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19.11.2019

„Nur was ich schätze, kann ich schützen“: Sexualpädagogisches Programm im Bistum Eichstätt

MFM- Verantwortliche; Foto: Tanja Haydn

Die Eichstätter MFM-Referentin Angelika Netter (li). Entwickelt hat das MFM-Programm vor 20 Jahren die Münchner Ärztin Elisabeth Raith-Paula (re). Vom Vorstand MFM Deutschland e.V. sind die Vorsitzende Elisabeth Wiedenhofer (2.v.l.) und Max Wolf mit dabei. (Foto: Tanja Haydn)

Nürnberg - Das bundesweit größte sexualpädagogische Programm "My Fertility Matters“ (zu deutsch: Meine Fruchtbarkeit ist wertvoll) MFM Deutschland e.V. hat in Nürnberg sein 20-jähriges Bestehen gefeiert. Von Anfang an ist die katholische Kirche als Unterstützer und Förderer mit dabei gewesen. Rund 350 freiberufliche Referentinnen und Referenten haben in ihren Workshops seit 1999 rund eine Million Schülerinnen und Schüler erreicht. Es gibt Partnerorganisationen in vielen Ländern Europas, in China und den Vereinigten Staaten. Für das Bistum Eichstätt organisiert und leitet Angelika Netter, Leiterin der regionalen MFM Zentrale, die Kurse.

Spermien, die als Agenten das Überleben der Menschheit sichern, die Gebärmutter als Luxussuite für einen ganz besonderen Gast und Eierstöcke als wertvolles Schatzkästchen: mit solchen und ähnlichen Bildern arbeitet der Verein MFM, um Kinder und Jugendliche durch die Pubertät zu begleiten. „Wir wollen die Kinder mit dem notwenigen Basiswissen ausstatten, um sie auf das großartige Wunder in ihrem Körper vorzubereiten,“ erklärt Gründerin und Ehrenvorsitzende des MFM Vereins in Deutschland Dr. Elisabeth Raith-Paula das Anliegen.

Den großen Erfolg und die positive Resonanz, die das Programm von den Kindern und Jugendlichen erfährt, führt die MFM-Vorstandsvorsitzende Elisabeth Wiedenhofer auf die besondere Art der Vermittlung zurück. In vier verschiedenen standardisierten Workshops bekommen die Mädchen und Jungen getrennt nach Altersklasse und Geschlecht einen fundierten Einblick rund um das Thema Fruchtbarkeit. Der erste Kurs „KörperWunderWerkstatt“ richtet sich an Grundschüler der 4. Klasse. Hier soll ein erster vorsichtiger Einblick auf die anstehenden Veränderungen vermittelt werden. Mädchen in der 5. oder 6. Klasse erleben in der „Zyklusshow“ das Zyklusgeschehen, während die gleichaltrigen Jungen im Workshop „Agenten auf dem Weg“ auf Entdeckungstour durch den männlichen Körper gehen. Das Angebot „WaageMut“ will Teenagern ab der 8. Klasse neben einem fundierten Wissen zum Thema Fruchtbarkeit auch die Wirksamkeit der gängigen Verhütungsmethoden näherbringen und Impulse geben für eine gelingende Beziehung.

Fachbücher, Handouts oder Diagramme, wie man sie aus dem klassischen Biologieunterricht kennt, wird man bei MFM nicht finden. Statt Frontalunterricht erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vielmehr ein interaktives Mitmach-Theater. Da wird das Hormon Östrogen zur besten Freundin, das Spermium zum Spezialagenten und es darf in der Gruppe gerätselt werden, was ein Deodorant mit der Pubertät zu tun hat. „Wir vermitteln fundiertes Fachwissen mit einer emotional ansprechenden Didaktik“, erklärt Wiedenhofer. Es sei wichtig, Pubertät nicht nur in Hinblick auf ihre Gefahren und Probleme zu betrachten, sondern als etwas Großartiges. Oberster Leitgedanke: Nur was ich schätze, schütze ich. „Wir werden anders mit Dingen umgehen, die uns berühren. Deshalb arbeiten wir mit vielen Materialien, die die Kinder und Jugendlichen anfassen und erleben können“. Es sei für die Jungen und Mädchen wichtig, zu verstehen, was in ihrem Körper vor sich geht, welche großartige Leistung er vollbringt, um mit den Veränderungen wertschätzend und positiv umzugehen. Neben einer umfassenden Aufklärung sollen die Kinder und Teenager ein positives Körpergefühl entwickeln und ohne Scham oder Angst „die leise Sprache des Körpers“, wie Raith-Paula es nennt, „verstehen lernen“.

