Zum Inhalt springen
08.05.2025

Eichstätt im Nationalsozialismus: Zwischen Widerstand und Mitläufertum

Fronleichnamsprozession 1933 am Eichstätter Marktplatz. Foto: UBEI, Stigler-Album Nr. 11

„Annährungsversuche“: Nationalsozialisten mit Hakenkreuzfahne bei der Fronleichnamsprozession 1933 am Eichstätter Marktplatz. Foto: UBEI, Stigler-Album Nr. 11

Eichstätt – Sie wurden von Menschen aus ihrer Mitte frühzeitig gewarnt, doch das hinderte viele – wenn nicht sogar die meisten – Eichstätter Katholikinnen und Katholiken nicht daran, mit dem NS-Regime „mitzugehen“. Daran möchte man sich auch 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur ungern erinnern, sagt der Historiker Tobias Hirschmüller, einer der Autoren des Buches „Eichstätt im Nationalsozialismus – Katholisches Milieu und Volksgemeinschaft“.

Die Bilder in dem Buch, das 2024 in überarbeiteter und erweiterter Fassung erschienen ist, sind schwarz-weiß. Die Geschichte, die sie erzählen, hat jedoch viele Schattierungen. Manche Fotos sind verblasst – ein Schicksal, das angesichts der immer weniger werdenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch den Erinnerungen an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte droht. Umso wichtiger ist es, dass jüngere Generationen – wie die Historikerinnen und Historiker in diesem Buch – sich des Themas annehmen.

Einer von ihnen, Tobias Hirschmüller, studierte Soziale Arbeit sowie Neuere und Neueste Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte und KU-Lehrbeauftragter mit den Schwerpunkten bayerische Landesgeschichte sowie deutsche Außenpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Danach folgten eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Kulturportal „bavarikon“ der Bayerischen Staatsbibliothek sowie die Mitarbeit im EU-Projekt „Weiblicher Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und Frankreich“ am Haus der Frauengeschichte in Bonn. Seit 2024 ist er am Forschungszentrum Europa der Universität Trier tätig. Zum Buch Eichstätt im Nationalsozialismus hat er die Beiträge „Presse und Hitler-Kult“ sowie „Erinnerungskulturen“ beigesteuert.

Herr Hirschmüller, im Buch wird festgestellt, dass die NS-Vergangenheit im kulturellen Gedächtnis der Stadt Eichstätt kaum eine Rolle spielt. Wie erklären Sie sich das?

Tobias Hirschmüller: Einer der Hauptgründe hiervon dürfte wohl sein, dass in Eichstätt immer noch gerne die Legende aufrechterhalten wird, das in der kleinen, durch den Katholizismus geprägten Stadt im Altmühltal der Nationalsozialismus ohnehin nie richtig Fuß fassen konnte, sondern nach der „Machtergreifung“ von außen aufoktroyiert worden sei. Ich kann mich an eine Informationsveranstaltung in Eichstätt im Jahr 2014 erinnern, als wir unser geplantes Projekt über Eichstätt im Nationalsozialismus öffentlich vorgestellt haben. Damals sprang ein Eichstätter Bürger, der vom Alter her wohl definitiv lange nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, vom Stuhl auf und meinte, er glaube niemals, dass ein Eichstätter einem Juden etwas angetan habe. Sowas würden Eichstätter doch nicht tun, behauptete er. Das seien alles evangelische Weißenburger und Ingolstädter gewesen, die sich als Nationalsozialisten in Eichstätt aufgeführt hätten. Aus Sicht vieler Eichstätter gibt es also gar keine wirkliche Geschichte des Nationalsozialismus, an die man erinnern könnte.

In Eichstätt sieht man sich bis heute als einen Hort des katholischen Widerstandes. Das ist zum Teil richtig, es ist aber eben nur ein Teil der Geschichte. Es gab tatsächlich während der Weimarer Republik nur geringe Aktivitäten der NSDAP in der Bischofsstadt. Doch bereits wenige Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler konnte der Nationalsozialismus auch in Eichstätt Fuß fassen. Denn ein nicht geringer Teil der Bevölkerung versuchte sich sehr schnell mit den neuen Verhältnissen einzurichten und davon auch zu profitieren.

