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31.10.2002

„Man muss Abschied nehmen, um wieder ins Leben zu gehen“ - Eine neues Projekt der Hospizhilfe richtet sich an Jugendliche, die ihre Geschwister verloren haben - Auch Trauergruppe für Kinder in Vorbereitung

Eichstätt. (pde) - „Traurig sein ist normal. Traurig sein gehört zum Leben.“ Für die Eichstätter Hospizhelferin Irene Stiegler ist das eine Selbstverständlichkeit. Eine 17-jährige Schülerin, die ihren Bruder bei einem Verkehrsunfall verlor, sieht das ganz anders. „In einer Lebensphase, wo man eigentlich einen drauf machen und in die Disko gehen will, kriegt man plötzlich aus heiterem Himmel einen Heulanfall - und die Freunde kapieren nicht, worum es geht.“ Ausdrücklich an Jugendliche richtet sich deswegen ein neues, kostenloses Angebot der ambulanten Hospizhilfe Eichstätt. Eingeladen sind Jugendliche und junge Erwachsene, die Schwester oder Bruder verloren haben - ob vor ein paar Monaten oder vor vielen Jahren. Der erste Informationsabend findet am 11. November beim Malteser Hilfsdienst e.V. in Eichstätt statt.

Eine vergleichbare Gruppe gibt es nach dem Informationsstand der Eichstätter Hospizhelfer in ganz Bayern nicht - obwohl der Bedarf sicher da wäre. „Die Geschwister werden oft vergessen. Die Eltern sind überfordert, weil sie mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt sind. Sie stehen hilflos daneben und haben keine Kraft, etwas weiterzugeben,“ weiß Irene Stiegler aus Erfahrung. Jugendliche trauern auf ihre Weise: Sie sind geplagt von Alpträumen, Schuldgefühlen und Wut - und sind nebenbei mit so wichtigen Themen wie Erwachsenwerden, Partnersuche oder Berufswahl beschäftigt. „Eigentlich möchte man einfach nur jung und unbeschwert sein, man schwankt zwischen Verzweiflung und extremer Lebenslust, verbunden mit dem Gefühl, dass man sowieso von niemanden verstanden wird“, so formuliert es Eva Engert, die die Gruppe leiten wird. Die 24-jährige ist eine erfahrene Hospizhelferin und hat selber vor sieben Jahren ihren Bruder verloren.

Dass auch in der Region viele Jugendliche Unterstützung brauchen, weiß Irene Stiegler aus ihren Beratungsgesprächen, die sie in betroffenen Familien führt. „Wir brauchen ein Auffangbecken“, das steht für sie fest. Die Hospizhelferin betont, dass die Treffen nicht nach einem starren Schema ablaufen werden. „Die Jugendlichen geben selbst vor, wie es laufen soll.“ Man müsse nicht in der Runde sitzen - genausogut könne man zusammen wandern oder in eine Kneipe gehen.

Gleichzeitig startet beim Malteser Hilfsdienst neu eine Trauergruppe für 6- bis 12-jährige Kinder, die eine wichtige Bezugsperson verloren haben. Auch dieses Angebot ist kostenlos. Die Gruppe steht unter der Leitung der Kunsttherapeutin Barbara Lang und der Familientherapeutin Ursula Pabsch. „Wenn Kinder Vater, Mutter oder Geschwister verlieren, brauchen sie ganz besonders viel Trost“, erläutern die Expertinnen. „Kinder trauern phasenweise unauffällig oder drücken ihre Traurigkeit im Spiel, beim Malen oder durch vermehrte Aggressivität aus.“ Für die Kinder-Trauergruppe finden erste Treffen am 7. November in Eichstätt und am 27. November in Ingolstadt statt - Veranstaltungsort ist jeweils die Geschäftsstelle des Malteser Hilfsdienstes. Die Vorbereitungstreffen richten sich zunächst an Eltern, Großeltern oder andere erwachsene Bezugspersonen. „Sie sollen Vertrauen kriegen. Sie sollen wissen, wohin sie ihre Kinder geben“, erläutert Ursula Pabsch. Die ersten Treffen mit den Buben und Mädchen werden in regelmäßigen Abständen an zwei Vormittagen und drei Nachmittagen stattfinden, gestartet wird im Januar oder Februar.

Wie gehen 6- bis 12-jährige mit ihrem Schmerz um? Die Familientherapeutin stellt klar: „Kinder haben einen ganz eigenen Verarbeitungsprozess. Für manche ist der Tod etwas Normales. Je älter die Kinder werden, umso mehr Fragen kommen. Da kommt es sehr darauf an, wie die Umgebung reagiert.“ Die Kinder werden von ihren Gefühlen hin und her gebeutelt: Hätte ich etwas verhindern können? Muss ich in der Familie Ersatzfunktionen übernehmen? Muss ich besonders stark sein, um dem verbliebenen Elternteil zu helfen? „Jeder braucht seinen eigenen Raum, um zu trauern und gleichzeitig muss man als Familie klar kommen“, erläutert die Familientherapeutin.

Den „eigenen Raum“ möchte die Hospizhilfe schaffen. Bei fünf Treffen werden die Kinder Phantasiereisen unternehmen, sie werden Bilder malen, geheime Verstecke aufspüren, Trostgeschichten hören und neue Wege der Erinnerung suchen. „Die Kinder werden herausfinden, was ihnen gut tut. Sie brauchen einen sicheren Ort“, erklärt Ursula Pabsch. „Ein Kind geht vielleicht gerne spazieren, ein anderes setzt sich mit vielen Kissen ins Bett und hört Musik.“ Bei dem letzten Treffen werden die kleinen Teilnehmer in einem Abschiedsritual Zettel mit Aktivitäten, die nicht mehr möglich sind, in Luftballone stecken und davonschweben lassen. Zettel mit Aktivitäten, die immer noch möglich sind, kommen in eine Schatzkiste. Sie sollen Mut machen und Zuversicht geben. „Aus der Starre muss wieder etwas werden“, so beschreibt Ursula Pabsch das Ziel der Treffen. „Man muss etwas verändern. Man muss Abschied nehmen, um wieder ins Leben zu gehen“.

Wer Näheres zu den beiden neuen Projekten (Trauergruppe für Jugendliche und junge Erwachsene/Kinder-Trauergruppe) wissen möchte: Informationen gibt es beim Malteser Hilfsdienst e.V. , Pater-Philipp-Jeningen-Platz 1, 85072 Eichstätt, Irene Stiegler, Leitung Hospizarbeit/Soziale Dienste, unter Telefon (08421) 9807-15.

 

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