Doch wie gelingt es, biologisch-medizinisches Fachwissen, wertschätzend und vor allem altersgerecht an Kinder und Jugendliche zu vermitteln? „Die große Herausforderung liegt darin, immer die ganze Gruppe auf die Reise durch den Körper mitzunehmen“, weiß Max Wolf, selbst Referent und Vorstand des MFM Deutschland. Zu Beginn seien viele oft zurückhaltend aus Angst, bloßgestellt zu werden oder nicht mithalten zu können. „Unsere Kurse sind aber so gestaltet, dass niemand in seiner Intimsphäre oder seinem Schamgefühl verletzt wird. Jeder kann teilnehmen, mit und ohne Vorkenntnisse.“ Es würden auch nur die Themen behandelt, die für die jeweilige Altersstufe relevant seien. „Ein Viertklässler will noch nichts über Verhütung wissen. Das passt noch nicht in seine Lebenswelt und würde ihn einfach überfordern“.

Einer der größten Partner und Unterstützer des MFM Programms ist die katholische Kirche. Von Anfang an dabei, gibt es beinahe in der Hälfe der deutschen Diözesen, darunter in allen sieben bayerischen Bistümern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Workshops koordinieren und die Qualität und festen MFM-Standards überwachen. Seitens der Kirche gibt es auch teilweise Zuschüsse für Schulen oder Erstattungen für Fahrtkosten. „Wir haben das gleiche Fundament“, erklärt Wiedenhofer. „Wir betrachten den Menschen und seinen Körper als etwas Wunderbares, Einzigartiges und Schützenswertes. Das entspricht dem christlichen Menschenbild, ist aber auch für nicht-christlich geprägte Menschen ein Wert, den sie problemlos teilen können.“

Grundvoraussetzung für eine Wertschätzung, darauf fußt das MFM-Programm, ist ein fundiertes Basiswissen. „Es herrscht eine dramatische Unwissenheit über die Vorgänge im Körper“, so Raith-Paula. Das sei vor 20 Jahren nicht anders gewesen als heute, ist die Münchner Ärztin überzeugt. Präventionsarbeit setze Aufklärung und Körperkompetenz voraus. „Wir vermitteln lediglich biologische Fakten nach dem aktuellen Stand der Forschung. Den Mädchen und Jungen wird beispielsweise erklärt, wie gängige Verhütungsmittel funktionieren. Wir geben keinerlei Handlungsanleitungen oder Ratschläge“, betont sie. „Wir sind überzeugt, dass Jugendliche selbst verantwortungsvoll mit ihrem Körper umgehen, wenn sie ihn verstehen.“

Vorbehalte gäbe es trotzdem, besonders seitens der Eltern, weiß Angelika Netter, Leiterin der regionalen MFM Zentrale Eichstätt. „Vor jedem Workshop an der Schule findet ein Elterngespräch im Vorfeld statt. Viele Eltern haben Sorge, dass Themen, wie Homosexualität, Verhütung oder ungewollte Schwangerschaft nicht neutral behandelt werden“. Hier Stellung zu beziehen, sei jedoch nicht Ziel des MFM Programms. Im Gegenteil: „Das wäre übergriffig“, betont sie. „Wir wollen jungen Menschen mit der genügenden Kompetenz ausstatten, selbst und eigenverantwortlich zu entscheiden.“

Neben gut besuchten Workshops an den Schulen bietet der MFM Verein seit Kurzem auch Schulungen für medizinisches und pädagogisches Personal an. „Der Kurs wird sehr stark nachgefragt“, verrät Raith-Paula. „Wir erleben hier viel positive Resonanz. Selbst bei Fachpersonal existieren falsche Vorstellungen und riskantes Halbwissen“. Außerdem hat der MFM Verein kürzlich einen neuen Partner gewonnen: den Senegal. Ein Land, in dem Sexualerziehung im Hinblick auf das rasante Bevölkerungswachstum von besonderer Bedeutung ist. „Die Kirche leistet hier echte Pionierarbeit“, freut sich Angelika Schmitt, Leiterin der regionalen MFM Zentrale im Erzbistum Bamberg. Sie kommt gerade aus dem Senegal zurück. Zehn Männer und zehn Frauen wurden dort als MFM-Multiplikatoren ausgebildet und sollen künftig an den Schulen Aufklärungsarbeit leisten. Der Inhalt bleibt natürlich gleich. Lediglich der Materialkoffer musste kulturell ein wenig angepasst werden, verrät Schmitt.

Quelle: Stadtkirche Nürnberg

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