Diesem Umstand stellt man sich in Eichstätt in Politik und Gesellschaft ungern. Natürlich gab es auch kirchlichen Widerstand, aber eben nicht nur. So hat auch unser Buch manches festgefahrene Weltbild gestört. Ich kann mich an einen unschönen Artikel im Eichstätter Kurier erinnern. Der Redakteur Marco Schneider hat uns vorgeworfen, unser Buch habe „bedauerlich“ einen „Beigeschmack“. Wir würden die Rolle Eichstätts als Ort des Widerstands absichtlich ausblenden. Zitat: „Bisweilen macht das Buch zwischen den Zeilen den Eindruck, als würde man auf die Suche gehen danach, dass in Eichstätt gar nicht der Hort des Widerstands existierte, der immer propagiert wird. Es mag nicht von vorneherein das Ansinnen des hervorragend zu lesenden Buches sein – aber der Eindruck manifestiert sich, je weiter man liest. Man wird am Ende den Eindruck nicht los, als wollte man bewusst verschiedene Aspekte ausblenden.“ (EK, 28./29.09.2024)

Das haben wir nicht getan – nur war eben nicht alles Widerstand, was in Eichstätt dafür gehalten wird. Ein Beispiel ist auch der Vorfall der Hinrichtung zweier Männer kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner. In den meisten Fällen wird in Eichstätt davon ausgegangen, dass die beiden Männer deswegen erhängt wurden, weil sie die Sprengung der Spitalbrücke verhindern wollten. Dies gilt als ein Akt des Eichstätter Widerstands. Es wird dabei aber nicht berücksichtigt, dass einer der beiden Täter zum einen aus Saarbrücken und zum anderen Mitglied der SS war. Bis heute konnten die Gründe der Hinrichtung beider Männer nicht wirklich abschließend geklärt werden. Aber in Eichstätt hält man die Geschichte weiterhin aufrecht als Beleg für den Widerstand im Altmühltal.

In Ihrem Beitrag schildern Sie, wie sich die Eichstätter Volkszeitung, die zunächst etwa NS-kritische Texte von Pater Ingbert Naab veröffentlichte, später dem nationalsozialistischen Regime anpasste. War ein solcher Wandel in der Lokalpresse der Zeit üblich?

Die Eichstätter Volkszeitung trat in der Weimarer Republik für ein möglichst breites Spektrum bayerische Eigenverantwortlichkeit ein, zum Teil war sie auch noch monarchistisch. Extremismus wurde grundsätzlich in jeder Form verurteilt und daher auch der Nationalsozialismus abgelehnt.

Offene Kritik an den Nationalsozialisten konnte durch eine Reihe von Erlassen und Gesetzen, die nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler verabschiedete wurden, bald nicht mehr geübt werden ohne dass mit Repressalien zu rechnen war. Durch Camouflage wurde von der Eichstätter Volkszeitung zunächst versucht, noch indirekt Botschaften gegen die neuen Machthaber zu schreiben. Dies geschah unter anderem durch die Betonung des christlichen Glaubens. Beispielsweise fiel Hitlers Geburtstag im Jahr 1935 auf den Karsamstag. Zu diesem Anlass schrieb das Blatt, Ostern sei „der größte Sieg der Welt“ und künde vom „Wert der Werte“. Das „Fest der Auferstehung“ beweise, „nicht die Mächte des Geldes oder der Waffen oder des Ansehens, sondern die Kraft des Geistes, der göttliche Geist siege“. (EV, 20.04.1935) Diese Form der indirekten Distanzierung kam in der nicht unmittelbaren zur NSDAP gehörenden Presse in Deutschland öfter vor, war aber nicht die Regel. Doch im Laufe der Zeit übernahm auch die Eichstätter Volkszeitung einen großen Teil der NS-Propaganda und verschleierte Botschaften kamen kaum noch vor. Erstaunlicherweise wurde die Zeitung dann 1936 „wegen mangelnder Zuverlässigkeit“ trotzdem verboten, ob wohl die „Gleichschaltung“ weitgehend erfolgt war. So erging es auch der Zeitung in Hilpoltstein.

Wie wurde die Rolle der vormaligen NSDAP-Funktionäre Eichstätts in der Presse nach 1945 gesehen?

Die Eichstätter Lokalpresse hat nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder die juristische Verfolgung von vormaligen Nationalsozialisten sogar verurteil, weil sie als überzogen gesehen wurde. Diese Maßnahmen der amerikanischen Besatzer setzte der Eichstätter Kurier gleich mit der Verfolgung von Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten im Jahr 1933. Auch die folgenden Gerichtsverhandlungen bei der Entnazifizierung lehnte das Blatt ab. Stattdessen wurde Bischof Michael Rackl zum Vorbild erklärt, weil er nach dem Krieg durch „seine Großmütigkeit den Kämpfern wie den Mitläufern des Nationalsozialismus half“ (EK, 24./25.04.1965). Sprich, es galt in Eichstätt nicht als positiv, sich der Vergangenheit zu stellen, sondern es galt als vorbildlich, diese hinter sich zu lassen.

