationen funktionieren, die den Krieg nicht erlebt haben und auch keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr persönlich kennenlernen können?
Hier beschreiben Sie einen Umstand, der uns tatsächlich in der Gegenwart beschäftigt. Es kann sich kaum mehr jemand persönlich „erinnern“. Meist werden in der Presse Äußerungen von Menschen abgedruckt, die 1945 im Kindesalter waren und nur fragmentarisch berichten können. Wir Menschen von heute können nur mehr in erster Linie „gedenken“. Tatsächlich ist meiner Meinung nach eine Grundlage für eine sinnvolle Erinnerungskultur die wissenschaftliche Aufarbeitung. Somit ist nicht nur zu klären, wie die Menschen von heute die Bombenangriffe in Erinnerung haben, sondern was die Eltern der Zeitzeugen einst dazu beitrugen, dass die Bomben vom Himmel geworfen wurden.
Die durch die Geschichtswissenschaft dabei zutage geförderten Ergebnisse sollten dann aber nicht in einem „Elfenbeinturm“ bleiben, sondern der Bevölkerung vermittelt werden. Hierbei ist die Unterstützung durch die Politik wichtig. Leider erlebe ich in der Regel das Gegenteil. Politikerinnen und Politiker lehnen Ergebnisse oft ab, weil sie ihnen schlicht nicht passen. Ein unschönes Beispiel durfte ich im vergangenen Jahr bei der Diskussion um Generalleutnant Paul Winter in meiner Heimatstadt Neuburg an der Donau erleben. Die Verstrickungen von Paul Winter als rechte Hand von Wilhelm Keitel in die Kriegsverbrechen war sehr tief. Doch in Neuburg wollen sich viele Menschen nur an den Komponisten Paul Winter erinnern, der den Steckenreitertanz schrieb, der noch heute alle zwei Jahre auf dem „Schlossfest“ aufgeführt wird. Daher lehnte der Stadtrat auch die Umbenennung der Paul-Winter-Straße mit knapper Mehrheit ab.
So kann Erinnerungskultur nicht konstruktiv gestaltet werden. Es braucht ein breites Bündnis von Politik und Gesellschaft. Dabei ist der behutsame Dialog mit der Bevölkerung sehr wichtig, da sich heute viele Menschen in Deutschland von der Intensität des Gedenkens an die NS-Zeit überfrachtet fühlen. Solche Menschen sind aber nicht genuin Feinde der Demokratie, es wäre ungut, diese Leute für ihre Reserviertheit gleich zu verurteilen. Es braucht eine Sensibilisierung, dies kann durch Ausstellungen, Diskussionsrunden und schon auch im Kindes- und Jugendalter durch den Schulunterricht geschehen.
Welchen Beitrag könnte die Kirche für eine zeitgemäße Erinnerung an den Holocaust leisten?
Aus meiner eigenen Erfahrung muss ich sagen, dass ich als wichtigstes Instrument der Kirche hinsichtlich der Aufarbeitung bis heute immer noch den Religionsunterricht sehe. Im eigentlichen Geschichtsunterricht ist in meiner Schulzeit aufgrund von zeitlichen Engpässen der Holocaust nur angeschnitten worden. Hingegen im Religionsunterricht habe ich davon in der 4., 6. und 9. Jahrgangsstufe gehört. Ich kann mich erinnern, wie mein Religionslehrer in der 6. Klasse mit uns die Ermordung der Juden über Wochen besprochen und uns einen Film über Pater Maximilian Kolbe gezeigt hat. Das hat uns geprägt für das Leben. Der Religionslehrer hat immer wieder betont: Leute, ihr müsst bedenken, das ist nicht irgendwo in einem weit entfernten Land vor langer Zeit passiert, sondern hier bei uns in Deutschland als eure Großeltern so alt waren wie ihr jetzt. Er hat, wie mir auch in Erinnerung geblieben ist, das Verhältnis der Einwohnerzahl Neuburgs zu den ermordeten Juden gezeigt: Über 200 Mal so viel Menschen sind ermordet worden, wie in Neuburg leben. Das alles hat uns Kinder dann sehr beschäftigt. Das ist aber auch schon alles sehr lange her, heute geschieht wohl an Schulen ohnehin mehr Aufklärungsarbeit.
Unlängst hat mich ein Pfarrer kontaktiert und um Rat gebeten, da er an der Maria-Ward-Realschule in Neuburg an der Donau die Biographien von verfolgten Menschen in der Region mit Schülerinnen aufarbeiten möchte. Dieser Pfarrer hat für mich eine ganze Reihe von Sachen richtig gemacht. Zum einen stellt er sich überhaupt dem Thema, zum anderen macht er dies nicht nur über den regulären Unterricht, sondern über Projektarbeit jenseits des Klassenzimmers. Darüber hinaus sucht er Kontakt mit Wissenschaftlern, um sich Rat zu holen und die Ergebnisse auch überprüfen zu lassen. Somit kann er junge Menschen bereits für das Thema Nationalsozialismus sensibilisieren. Tatsächlich denke ich, dass man Menschen nie besser und nachhaltiger erreichen kann, als in den Jugendjahren.
Natürlich kann man nie vorhersehen, wie erfolgreich man die Menschen wirklich erreicht. Denn wenn Menschen um ihren Besitz fürchten, beziehungsweise jemand ihnen vormacht, dass ihnen jemand ihren Besitz wegnehmen möchte, werden sie leider oft rücksichtslos. Auch dies zeigt die Geschichte des Nationalsozialismus.
Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann