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27.03.2025

Pater Ingbert Naab: „Hitlers schärfster Kritiker“ in der Kirche

P. Ingbert Naab um das Jahr 1930. Foto: Kapuzinerorden/CC

Kapuzinerpater und Nazi-Gegner P. Ingbert Naab um das Jahr 1930. Foto: Kapuzinerorden/CC

Eichstätt – Vor 140 Jahren wurde der Kapuzinerpater Ingbert Naab geboren. Mit Unterbrechungen lebte und wirkte er über zwei Jahrzehnte in Eichstätt. Früh warnte er vor den Gefahren des Nationalsozialismus und stellte sich Hitler entschlossen entgegen. Am 28. März jährt sich sein Todestag zum 90. Mal. Sein Engagement ist bis heute ein Vorbild.

Geboren wurde er als Karl Borromäus Naab am 5. November 1885 in einer alteingesessenen Bauernfamilie in Dahn, einer Gemeinde mit 1.500 Einwohnern in der Region Pirmasens in Rheinland-Pfalz. Er und seine Geschwister Leonhard, Christian und Anna wurden von ihren frommen Eltern Friedrich und Karolina streng katholisch erzogen. Besonders die Mutter prägte ihn religiös. „Was sie mir an Religion gab, das war mehr, als ich später jemals im Leben empfangen habe“, erzählte er einmal.

Engagierter Jugendseelsorger

Schon als Volksschüler fand Karl mehr Gefallen an Büchern als an der Feldarbeit. Bald legte er sein Berufsziel fest: „Ich werde Priester, solange ich gläubig bin.“ Nach dem Abitur 1905 in Speyer trat er in den Kapuzinerorden im Kloster Laufen ein – als „Frater Ingbert von Dahn“. Die nächste Station auf dem Weg zum Priestertum führte ihn 1906 zum Studium der Theologie in das Kapuzinerkloster nach Eichstätt. „Bei seinen Mitstudenten im Kloster galt er als stiller, zurückhaltender, gefälliger Mitbruder, der nie streitsüchtig oder ehrgeizig war“, schreibt der Historiker Helmut Witetschek in seinem Buch Pater Ingbert Naab – Ein Prophet wider den Zeitgeist (1985).

Am 29. Juni 1910 weihte ihn Bischof Leo von Mergel im Eichstätter Dom zum Priester. In den folgenden Jahren bekleidete er verschiedene Positionen innerhalb des Ordens, darunter die des Lektors der Theologie, des Klerikermagisters und des Guardians in mehreren Städten. Sein seelsorgerischer Schwerpunkt galt der Jugend, besonders Schülern höherer Schulen, was ihm die Bezeichnung „Bubenpater“ einbrachte. Bereits 1913 veröffentlichte er Jugendpredigten und -ansprachen und erreichte damit einen größeren Kreis von Menschen.

Ein Experte für die Beichte

Beichten war zu seiner Zeit offensichtlich hoch im Kurs – auch bei jungen Menschen. So war P. Ingbert auch ein gefragter Beichtvater. Als Seelsorger in der Stadt St. Ingbert in der Saarpfalz soll er in einem Jahr mehr als 23.000 Beichten gehört haben, also durchschnittlich 63 pro Tag. Nach eigenen Angaben ging er auf 27 verschiedene Arten von Beichtenden ein. Die Beichtstuhltätigkeit lehrte er auch angehenden Priestern. Als Lektor der Theologie und Magister der Kleriker war er von 1916 bis 1921 für die geistige und geistliche Ausrichtung des Kapuzinernachwuchses in Eichstätt verantwortlich. „Nicht mit seiner Gelehrsamkeit, sondern mit seinen lebensnahen, konkreten Argumenten und seinem menschlich warmen Einfühlungsvermögen erschloss er sich die Herzen der Hörer“, schreibt Witetschek.

In Eichstätt wirkte P. Ingbert weit über das Kloster hinaus. Im Oktober 1916 wurde er Präses der Eichstätter Studentenkongregation, einer geistlichen Gemeinschaft von Schülern höherer Schulen. Durch Vorträge, Einzelsprechstunden und Exerzitien sprach er auch kirchenferne Menschen an. Nach dem Ersten Weltkrieg galt er bereits als erfahrener Jugendseelsorger und wurde 1921 zum Landespräses der Bayerischen Studentenkongregationen gewählt. Von 1921 bis 1923 war er Direktor des neu errichteten Kapuzinerseminars in Regensburg, anschließend bis 1926 Guardian im Kloster Mariahilf in Passau.

„Das große Zeichen“

In dieser Zeit intensivierte er seine publizistische Tätigkeit mit der Gründung verschiedener Jugendzeitschriften wie Meeresstern, Der Weg, Leuchtturm oder Frohe Fahrt. Er wollte damit mehr Jugendliche erreichen und dazu beitragen, sie zu christlich denkenden Menschen zu erziehen. So warnte er bereits nach dem Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 vor der Rassenlehre und den Prinzipien des Nationalsozialismus, die er als unvereinbar mit dem Christentum und allgemeinen ethischen Werten hielt. Im damals noch kleinen Blatt Das große Zeichen schrieb er: „Es ist ganz klar, dass ein Katholik nie Anhänger der Hitlerbewegung sein kann und überhaupt der sogenannten Deutsch-Völkischen Bewegung vollständig ablehnend gegenüber stehen muss“. Erschreckend ist es, dass die deutschen Bischöfe gut 100 Jahre später, in ihrer Augsburger Erklärung vom 22. Februar 2024 mit verblüffend ähnlicher Wortwahl wieder vor dem wachsenden Rechtsextremismus warnen müssen: „Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.“

1926 kehrte P. Ingbert nach Eichstätt zurück und übernahm erneut die Stelle des Klerikermagisters und Vikars im Kapuzinerkloster. Von 1929 bis 1932 war er Guardian und erster Generalkustos, anschließend bis zu seinem Tod im Jahr 1935 zweiter Generalkustos. Viel Zeit investierte er in die Zeitschrift Der Weg, mit der er mehrere Tausend Jugendliche erreichte. Seine Texte stießen nicht immer auf Zustimmung. „Einigen war seine Pädagogik zu gewagt, sein Erziehungsstil, der auf die Hinterfragung der Lehrinhalte in den Schulen gerichtet war, zu kritisch“, heißt es in Witetscheks Biografie über den Pater.

Für Aufsehen sorgte er spätestens im Februar 1931 mit seinem Beitrag Ist Hitler ein Christ?, der auch in hoher Auflage als Extrabroschüre verbreitet wurde. Darin nahm der Kapuzinerpater Hitlers Mein Kampf auseinander. Bekenntnisse Hitlers und der Nationalsozialisten zum Christentum entlarvte er als bloßes Gerede und als Verbiegung des Christentums zu einer Rassenreligion. Er wies nach, „dass Hitler die Lüge zum Grundsatz seiner Politik machte, dass er deshalb nicht die rationale Einsicht seiner Anhänger, sondern den fanatischen Glauben an seine Ideen forderte, die mit dem Christentum in absolutem Widerspruch standen“ (Witetschek). Zudem machte er deutlich, dass die Umsetzung von Hitlers Plänen zur Abschaffung der Freiheit und zur „absoluten Diktatur“ führen würde.

Fastenpredigten im Dom und Der gerade Weg

Kritik an den Nationalsozialismus äußerte P. Ingbert auch lautstark von der Kanzel. Seine Reihe von Fastenpredigten im Februar und März 1931 im Dom führte zu heftigen Diskussionen in der Eichstätter Bevölkerung und zu Angriffen in der NS-Presse. Man drohte ihm, dass ihn im „Dritten Reich“ ein äußerst scharfes Gericht wegen Verrats am deutschen Volk und Vaterland erwarte. Doch das hielt P. Ingbert nicht davon ab, konsequent bei seiner Haltung zu bleiben.

Wenige Jahre zuvor hatten die außergewöhnlichen Geschehnisse um die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth bei Waldsassen in der Oberpfalz den Eichstätter Pater und den Münchner Journalisten Fritz Gerlich zusammengeführt. Mit der Zeitung Illustrierte Sonntag, die zum Jahreswechsel 1931/32 in Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht umbenannt wurde, leistete Gerlich von 1931 bis zu seiner Festnahme am 9. März 1933 publizistischen Widerstand gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus. P. Ingbert wurde einer der wichtigsten Mitarbeiter Gerlichs und sagte in seinen Texten wiederholt die zukünftige politische Entwicklung mit erschreckender Deutlichkeit voraus.

Offener Brief an Hitler

In der Spätphase der Weimarer Republik, nach der Reichstagswahl am 13. März 1932, bei der die NSDAP mit 30,23 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei wurde, wandte sich P. Ingbert mit einem offenen Brief direkt an Hitler. In diesem Schreiben kritisierte er Hitlers Ideologie scharf und bezeichnete dessen Werk Mein Kampf als „Handbuch der Demagogie“. Mit seiner plakativen Sprache machte er die Folgen deutlich, die Hitlers Politik nach sich ziehen würde. Die Sonntagszeitung Der gerade Weg stellte eine Kurzfassung von Naabs Beobachtungen dem Brief voran: „Wer hat Hitler gewählt? Leute mit antirömischem Affekt. Eine gute Zahl verführter Idealisten. Die Masse der Suggerierten. Die wirtschaftlich Zusammenbrechenden. Die Feiglinge, Stellenjäger, und zukünftigen Parteibuchbeamten. Menschen, die sich ihren Zukunftsverpflichtungen entziehen wollen. Die Revolutionsmenschen. Eine Masse unreifen jungen Volkes. Die Untermenschen des Mordes und die Bedroher der Nebenmenschen.“

Naab ließ Hitler ein Exemplar persönlich zustellen. Fritz Gerlich bezeichnete den Brief als die „größte journalistische Leistung“, die ihm je unter die Augen gekommen sei. Die empörte Parteiführung der NSDAP kaufte die erste Auflage vom 20. März 1932 auf, doch die deutsche Presse druckte den Brief in großer Zahl nach. Innerhalb von acht Tagen wurden 1.250.000 Exemplare als Flugblätter verkauft. Zudem erschien der Aufsatz in über 1.000 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 20 Millionen Exemplaren. Spätestens jetzt war P. Ingbert in ganz Deutschland bekannt. Ihn erreichten Stapel von Briefen – darunter auch zahlreiche Schmäh- und Drohbriefe. Auch in persönlichen Gesprächen schlug ihm Hass entgegen. Doch er setzte seinen Widerstand unerschrocken fort und veröffentlichte zahlreiche Texte zur politischen Lage in Deutschland. Für ihn stand fest: „Es ist eine der schädlichsten Irrlehren: Politik habe mit Religion nichts zu tun.“

Denkschrift aus dem Exil an die deutschen Bischöfe

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 begann eine Zeit der Ungewissheit und Bedrohung. Seinen Freunden gestand P. Ingbert: „Ich weiß ja, dass alles nichts genützt hat. Aber es musste doch gesagt werden, damit man hinterher sich nicht darauf ausreden kann, man wäre auf den Irrtum nicht aufmerksam gemacht worden.“ Nach der Verhaftung von Fritz Gerlich am 9. März 1933 und dem darauffolgenden Verbot von Der gerade Weg sah sich P. Ingbert Naab gezwungen, unter dem Namen „Peregrinus“ (lateinisch für „Wanderer im Glauben“, „Fremdling“) durch die Schweiz, die Tschechoslowakei und Italien zu fliehen. Aus dem Exil im schweizerischen Solothurn richtete er im Juni 1934 eine Denkschrift an die Deutsche Bischofskonferenz, die in Fulda tagte.

Das Manuskript, das Witetschek 1985 erstmals veröffentlichte, trug die Überschrift Der Kampf Hitlers gegen die katholische Kirche. Naab erhoffte sich von der Bischofskonferenz eine machtvolle öffentliche Stellungnahme gegen das NS-Regime. „Noch ist es Zeit“, schrieb er. Witetschek beschreibt es als ein verzweifelter Versuch Naabs, „die Bischöfe zu ermutigen, mit den Gläubigen das christliche Zeugnis gegen alle Gleichschaltungsbestrebungen furchtloser abzulegen“. Die Mahnungen des Kapuzinerpaters wurden nicht als offizielle Vorlage in Fulda behandelt, wohl aber die kritische Situation, in der sich die Kirche befand und eine neue Haltung zum Regime finden musste. Ein geschlossenes Auftreten war offenbar schwierig. Der emeritierte Eichstätter Professor Erich Naab, ein Großneffe von P. Ingbert, erklärt: „Bei den Bischöfen gab es ‚Hitlergegner‘, Gegner der völkischen Gedanken, des Krieges, Beschützer der Juden – und andererseits bloße Vertreter kirchlicher Interessen.“

Die letzte Station von P. Ingbert war ab Dezember 1934 das Kapuzinerkloster Königshofen bei Straßburg, wo er theologische Vorlesungen hielt und predigte. Dort starb er am 28. März 1935 an Leberkrebs und wurde zwei Tage später beerdigt. Am 21. April 1953 wurden seine Überreste nach Eichstätt überführt und mit großer Anteilnahme der Stadtbevölkerung feierlich auf dem Kapuzinerfriedhof bestattet. Sein Einsatz gegen den Nationalsozialismus bleibt ein Beispiel für den mutigen Widerstand einzelner Geistlicher gegen totalitäre Ideologien.

Was das Engagement von P. Ingbert Naab für die Menschen heute bedeutet? Erich Naab hat eine klare Antwort: „Wachet! Nehmt ernst, was die Politikerinnen und Politiker in Wahlkampfreden behaupten, es sind keine symbolischen Aussagen. Es gibt keine alternativen Wahrheiten, auch wenn wir die ‚ganze Wahrheit‘ und nichts als die Wahrheit nicht kennen. Es mag verschiedene Deutungen geben, aber die Würde des Menschen ist unverletzbar. Auch die Würde der Geflüchteten, der von menschlichen Mächten oder Naturgewalten Bedrohten. Angst zu verbreiten gilt nicht!“

Text: Geraldo Hoffmann

Stolpersteine: SWR-Sendung zu P. Ingbert Naab (Audio, 2014)

Pater-Ingbert-Naab-Jubiläumsjahr in Dahn

In Dahn veranstaltet die Stadt zusammen mit der Pfarrei, der Familie Naab, der Kolpingsfamilie, dem Verein Landjudentum im Wasgau, dem Otfried-von-Weißenburg-Gymnasium, der Realschule plus und der Fachoberschule zum ersten Mal ein Pater-Ingbert-Naab-Jubiläumsjahr. Das Programm startet am Donnerstag, 28. März, mit einem Rundgang auf den Spuren Naabs durch Dahn. Beginn ist um 17 Uhr im Pater-Ingbert-Naab-Haus, Schulstraße 19. Weiter geht es dann am Freitag, 4. April, mit dem Vortrag „Pater Ingbert Naabs Kampf um die Freiheit der Kirche“ von Torsten Woll (18 Uhr, Pater-Ingbert-Naab-Haus, Schulstraße 19). Auch eine Zweitagesfahrt nach Eichstätt (Grab Pater Ingbert Naab) am Donnerstag, 22. August, und Freitag, 23. August, ist geplant. Außerdem wird die Stadt Dahn ihre 2005 erstellte und jetzt erweiterte „Pater-Ingbert-Naab-Gedächtnisausstellung – Wider den Zeitgeist“ zeigen. „Warnungen wie die von Pater Naab in der damaligen Zeit sind aktueller denn je“, sagt Stephan Oberhauser, zweiter Beigeordneter der Stadt.

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