Wie kann Erinnerungskultur in Generationen funktionieren, die den Krieg nicht erlebt haben und auch keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr persönlich kennenlernen können?

Hier beschreiben Sie einen Umstand, der uns tatsächlich in der Gegenwart beschäftigt. Es kann sich kaum mehr jemand persönlich „erinnern“. Meist werden in der Presse Äußerungen von Menschen abgedruckt, die 1945 im Kindesalter waren und nur fragmentarisch berichten können. Wir Menschen von heute können nur mehr in erster Linie „gedenken“. Tatsächlich ist meiner Meinung nach eine Grundlage für eine sinnvolle Erinnerungskultur die wissenschaftliche Aufarbeitung. Somit ist nicht nur zu klären, wie die Menschen von heute die Bombenangriffe in Erinnerung haben, sondern was die Eltern der Zeitzeugen einst dazu beitrugen, dass die Bomben vom Himmel geworfen wurden.

Die durch die Geschichtswissenschaft dabei zutage geförderten Ergebnisse sollten dann aber nicht in einem „Elfenbeinturm“ bleiben, sondern der Bevölkerung vermittelt werden. Hierbei ist die Unterstützung durch die Politik wichtig. Leider erlebe ich in der Regel das Gegenteil. Politikerinnen und Politiker lehnen Ergebnisse oft ab, weil sie ihnen schlicht nicht passen. Ein unschönes Beispiel durfte ich im vergangenen Jahr bei der Diskussion um Generalleutnant Paul Winter in meiner Heimatstadt Neuburg an der Donau erleben. Die Verstrickungen von Paul Winter als rechte Hand von Wilhelm Keitel in die Kriegsverbrechen war sehr tief. Doch in Neuburg wollen sich viele Menschen nur an den Komponisten Paul Winter erinnern, der den Steckenreitertanz schrieb, der noch heute alle zwei Jahre auf dem „Schlossfest“ aufgeführt wird. Daher lehnte der Stadtrat auch die Umbenennung der Paul-Winter-Straße mit knapper Mehrheit ab.

So kann Erinnerungskultur nicht konstruktiv gestaltet werden. Es braucht ein breites Bündnis von Politik und Gesellschaft. Dabei ist der behutsame Dialog mit der Bevölkerung sehr wichtig, da sich heute viele Menschen in Deutschland von der Intensität des Gedenkens an die NS-Zeit überfrachtet fühlen. Solche Menschen sind aber nicht genuin Feinde der Demokratie, es wäre ungut, diese Leute für ihre Reserviertheit gleich zu verurteilen. Es braucht eine Sensibilisierung, dies kann durch Ausstellungen, Diskussionsrunden und schon auch im Kindes- und Jugendalter durch den Schulunterricht geschehen.

Welchen Beitrag könnte die Kirche für eine zeitgemäße Erinnerung an den Holocaust leisten?

Aus meiner eigenen Erfahrung muss ich sagen, dass ich als wichtigstes Instrument der Kirche hinsichtlich der Aufarbeitung bis heute immer noch den Religionsunterricht sehe. Im eigentlichen Geschichtsunterricht ist in meiner Schulzeit aufgrund von zeitlichen Engpässen der Holocaust nur angeschnitten worden. Hingegen im Religionsunterricht habe ich davon in der 4., 6. und 9. Jahrgangsstufe gehört. Ich kann mich erinnern, wie mein Religionslehrer in der 6. Klasse mit uns die Ermordung der Juden über Wochen besprochen und uns einen Film über Pater Maximilian Kolbe gezeigt hat. Das hat uns geprägt für das Leben. Der Religionslehrer hat immer wieder betont: Leute, ihr müsst bedenken, das ist nicht irgendwo in einem weit entfernten Land vor langer Zeit passiert, sondern hier bei uns in Deutschland als eure Großeltern so alt waren wie ihr jetzt. Er hat, wie mir auch in Erinnerung geblieben ist, das Verhältnis der Einwohnerzahl Neuburgs zu den ermordeten Juden gezeigt: Über 200 Mal so viel Menschen sind ermordet worden, wie in Neuburg leben. Das alles hat uns Kinder dann sehr beschäftigt. Das ist aber auch schon alles sehr lange her, heute geschieht wohl an Schulen ohnehin mehr Aufklärungsarbeit.

Unlängst hat mich ein Pfarrer kontaktiert und um Rat gebeten, da er an der Maria-Ward-Realschule in Neuburg an der Donau die Biographien von verfolgten Menschen in der Region mit Schülerinnen aufarbeiten möchte. Dieser Pfarrer hat für mich eine ganze Reihe von Sachen richtig gemacht. Zum einen stellt er sich überhaupt dem Thema, zum anderen macht er dies nicht nur über den regulären Unterricht, sondern über Projektarbeit jenseits des Klassenzimmers. Darüber hinaus sucht er Kontakt mit Wissenschaftlern, um sich Rat zu holen und die Ergebnisse auch überprüfen zu lassen. Somit kann er junge Menschen bereits für das Thema Nationalsozialismus sensibilisieren. Tatsächlich denke ich, dass man Menschen nie besser und nachhaltiger erreichen kann, als in den Jugendjahren.

Natürlich kann man nie vorhersehen, wie erfolgreich man die Menschen wirklich erreicht. Denn wenn Menschen um ihren Besitz fürchten, beziehungsweise jemand ihnen vormacht, dass ihnen jemand ihren Besitz wegnehmen möchte, werden sie leider oft rücksichtslos. Auch dies zeigt die Geschichte des Nationalsozialismus.

Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann

Katholisch und nationalsozialistisch: Beides zugleich unmöglich?

„Es ist ganz klar, dass ein Katholik nie Anhänger der Hitlerbewegung sein kann und überhaupt der sogenannten deutsch-völkischen Bewegung vollständig ablehnend gegenüberstehen muss.“ Mit diesen klaren Worten warnte der Kapuzinerpater Ingbert Naab (1885–1935) bereits nach dem Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 davor, dass die Rassenlehre und die Prinzipien des Nationalsozialismus mit dem Christentum und allgemeinen ethischen Werten unvereinbar seien. Der aus Dahn, Rheinland-Pfalz stammende Geistliche fand in Eichstätt, wo er mit Unterbrechung zwei Jahrzehnte lang wirkte, Mitstreiter für den Widerstandskampf, den er bis zu seinem frühen Tod führte. Dazu zählten vor allem Mitglieder des sogenannten „Eichstätter Kreises“, wie der Münchner Journalist Fritz Gerlich (am 1. Juli 1934 im KZ Dachau ermordet), die Äbtissin von St. Walburg, Maria Benedicta von Spiegel, die Theologieprofessoren Franz Xaver Wutz und Joseph Lechner sowie die stigmatisierte Mystikerin Therese Neumann von Konnersreuth. Auch die Bischöfe Konrad Graf von Preysing und Michael Rackl sahen die ideologischen Unvereinbarkeiten der NSDAP mit der Kirche. Wegen der Ausweisung des Dompfarrers Johannes Kraus sagte Rackl bei einer Predigt im Jahr 1936 im Dom: „Jeder Katholik muss sich entscheiden, ob er seine Kirche treu sein oder ein Nationalsozialist sein will. Beides zugleich ist unmöglich“.

In der beschaulichen Bischofsstadt, in der damals über 90 Prozent der Bevölkerung katholisch waren, dürften solche Klarstellungen der angesehenen Geistlichkeit verhältnismäßig viele Menschen erreicht haben. Doch haben sie dadurch ihre Haltung zum Nationalsozialismus grundlegend geändert? Nur bedingt – so der Eindruck, der bei der Lektüre des Buches Eichstätt im Nationalsozialismus – Katholisches Milieu und Volksgemeinschaft entsteht. „Trotz aller Milieustabilität vollzog sich die ‚Nazifizierung‘ der Stadtgesellschaft nach dem 30. Januar 1933 relativ unkompliziert und zügig“, schreiben Christiane Hoth de Olano und Teresa Knöferl in ihrem Beitrag „Die Machtergreifung“.

Entstanden ist das Buch als studentisches Projekt. Es enthält im Wesentlichen die Ergebnisse von Qualifikationsarbeiten, die in den Jahren 2013 bis 2016 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt verfasst wurden. Gegenüber der Erstveröffentlichung von 2017 kamen in der zweiten Auflage von 2024 drei Expertenbeiträge hinzu: die Abhandlungen von Tobias Hirschmüller über „Erinnerungskulturen“ und „Presse und Hitler-Kult“ sowie ein Beitrag von Julia Devlin über das Eichstätter Lager der „Displaced Persons“. Von 1946 bis 1949 lebten nämlich an zwei Standorten in der Stadt – in der Jägerkaserne und in der früheren Landwirtschaftsschule in Rebdorf – zwischen 760 und 1.347 Menschen, größtenteils Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die vor allem aus dem Baltikum vor dem Krieg geflohen waren. Diese Camps gerieten nach ihrer Auflösung schnell in Vergessenheit. Devlin ruft sie wieder in Erinnerung und beschreibt das Verhältnis der katholischen Mehrheitsgesellschaft zu den „Displaced Persons“.

Lisa Margraf veranschaulicht in ihrem Beitrag „Hitlerjugend (HJ) und Bund Deutscher Mädel (BDM)“, welche Anziehungskraft die nationalsozialistischen Jugendorganisationen auf junge Katholikinnen und Katholiken ausübten. In einem zweiten Text richtet Margraf den Blick auf das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit in Eichstätt. Sorgsame Differenzierungen erfordert der Blick auf das Schicksal der jüdischen Bevölkerung, wie Veronika Vollmer zeigt. 1933 lebten nur noch 27 Jüdinnen und Juden in Eichstätt, 1939 verließ die letzte jüdische Familie die Stadt. Nach Angaben der Autorin wurden mindestens 17 Jüdinnen und Juden aus Eichstätt Opfer des Holocaust.

Dezidiert gegen Schwarz-Weiß-Zeichnungen wendet sich Markus Raasch, der zusammen mit Christiane Hoth de Olano das Buch herausgegeben hat. Er hat das Verhältnis von Kirche und Mehrheitsbevölkerung untersucht und zeigt, dass es vielfältige Motive und Formen des Widerstands gegenüber dem Nationalsozialismus gab – aber ebenso zahlreiche Arten der Anpassung, die bis zu einem ausgeprägten Denunziantenwesen reichten. „Die Bereitschaft, sich zur Wehr zu setzten, sank mit Fortdauer der nationalsozialistischen Herrschaft, erst recht nach Kriegsbeginn. Der Unmut über abweichendes Verhalten stieg nicht zuletzt auch innerhalb des Klerus“, schreibt Raasch.

Das Hauptinteresse des Buches, das stellen die Herausgeber in ihrer Einleitung klar, gilt der Frage, „was der Nationalsozialismus mit Katholikinnen und Katholiken ‚machte‘ bzw. wie Katholikinnen und Katholiken Nationalsozialismus ‚machten‘.“ Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, werteten die Autorinnen und Autoren umfangreiches Quellenmaterial aus, durchleuchteten katholische Milieustrukturen und analysierten Aussagen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Sie kommen unter anderem zu der Feststellung: „Auch für Eichstätt lässt sich von einer partizipativen Diktatur sprechen, zu der die Mitglieder der Volksgemeinschaft gern auch ihren Anteil beitrugen, wenn sie formal keine ‚Nazis‘ waren. Diese Einsicht mag banal anmuten. Wichtig ist sie gleichwohl, weil sie konträr zu vielen steht, was über Katholizismus und Nationalsozialismus im Allgemein und über das ‚schwarze‘ Eichstätt erzählt worden ist und bisweilen bis heute erzählt wird.“

Das sehr lesenswerte Buch erhebt nicht den Anspruch, alle Fragen zu diesem Themenkomplex endgültig zu beantworten. Vielmehr verstehen die Herausgeber es als Appell zu weiterer Forschung. Unausgesprochen richtet es an jede Leserin, jeden Leser – auch an künftige Generationen – die Frage: Wie hätte ich mich in jener Situation verhalten? Oder in die Gegenwart übersetzt: Wie verhalte ich mich heute gegenüber dem wachsenden Rechtsextremismus? Darüber nachzudenken und die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, ist wichtiger denn je – damit „Nie wieder“ nicht bloß ein frommer Wunsch bleibt.

Text: Geraldo Hoffmann

Weitere Meldungen

Die Stabsstelle Medien und Öffentlichkeitsarbeit veröffentlicht kontinuierlich aktuelle Nachrichten aus dem Bistum. Zur Übersicht.

Videos

Videos zu Themen aus dem Bistum Eichstätt. Zur Übersicht.

Audios

Audios zu Themen aus dem Bistum Eichstätt. Zur Übersicht.